Neue Reinigungsanlagen waschen Schwefel aus den Abgasen großer Schiffe. Doch das geht womöglich auf Kosten der Gewässer.

Hamburg. Seit Jahresbeginn müssen Schiffe, die die Nord- und Ostsee befahren, strenge Grenzwerte für den Schwefel im Abgas einhalten. Das geschieht, indem sie schwefelarmen Diesel als Treibstoff einsetzen, der jedoch viel teurer ist als herkömmliches Schweröl. Deshalb favorisieren erste Reedereien technische Lösungen: Sie fahren weiter mit Schweröl und rüsten ihre Schiffe mit sogenannten Scrubbern nach. Diese gibt es in drei Varianten mit unterschiedlich großen Vorteilen und Risiken für die Umwelt.

Containerschiffe, die den Hamburger Hafen anlaufen, erreichen im Ärmelkanal oder nördlich Großbritanniens das SECA-Gebiet Nordsee. SECA steht für Sulphur Emission Control Area, für ein Gebiet, in dem Schwefelemissionen deutlich beschränkt sind. Zum 1.Januar wurde das Limit so weit gesenkt, dass es nur mit Treibstoffen eingehalten werden kann, die nicht mehr als 0,1 Prozent Schwefel enthalten – zuvor galt ein Grenzwert von einem Prozent Schwefel. „Die Seeschifffahrt hält die neuen SECA-Grenzwerte überwiegend ein“, meldete das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) Mitte Februar. Das zeigten Fernmessungen der Abgasfahnen von fast 600 Schiffen, durchgeführt von zwei automatischen Stationen in Wedel und auf der Insel Neuwerk.

Gips, der als Baustoff verwendet werden kann

„Der weit überwiegende Teil der Schiffe wird in der Nordsee auf schwefelärmeren Diesel umgeschaltet haben“, sagt Jörg Kaufmann, Abteilungsleiter Schifffahrt beim BSH. „Die Schiffe haben den Diesel neben dem Schweröl ohnehin an Bord. Denn in EU-Häfen gilt der niedrigere Grenzwert bereits seit 2010.“ Aber vereinzelt würden bereits Schiffe mit Abgasreinigungsanlagen nachgerüstet, so Kaufmann.

Das lohnt sich vor allem für Frachter, die überwiegend oder ausschließlich in SECA-Gebieten unterwegs sind, also in Nord- und Ostsee oder an den Küsten Nordamerikas. Oder für Passagierschiffe, die auch aus Imagegründen ihre Abgasfahnen säubern wollen. Bislang seien vor allem Fähren und Kreuzfahrtschiffe umgerüstet worden, so Kaufmann.

Die Glückstädter Reederei Braren betreibt seit einigen Wochen einen Frachter mit einem Scrubber und lässt ein zweites Schiff umrüsten. Sie fahren für den schwedischen Papierhersteller Södra, beliefern Europa mit skandinavischem Zellstoff. Auf den Schiffen sind sogenannte trockene Scrubber am Werk. In ihnen wird das Abgas durch ein Kalkgranulat geleitet. Es bindet den Schwefel, reagiert zu Gips. Im oberen Bereich des Behälters wird aus einem Silo frischer Kalk nachgefüllt, im unteren Bereich Gips in einen zweiten Silo abgeführt. Die gesamte, kompakt gebaute Anlage steht an Deck, direkt vor der Brücke.

Ist der Kalksilo geleert und der Gipssilo gefüllt, bringt ein Tankwagen neue Ware zum Kai. Mit Druckluft bläst er das Kalkgranulat in den Vorratsbehälter und belädt sich anschließend mit dem schwefelhaltigen Gips. Der Reinigungsprozess ist mit der Rauchgasentschwefelung von Kraftwerken, Industrie- und Müllverbrennungsanlagen vergleichbar, auch dort entsteht Gips (REA-Gips), der als Baustoff verwendet werden kann. Rund die Hälfte des deutschen Gipsbedarfs wird heute durch REA-Gips gedeckt.

„Millionenauftrag für Hamburger Werft Sietas“, meldete das Abendblatt Anfang Februar. Der Neuenfelder Betrieb baut Scrubber in drei Massengutfrachter der Reederei HJH Shipmanagement ein, sogenannte nasse Scrubber. Sie waschen die Schwefelverbindungen aus dem Abgas und arbeiten entweder in einem offenen oder einem geschlossenen System.

Beim offenen System wird Seewasser in das Abgas eingespritzt. Das saure Abwasser wird dann annähernd neutralisiert, und ölige Feststoffe werden abgetrennt, bevor es zurück ins Meer gepumpt wird. Die internationale Schifffahrtsorganisation IMO hat Qualitätskriterien für diese Einleitungen festgelegt, so muss ihr pH-Wert (Säuregrad) mindestens 6,5 betragen. Wasser mit pH 7 ist neutral, Meerwasser dagegen leicht basisch (pH bei 8). Weitere Umweltauflagen begrenzen verschiedene Schadstoffe, Nitrate, Waschzusätze und die Trübung durch Schwebstoffe (Schwemmstoffe des Umgebungswassers). Zudem fällt bei dem Waschvorgang Schlamm an, der an Bord bleibt und an Land beseitigt werden muss.

Die zweite Nass-Variante wäscht mit Süßwasser, das in einem weitgehend geschlossenen Kreislauf geführt wird. Dazu muss es nach der Passage durch das Abgas mit einer Lauge – üblicherweise Natronlauge – neutralisiert und zusätzlich aufbereitet werden. Dabei entsteht rund zehnmal mehr Schlamm als bei dem offenen Verfahren. Auch er bleibt an Bord und muss im Hafen beseitigt werden. Zuvor wird er jedoch entwässert. Das Abwasser wird soweit verdünnt, dass es nach den IMO-Kriterien ins Meer eingeleitet werden darf.

Der Schlamm sollte in den Häfen, die an SECA-Gebieten liegen, entsorgt werden können. In Hamburg sei dies der Fall, sagt Kay Matthiesen, Fachmann für Schiffsentsorgung bei der Umweltbehörde. Aktuell erwäge die Behörde die kostenlose Annahme, noch sei die Beseitigung „Verhandlungssache mit Entsorgungsfirmen“. Bislang habe noch kein Schiff einen solchen Rückstand abgegeben, so Matthiesen.

Wie groß die jeweiligen Umweltvorteile der verschiedenen Scrubbersysteme und wie groß die Risiken insbesondere der Abwassereinleitungen sind, ist schwer abschätzbar. Noch gebe es eine Wissenslücke, wie die anfallenden Abwässer tatsächlich beschaffen sein werden, sagt Jörg Kaufmann, zumal dies mit den Treibstoffen variiere. „Die IMO-Regelung sieht vor, dass die derzeitigen Einleitekriterien aktualisiert werden, wenn dies nötig erscheint. So ist zum Beispiel nicht klar, wie die Abwässer kumulativ wirken, wenn viele Schiffe solche Scrubber einsetzen.“

Eine Studie der Universität Bremen im Auftrag des Umweltbundesamts stellt mit Blick auf die mit Wasser arbeitenden Rauchgaswäscher fest, „dass es einen konstanten Eintrag von Schadstoffen gibt, der bei offenen Scrubbern um ein Vielfaches höher liegt als bei geschlossenen Scrubbern“. Die Autoren warnen: „Im Hinblick auf die absoluten Einleitemengen ist zu befürchten, dass es bei einem deutlichen Anstieg der Scrubber-Nutzung von Schiffen in den ökologisch sensiblen Küstengewässern der Nord- und Ostsee und den beengten Wasserkörpern der Hafenzufahrten und Häfen zu einer erheblichen Umweltbelastung kommt.“ Unter diesen Umständen ginge saubere Luft auf Kosten dieser Gewässer. Die Bremer Forscher empfehlen: „Grundsätzlich ist die Nutzung sauberer flüssiger (Diesel) oder gasförmiger (LNG – verflüssigtes Erdgas, die Red.) Kraftstoffe einer Abgasnachbehandlung zur Schwefelreduktion vorzuziehen.“

„AIDAvita“ erhält aufwendiges Reinigungssystem

Anfangs sei vermutet worden, dass die Scrubber-Verfahren nur Übergangstechnologien zur Nachrüstung bestehender Schiffe seien, sagt Jörg Kaufmann. „Inzwischen gibt es aber auch Neubauten, die zum Teil sogar mit komplexen Abgasreinigungsanlagen ausgestattet werden.“ Sie eliminieren nicht nur das Schwefeldioxid aus dem Abgas, sondern auch Rußpartikel und Stickoxide. Kaufmann: „Diese Anlagen sind hoch kompliziert, denn jede Reinigungsstufe erfordert unterschiedliche Bedingungen, etwa Temperaturen, des Abgases.“ Zu den ersten Anwendern gehört das Kreuzfahrtschiff „AIDAvita“, das im November ein umfassendes Reinigungssystem erhielt.

Der hohe Aufwand – für Abgasreinigung oder „saubereren“ Treibstoff – könnte sich für die Reeder in Zukunft vermehrt lohnen: An den nordamerikanischen Küsten gibt es bereits heute Limits für den Stickstoffausstoß, und ab 2020 ist vorgesehen, auf allen Weltmeeren den Schwefelgehalt auf 0,5 Prozent zu begrenzen.