Neue Methode könnte Erbkrankheiten wie Mukoviszidose und Downsyndrom heilen. Die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier erhält den Hamburger Ernst-Jung-Preis. Stiftung ehrt zwei weitere Forscher.

Hamburg. Eigentlich suchten die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und ihr Team nach neuen Ansätzen in der Antibiotikaforschung. Doch dann entdeckten sie bei ihren Analysen einen bis dahin unbekannten Abwehrmechanismus von Bakterien. Er beruht auf einer besonderen Fähigkeit des Enzyms Cas9: Werden Bakterien von Viren attackiert, erkennt Cas9 die DNA der Angreifer und bewirkt, dass sie zerschnitten wird. Ob das der Antibiotikaforschung nützen kann, ist unklar. Charpentier erkannte aber schnell, dass sich die neuartige Gen-Schere für andere Zwecke nutzen lässt. Zeitgleich kam eine Forschergruppe um die US-Amerikanerin Jennifer Doudna zu ähnlichen Erkenntnissen.

Zwar hatten bis dahin schon viele Wissenschaftler mit Gen-Scheren experimentiert, um unerwünschte Abschnitte aus Erbgut zu entfernen und neue Gensequenzen an den Schnittstellen einzusetzen. Charpentier und Doudna jedoch entwickelten nach dem Vorbild der Bakterien eine Methode namens CRISPR/Cas9, mit der sich Gene erheblich einfacher und kostengünstiger abschalten und korrigieren lassen als früher. 2012 veröffentlichten die beiden zusammen mit weiteren Forschern eine Anleitung für den Schneidemechanismus im Fachjournal „Science“ – manche Experten sprachen von einer kleinen Revolution in der Molekularbiologie. Eines Tages, so die Hoffnung, könnten dank der Technologie Menschen mit Erbkrankheiten wie Mukoviszidose, Downsyndrom und Bluterkrankheit geheilt werden.

Charpentier, die heute unter anderem am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig forscht, ist für ihre Arbeit schon mehrfach ausgezeichnet worden. Am 8. Mai soll der 46-Jährigen eine weitere Ehre zuteil werden: Dann wird sie in Hamburg den mit 300.000 Euro dotierten Ernst-Jung-Preis für Medizin erhalten. Das gibt die Hamburger Ernst Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung heute, am 39. Todestag des Stifters, bekannt. Die 1967 gegründete Einrichtung unterstützt bereits seit 1976 Projekte, die der Entwicklung neuer Therapien dienen.

Bei Erbkrankheiten kann häufig schon eine leicht veränderte Zusammensetzung eines Gens dazu führen, dass wichtige Proteine ihre eigentliche Funktion verlieren. Das CRISPR/Cas9-System sei ein vielversprechender Ansatz, solche Störungen zu beheben, heißt es in der Begründung des Kuratoriums zu der Vergabe des Preises. Denkbar seien darüber hinaus auch neue Therapien im Kampf gegen Aids und Einsätze im Agrarsektor. Auch diese Ansätze würden von Wissenschaftlern weltweit erprobt.

Charpentier schon als Schülerin fasziniert von der Biologie

Emmanuelle Charpentier war schon als Schülerin fasziniert von der Biologie; sie träumte davon, später einmal am weltberühmten Institut Pasteur in Paris zu arbeiten. Das 1887 gegründete Forschungszentrum für Biologie und Medizin hat bis heute sieben Nobelpreisträger hervorgebracht, zuletzt Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi, die das HI-Virus entdeckten, den Auslöser der Immunschwächeerkrankung Aids. Charpentier schaffte es tatsächlich ans Pasteur und machte dort ihren Doktor. 1996 zog es sie für Forschungen in die USA; 2002 wechselte sie nach Wien. Nach der Habilitation 2006 ging sie 2008 an die Universität Umeå in Schweden, wo sie bis heute als Gastprofessorin tätig ist. Seit 2013 lehrt sie außerdem mit einer Humboldt-Professur an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Die Hamburger Jung-Stiftung wird am 8. Mai noch zwei weitere Preise vergeben, wie schon in den Vorjahren. Der 75-jährige Zellbiologie Walter Neupert soll für sein Lebenswerk die Ernst-Jung-Medaille für Medizin in Gold erhalten. Neupert forschte und lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Physiologische Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2008 setzt er seine Arbeit am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried fort. Dort beschäftigt er sich weiterhin vor allem mit Mitochondrien. Wenn es in diesen „Kraftwerken“ unserer Zellen zu Fehlfunktionen kommt, kann das zu Stoffwechselstörungen wie Diabetes beitragen. Neupert habe in den 70er-Jahren Pionierarbeit geleistet, indem er den Mechanismus aufdeckte, der für die Teilung und damit für die lebenswichtige Vermehrung von Mitochondrien verantwortlich ist, heißt es in der Begründung des Kuratoriums. Darauf aufbauend habe der Forscher in den vergangenen 35 Jahren weitere Entdeckungen gemacht, die maßgeblich zum Verständnis des in den Mitochondrien stattfindenden Membrantransports von Proteinen beitrugen. Zu der Auszeichnung gehört, dass Neupert einen Nachwuchsforscher auswählen darf, der ein Stipendium in Höhe von 30.000 Euro bekommt.

Über deutlich mehr Geld – 210.000 Euro – darf sich der gebürtige Iraner Behzad Kharabi Masouleh freuen, denn er erhält den diesjährigen Ernst-Jung-Karriere-Förderpreis. Der 34-jährige Assistenzarzt vom Universitätsklinikum Aachen erforscht Leukämie (Blutkrebs), eine Erkrankung, an deren Folgen 2010 in Deutschland mehr als 7000 Menschen starben. In manchen Fällen schlägt eine Blutkrebstherapie nicht an – warum genau, ist bisher unklar. Forschungsbedarf gibt es auch bei der Frage, warum Leukämie in einigen Fällen nach einer anfangs erfolgreichen Therapie erneut wieder auftritt. Nach Antworten sucht Masouleh.

Die Jung-Stiftung sieht den Immunologen dabei „auf einem guten Weg“. Bekannt ist, dass leukämische Stammzellen die Erkrankung erneut auftreten lassen. Erste Ergebnisse aus Masoulehs Forschung zeigten, dass diese Zellen von bestimmten zellulären, höchst komplexen Stressmechanismen abhängig seien. Nun müsse der Mediziner diese Strukturen im Detail identifizieren, verstehen und einen therapeutischen Nutzen für die behandelnden Ärzte ableiten. Das Preisgeld soll es Masouleh ermöglichen, seine Arbeit als Assistenzarzt zeitweise auszusetzen – zugunsten seiner Forschung.