Neue Rechenformel könnte Hamburger Forschern helfen, Veränderungen im Nordpolarmeer genauer zu beobachten

Rund um die Uhr vermessen Satelliten die Erde und liefern riesige Mengen an Datenmaterial. Hinter den Zahlenkolonnen verbergen sich viele Informationen. Doch zuerst müssen wir Klimaforscher sie entschlüsseln und damit den Wissensschatz sichtbar machen. Manchmal stoßen wir dabei ganz unverhofft auf eine „Goldader“. Wie jetzt, bei meiner Entdeckung zum Arktis-Eis.

Die Entwicklung der Eisbedeckung im Arktischen Meer ist ein wichtiger Hinweis auf Klimaänderungen. Seit Jahren schrumpft die eisbedeckte Fläche tendenziell. Manche Wissenschaftler befürchten, die Entwicklung sei kaum noch umkehrbar – mit weitreichenden Folgen für das Klimasystem. Deshalb wird diese Fläche seit mehr als 35 Jahren per Satellit beobachtet. Doch wie dick ist das Eis eigentlich? Denn mehr noch als die Fläche liefert die Eisdicke das tatsächliche Volumen der Eismasse und damit ein wichtiges Indiz für seine Lebensdauer.

Seit Ende 2010 können wir am Exzellenzcluster für Klimaforschung mit dem Forschungssatelliten SMOS die Eisdicke bis zu einen Meter tief bestimmen, ein großer Fortschritt. Der Satellit registriert dabei die natürliche Strahlung, die von allen Körpern ausgeht – also auch vom Ozean und dem darüber liegenden Meereis. Die Strahlung wird auf ihrem langen Weg ins All mehrfach abgelenkt und reflektiert. Hierbei wird jeweils nur ein Teil der Energie durchgelassen, sodass am Satelliten ein verändertes Signal eintrifft. Am stärksten passiert dies an den Grenzübergängen: zum Beispiel beim Wechsel von Ozean zu Eis oder Eis zu Luft. Zunächst beschreiben wir die physikalischen Abläufe an den einzelnen Grenzen mit Hilfe von Rechenmodellen. Anschließend können wir aus den Daten dann den Abstand dieser Grenzen zueinander ermitteln – zum Beispiel die Dicke einer Eisschicht.

Ergänzt wird SMOS in Sachen Eisdicke von CryoSat-2, einem weiteren Satelliten. Während SMOS mit seiner „Sichttiefe“ bis zu einem Meter die dünneren Randgebiete des Meereises erfassen kann, ist CryoSat der Profi für das dickere Eis. Anders als SMOS misst CryoSat nämlich per Radar, wie hoch das Eis aus dem Wasser ragt. Da wir wissen, dass zehn Prozent des Meereises über, 90 Prozent aber unter Wasser schwimmen, lässt sich daraus die Gesamtdicke errechnen. Das funktioniert allerdings nur, wenn die aktuelle Schneeauflage beachtet wird. Deren Gewicht kann den Eiskörper so nach unten drücken, dass das 90:10-Verhältnis nicht mehr stimmt. Doch woher bekommen wir den Schneewert? Bislang konnten Forscher ihn mithilfe von veralteten Karten nur grob abschätzen.

Eine unverhoffte Lösung fand ich in den SMOS-Daten, als ich in unser Rechenmodell zusätzlich eine Formel für die Schneeschicht einbaute. Gerade dort, wo SMOS das Eis nicht mehr messen kann – über dickem Eis – liefert er jetzt Werte zur Schneedicke. Expeditionen mit Messflugzeugen über der Arktis haben diese Werte bisher bestätigt, ein toller Erfolg. Erstmals werde ich nun flächendeckend aktuelle Schneekarten erstellen können. Die nächste Aufgabe ist es nun zu untersuchen, ob diese Karten tatsächlich für die CryoSat-Berechnungen verwendet werden können, um die Entwicklung des Eisvolumens in der Arktis noch besser zu beobachten und zu verstehen.