Medizinanwendungen für iPhone, iPad und Android-Geräte können dem Patienten vor dem Gang zum Arzt eine erste Diagnose ermöglichen.

Hamburg. Ein ziehender Schmerz im Rücken, Ausschlag auf der Haut oder wiederkehrende Kopfschmerzen. Es gibt wohl kaum einen Computer-affinen Menschen, der bei Krankheitssymptomen wie diesen nicht schon einmal einen Klick im World Wide Web riskiert hat, um mithilfe der beliebten Google-Eigenrecherche eine Selbstdiagnose zu stellen. Gesundheitsthemen zählen zu den gefragtesten Inhalten im Internet. Laut einer repräsentativen Umfrage des Hightech-Verbandes Bitkom informieren sich 37 Prozent der deutschen Internetnutzer online über Krankheiten und Arzneimittel. Da verwundert es wenig, dass auch die Mobilfunk-Branche in zunehmendem Maße auf den Gesundheitsrat via Smartphone setzt und immer mehr Apps - kleine Anwendungsprogramme fürs Handy - im Medizinbereich anbietet.

Vom Hörtest über Rückenübungen bis hin zum allgemeinen Gesundheitscheck: Smartphone-Nutzer haben in Sachen Applikationen die Qual der Wahl. Doch woher sollen sie wissen, welche Angebote seriöse Inhalte bieten? Ein Gütesiegel für Gesundheits-Apps gibt es bislang nicht. Die Anwender sind in der Einschätzung der Angebote auf sich gestellt, müssen genau abwägen, ob diese sinnvoll, nützlich und vor allem vertrauenswürdig erscheinen.

"Das ist ähnlich wie im Internet. Auch dort gibt es keine gesicherten Hinweise, dass die Inhalte einer Homepage korrekt sind", sagt App-Entwickler Dr. Michael Hägele. Der Medizin-Informatiker aus Köln hat zahlreiche Smartphone-Applikationen konzipiert und kennt die Risiken unseriöser Angebote: "Einige Betreiber sind vor allem an den Daten der Nutzer interessiert. Sie können diese an Werbekunden weiterreichen oder durch Pharmafirmen zweitverwerten lassen." App-Anwender sollten sich deshalb überlegen, ob sie sensible Daten und persönliche Informationen tatsächlich hinterlegen wollen.

Die Bundesärztekammer, die sich intensiv mit einer Vielzahl von E-Health-Angeboten beschäftigt und noch im Juli einen Kriterienkatalog für elektronische Gesundheitsakten veröffentlichen will, hat in Sachen Zertifizierung von Medizin-Apps bislang keine konkreten Maßnahmen getroffen. Und auch das Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (afgis), das im Internet die Seriosität und Transparenz der Betreiber medizinischer Web-Adressen feststellt, plant vorerst kein Qualitätslogo für Mobiltelefon-Anwendungen.

Datenschützer raten Smartphone-Nutzern deshalb dringend dazu, vor allem mit Therapie- und Diagnose-Applikationen äußerst vorsichtig umzugehen. Sofern eine App medizinische Befunde ermöglicht - etwa bei einer Pulsmessung via Smartphone -, fällt sie zwar in die Kategorie der sogenannten Medizinprodukte und muss nach EU-Richtlinien geprüft und mit der sogenannten CE-Kennzeichnung versehen werden, um in den Markt eingeführt werden zu können. Doch die Zeckmäßigkeit wird von Fall zu Fall häufig unterschiedlich bewertet, sodass längst nicht alle Gesundheits-Applikationen der Kategorie der Medizinprodukte zuzuordnen sind. Laut einem im November 2010 veröffentlichten Bericht des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit und Technik wird der Großteil der bestehenden Gesundheits-Apps als Lifestyle-Anwendungen klassifiziert. Eine CE-Kennzeichnung benötigen die Hersteller dieser Medien demnach nicht.

Hägele betont, dass insbesondere Smartphone-Angebote mit Diagnose- oder Kontrollmechanismen immer nur eine erste Information bieten können, niemals jedoch eine ernst zu nehmende Diagnose erstellen. Nutzer und Patienten sollten auch in Zukunft Rücksprache mit ihrem Arzt halten.

Dass praktizierende Mediziner von einigen App-Angeboten bei der Therapierung ihrer Patienten allerdings auch profitieren könnten, darauf verweist Christian Hess, Ärztlicher Leiter des Asklepios-Future-Hospital-Programms in Hamburg. "Vor allem Pillen-Erinnerungsfunktionen oder Schmerz-Tagebücher können aus ärztlicher Sicht wertvolle Daten liefern und dafür sorgen, dass Patienten sehr bewusst mit Medikamenten und Arztterminen umgehen", sagt Hess.

Klaus Schäfer, Vizepräsident der Ärztekammer Hamburg, steht dem Einsatz von Gesundheits-Applikationen offen gegenüber. Für das Hamburger Abendblatt hat der Allgemeinmediziner verschiedene kostenlose Apps mit medizinischen Inhalten auf ihre Zuverlässigkeit und fachliche Korrektheit getestet und nach einem Fünf-Punkte-System bewertet. Fünf Punkte stehen dabei für empfehlenswert, vier Punkte für gut gelungen, drei Punkte für eine ausbaufähige Anwendung, zwei Punkte für eine eher spielerische App mit inhaltlichen Mängeln.

Das Fazit: Medizinisch nützliche Hinweise, sagt Schäfer, seien zwar bei den meisten überprüften Applikationen vorhanden. Doch fachliche Details würden einer ersten Analyse zufolge oftmals falsch oder unzureichend erläutert, sodass der ärztliche Rat am Ende unverzichtbar sei. "Gesundheits-Apps", betont Schäfer, "sind wohl vor allem als Anregung zu verstehen, sich ernsthaft mit seiner Gesundheit auseinanderzusetzen." Den Arzt ersetzen können sie - zumindest momentan - noch nicht.