Hamburg. Hamburger Forscher analysieren derzeit die Funde der ersten Forschungsfahrt der „Sonne“ und zeigen sich begeistert vom Tiefsee-Leben.

Zerbrechliche Muscheln, filigrane Ruderfußkrebse, kleine Tiefseeasseln – insgesamt 10.364 Tiefseebewohner pickten die Biologen noch an Bord des weltweit modernsten Forschungsschiffes „Sonne“ aus dem Schlamm des Meeresbodens. In Hunderten von tiefgekühlten Sedimentproben, die die Biologen mit Unterwassergeräten aus 5000 bis 8338 Metern Tiefe entnahmen und noch während ihrer Forschungsreise einfroren, warten nun weitere Kleinstlebewesen auf ihre Entdeckung und Bestimmung.

Diese Miniaturlebewesen werden erst unter dem Mikroskop sichtbar werden, die größeren Tiere erlauben schon jetzt einen ersten Blick in die unbekannte Welt der kleinen Tiere, die gemeinschaftliche den Tiefseeboden bewohnen. Vor allem Krebstiere scheinen dort zu leben. „In spätestens zwei Jahren werden wir die Ergebnisse veröffentlichen. Dann werden wir sehr viel mehr über das Leben in den Tiefen des größten Lebensraumes der Erde wissen, der mehr als 60 Prozent der Erdoberfläche ausmacht“, verspricht Angelika Brandt. Die Meeresbiologin von der Universität Hamburg war stellvertretende Fahrtleiterin der Forschungsreise mit dem Codenamen SO237 (Vema-TRANSIT). Jetzt ist sie nach 42 Tagen auf See wieder zurück in ihrem Hamburger Labor und packt gerade mit ihren Kollegen die Proben aus, die in den vergangenen Tagen im minus 20 Grad kalten Gefriercontainer aus Santo Domingo (Dominikanische Republik) angeliefert worden sind.

Dort endete am 26. Januar die erste Forschungsfahrt der „Sonne“, zu der am 14. Dezember des vergangenen Jahres 39 Biologen und Geologen gemeinsam in Las Palmas auf Gran Canaria (Spanien) aufbrachen. Rund 6520 Seemeilen (12000 Kilometer) legten die Wissenschaftler entlang des zehnten Nördlichen Breitengrades auf dem schwimmenden Großlabor zurück.

Ein Team aus Experten unterschiedlicher Felder

Rund um die Uhr arbeiteten die Wissenschaftler sowie die 31 Crew-Mitglieder eng zusammen, um mehr über die Bewohner der Tiefsee und ihren kalten, dunklen, unwirtlichen Lebensraum zu erfahren. „Gemeinsam konnten wir so viel mehr über die Tiefsee erfahren, als wenn nur Experten einer Disziplin an Bord gewesen wären. Wir waren ein großartiges Team und auch die Mannschaft hat uns hervorragend unterstützt und mitgefiebert. Es hat viel Spaß gemacht“, strahlt Angelika Brandt, die bereits 23 Forschungsfahrten durchführte. Nachdrücklich betont sie: „Ich fahre nie wieder ohne Experten für die Analyse der Struktur der Oberfläche des Meeresboden los.“ Denn die Geowissenschaftler informierten die Biologen über die Beschaffenheit des Meeresbodens, so dass sie die besten Stationen für die Entnahme von Proben zufassen bekamen und wussten, wie der Lebensraum der Tiefseebewohner beschaffen ist.

Gemeinsam sammelten Biologen und Geologen ein Puzzleteilchen nach dem anderen aus den unbekannten Tiefen unseres Planeten. Sie maßen Temperatur sowie Salz- und Sauerstoffgehalt des Wassers, analysierten die Zusammensetzung des Tiefseebodens, suchten in ihm nach Lebewesen, entnahmen Proben aus dem bodennahem Wasser, entdeckten kleinste Lebewesen, kartierten, fotografierten und filmten die Struktur der Oberfläche des Meeresbodens, bestimmten Strömungen, erforschten Gesteine. Mit modernsten Geräten „blickten“ sie in Tiefen von bis zu 8338 Metern, die kein Mensch vor ihnen je sah.

Allein in einer der Proben aus dem Tiefseegraben vor Puerto Rico, die weltweit erstmalig entnommen wurden, fanden die Wissenschaftler bei der ersten Durchsicht 66 Tiere, darunter allein 20 kleine Seegurken. „Wir sind fasziniert von dem Leben, das in diesen Tiefen tobt! Und wir sind gespannt darauf, welche Miniaturlebewesen wir in den kommenden Monaten bei der Analyse der bislang tiefgefrorenen Proben in unseren Laboren entdecken werden“, sagt Angelika Brandt.

Gut 100.000 Quadratkilometer unerforschter Tiefseeboden sind jetzt weltweit erstmals auf detailreiche Karten beschrieben. Die Forscher entdeckten unbekannte unterseeische Berge und Schluchten, sie erschlossen eine unbekannte Region unseres Planeten – und sie fanden Manganknollen. Eine wissenschaftliche Sensation. Niemand hatte diese in dem Umfang im Atlantik erwartet.

Der Fund von Manganknollen kann jetzt Begehrlichkeiten wecken

„Als sich der Epibenthosschlitten, mit dem wir Sedimentproben aus 5000 Metern entnommen hatten, aus den Wellen hob, staunten nicht nur wir Biologen, sondern vor allem die Geologen. Er brachte Manganknollen, die teilweise so groß und glatt wie Kegelkugeln waren, aus der Tiefe. Solche Entdeckungen sind ein unvergessliches Erlebnis und sie zeigen, wie wenig wir über die Tiefsee wissen“, sagt Angelika Brandt. Es sei gut gewesen, dass sie die Geräusche vom Überfahren des Manganknollenfeldes, die unter Wasser ­aufgezeichnet worden waren, erst später gehört hätten. Es habe geklungen, also würde mit großen Hämmern auf Stahl gehauen. Bestimmt wäre der Schlitten sofort an Deck geholt worden – vielleicht ohne diese sensationelle Entdeckung.

Dieser Fund kann aber auch Begehrlichkeiten wecken. Denn Manganknollen können eine Vielzahl von Metallen wie Kupfer, Eisen, Zink, Kobalt, Blei oder Silber enthalten. Noch werden diese beispielsweise für Handys oder Computer benötigten Metalle an Land gefördert, doch auch seitens der deutschen Industrie wächst das Interesse, diese Rohstoffe aus den Meeresböden zu holen. Bislang ging man davon aus, dass sie vor allem im Pazifik zu finden sind. Doch nach dieser Entdeckung wird wohl auch der Atlantik zum Ziel von Erkundungen.

Sicher ist, dass jede industrielle Aktivität den Lebensraum der Meeresbewohner verändern wird. „Wir müssen deshalb mehr über die einzelnen Lebensräume sowie über ihre regionalen und globalen Vernetzungen erfahren“, sagt Angelika Brandt. „Seit dieser Expedition wissen wir, dass selbst in mehr als 8000 Metern Tiefe, wo die Temperaturen um den Gefrierpunkt liegen und ein unvorstellbarer Druck von 800 bar herrscht, Lebewesen sind. Aber wir wissen noch nicht, ob diese Tiefsee­bewohner dort zu Hause sind oder ob sie nur zeitweilig aus geringeren Tiefen einwandern. Und welche Rolle spielen diese Tiere in den komplexen Nahrungsnetzen der Ozeane? Beeinflussen sie den Wärmehaushalt der Meere und damit deren Fähigkeit, das Treibhausgas Kohlendioxid aufzunehmen? Wir müssen Antworten finden, um zu wissen, wie sensibel dieser extreme Lebensraum auf Störungen reagiert.“

Die erste Forschungsfahrt der „Sonne“ hat wichtige Puzzleteilchen geliefert, die die Forscher in den kommenden Monaten zusammensetzen werden. Die Proben zeigen schon jetzt: Der für die Menschen tödliche Lebensraum ist unfassbar lebendig.

Einige der Proben, die die Forscher aus der Tiefsee holten, und die Laborwerkzeuge, die sie auf der Fahrt nutzten, können im Zoologischen Museum, ­Martin-Luther-King-Platz 3, dienstags bis sonntags von 10-17 Uhr betrachtet werden. Der Eintritt ist frei, eine Spende erwünscht.