Meret Tomforde aus Hamburg teilt das Schicksal von 60.000 Deutschen, die jedes Jahr diese Diagnose bekommen. Die Heilungsrate steigt

Hamburg. Knapp ein Dreivierteljahr ist es her, dass Meret Tomforde die ersten Anzeichen ihrer Krankheit bemerkte. Sie litt unter Verdauungsbeschwerden, und das Sitzen bereitete ihr immer stärkere Schmerzen im Unterbauch. Im Juni 2014 wurde dann die Diagnose gestellt: Darmkrebs. Für die junge Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter ein Schock – eine solche Erkrankung, und das im Alter von 33 Jahren! Sie startete sofort mit der langwierigen Therapie.

Für fünfeinhalb Wochen erhielt sie eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie, um den Tumor im Enddarm zu verkleinern. Im Oktober wurde der Tumor dann operativ entfernt. Da er sehr tief im Darm saß, musste der gesamte Enddarm entfernt werden, sodass ein künstlicher Darmausgang angelegt werden musste. „Damit komme ich ganz gut zurecht“, sagt die Kaufmännische Medienberaterin. Jetzt muss sie noch alle zwei Wochen zur Chemotherapie. Das sei manchmal schon sehr anstrengend, und sie leide häufiger unter Magenkrämpfen und Übelkeit, sagt die lebhafte junge Frau, die mit ihrer kleinen Tochter Lotta und dem Dackel Lumy in einer kleinen Wohnung nahe der Alster lebt. „Aber im Moment fühle ich mich ganz gut.“

Der Tumor, an dem Meret Tomforde leidet, nimmt unter den Krebsformen des Dickdarms eine gewisse Sonderstellung ein. „20 bis 25 Prozent aller Darmkrebserkrankungen treten im Mastdarm nah am Darmausgang auf. Bei ihnen besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie an derselben Stelle wieder auftreten können, und sie sind auch schwieriger zu operieren, besonders, wenn der Schließmuskel erhalten werden soll, um einen künstlichen Darmausgang zu vermeiden“, sagt Prof. Carsten Bokemeyer, Direktor der Klinik für Onkologie und Hämatologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Tumoren, die im Mastdarm in der Nähe des Schließmuskels sitzen, würden heute in der Regel zunächst durch eine Kombination von Strahlen- und Chemotherapie vorbehandelt und erst danach operiert.

Der Darmkrebs zählt mit rund 60.000 Neuerkrankungen im Jahr in Deutschland zu den häufigsten Tumorerkrankungen. Jedes Jahr erkranken in der Bundesrepublik rund 500.000 Menschen neu an Krebs. Am heutigen Weltkrebstag informieren Organisationen und Spezialisten weltweit über die neuesten Erkenntnisse und Behandlungsmöglichkeiten bei Krebserkrankungen. Auch am Universitätsklinikum Eppendorf findet am heutigen Mittwoch dazu ein Informationstag für Patienten statt (siehe unten).

Bei der Behandlung von Tumoren, die im Dickdarm, aber nicht im Mastdarm sitzen, gibt es, je nach Stadium, unterschiedliche Vorgehensweisen. „Es hat sich gezeigt, dass bei einem Krebs, der noch keine Absiedelungen (Metastasen) gebildet hat, nach der Operation eine Chemotherapie von Nutzen ist. Sie senkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit wiederkommt oder später Absiedlungen im Körper macht. Vor allem bei Patienten, bei denen der Darm und die umliegenden Lymphknoten mit befallen sind, ist es heute Standard, eine solche Nachbehandlung durchzuführen“, sagt Bokemeyer.

Heute kann auch ein Teil der Patienten, bei denen sich bereits Metastasen gebildet haben, durch eine umfassende Kombinationstherapie noch geheilt werden. „Wir können heute von den Patienten, bei denen zum Beispiel eine begrenzte Anzahl von Leber- oder Lungenmetastasen vorhanden ist, noch etwa 20 bis 30 Prozent langfristig heilen, wenn wir sie mit einer Kombination von Chemo- und Antikörpertherapie behandeln und die dadurch verkleinerten Tumorherde anschließend operativ entfernen“, sagt Bokemeyer.

Die dritte Gruppe sind Patienten, bei denen es unmöglich ist, die Metastasen komplett zu entfernen. „Sie erhalten oft eine Kombination von Chemotherapie mit neuen, zielgerichteten Krebsmedikamenten und sprechen mit einer Wahrscheinlichkeit von 50–70 Prozent auf eine solche Behandlung an. Für diese Patienten kann man damit heute eine Verbesserung der Lebensqualität und eine deutliche Verlängerung der Überlebenszeit um bis zu drei Jahre erzielen. Ohne Behandlung läge die mittlere Überlebenszeit in diesem Tumorstadium bei sechs bis acht Monaten“, sagt der Krebsspezialist.

Bei den zielgerichteten Medikamenten, die parallel zur Chemotherapie beim Darmkrebs verabreicht werden, gibt es zwei Klassen: Zum einen sind es Medikamente, die die Bildung von Blutgefäßen unterbinden, die der Tumor für seine Ernährung und sein Wachstum braucht. Eine zweite Gruppe von Medikamenten ist gegen das Zellwachstum gerichtet, weil sie die Weitergabe von Wachstumssignalen in der Zelle unterbinden. Diese sogenannten EGFR-Antikörper wirken aber nur bei der Hälfte der Darmkrebspatienten. Daher ist vor der Gabe die molekulare Testung des Tumors notwendig. Denn bei ungefähr der Hälfte der Patienten mit Darmkrebs ist ein Molekül in der Signalkette genetisch verändert. „Bei diesen Patienten wirken die EGFR-Antikörper nicht und sie sollten daher auch nicht damit behandelt werden. Dafür sollten aber diejenigen, bei denen die genetische Veränderung nicht vorliegt, eine solche Therapie auf jeden Fall erhalten. Denn bei ihnen wirkt sie extrem gut und führt zum Beispiel dazu, dass die Überlebenszeit um bis zu zehn Monate länger wird und dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich Tumormetastasen zurückbilden, um 20 bis 30 Prozent höher ist als bei einer alleinigen Chemotherapie“, sagt Bokemeyer.

Dank der modernen Behandlungsmethoden und einer besseren Früherkennung sind die Heilungsraten für Darmkrebspatienten erheblich gestiegen. „Die Gesamtheilungsrate ist in den vergangenen 20 Jahren von unter 50Prozent auf 60 Prozent gestiegen. Wird der Tumor früh entdeckt, liegt die Heilungsrate bei über 90 Prozent“, sagt Bokemeyer.

Kostenloser Patiententag im Rahmen des Weltkrebstages am 4. Februar

Die Heilungs- und Überlebensraten haben sich nicht nur beim Darmkrebs, sondern auch bei anderen Tumorerkrankungen entscheidend verbessert. „Es gibt sowohl immer mehr Patienten, die man als ganz geheilt betrachten kann, als auch mehr Patienten, die mit der Krebserkrankung wesentlich länger leben können“, sagt Bokemeyer. Nach dem ersten Schock der Diagnose müssten sich viele Patienten mit metastasierter Erkrankung mit der Situation auseinandersetzen, dass es für sie eine Menge an Behandlungsmöglichkeiten gebe, die Krankheit aber letztendlich nicht heilbar sein werde. „Sie lernen dann, mit der Krankheit so gut und so lange wie möglich zu leben.“ Für diese Patienten hat das Hubertus Wald Tumorzentrum des UKE eine eigene Sprechstunde „Leben mit Krebs“ eingerichtet. In der Beratung geht es unter anderem sowohl um Fragen der Lebensführung und der speziellen Versorgung der Patienten als auch um die Möglichkeiten der Palliativmedizin.

Eine zweite Sprechstunde, die Survivorship-Sprechstunde, ist mehr auf Patienten ausgerichtet, die nach einer Behandlung zwar mit einer relativ großen Wahrscheinlichkeit geheilt sind, bei denen aber trotzdem psychologische Ängste und Probleme mit dem Leben im Alltag vorhanden sein können. In der Beratung geht es unter anderem um Fragen der Reintegration ins Berufsleben, Fragen zu Partnerschaft und zu zusätzlichen unterstützenden Angeboten. Und um Aufklärung über Risikofaktoren für eine erneute Erkrankung oder zur Vermeidung möglicher Spätfolgen.

Meret Tomforde blickt optimistisch in die Zukunft, auch wenn ihr zu Hause manchmal in einer stillen Stunde die Tränen kommen. „Aber ich werde sehr gut unterstützt durch meinen Lebensgefährten und meine Eltern, habe meine kleine Tochter und den Dackel. Das gibt mir Kraft. Wenn ich ganz allein wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht so viel Power.“ Das Wichtigste für sie ist jetzt, erst einmal gesund zu werden. Dann möchte sie gerne eine Mutter- und Kind-Reha machen und wenn das alles überstanden ist – wieder aufs Wasser zum Segeln.

Am Weltkrebstag am 4. Februar veranstaltet das Universitätsklinikum Eppendorf, Martinistraße 52, einen kostenlosen Patiententag. Die Besucher können sich von 15 bis 17.30 Uhr im Festsaal des Erika-Hauses (Gebäude W29) bei Kurzvorträgen über Neuigkeiten in der Krebstherapie informieren. Selbsthilfegruppen und das Universitäre Cancer Center Hamburg (UCCH) des UKE stellen sich vor, und Experten beantworten alle Fragen zum Thema Krebs. Auf dem Programm stehen unter anderem Vorträge über Neues aus der medikamentösen Tumortherapie, Strahlentherapie und Chirurgie, sowie ein Vortrag über Sport und Bewegung.