Kuhpocken und Salmonellen: Exotische Vierbeiner wie Bartagamen, Farbratten und Schildkröten können gefährliche Krankheiten übertragen. Fachleute empfehlen Eltern deshalb, auf Reptilien zu verzichten.

Berlin. Plötzlicher Durchfall, obwohl das Essen in Ordnung war? Ein juckender Hautausschlag? Oder eine rätselhafte Schwellung am Auge? Wer mit solchen unklaren Symptomen zum Arzt geht, erzählt dort normalerweise nichts von seinen Haustieren. „Genau das sollte man aber tun“, sagt Ilia Semmler von der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen. In diesem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Netzwerk haben sich Mediziner, Tierärzte und Biologen aus ganz Deutschland zusammengeschlossen. Gemeinsam erforschen sie Krankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden – von der Vogelgrippe bis zur Tuberkulose. Und immer häufiger sind sie dabei mit Infektionen konfrontiert, die sich Menschen bei ihren Haustieren eingefangen haben.

„Solche Zoonosen werden allerdings oft nicht gleich erkannt“, sagt Ilia Semmler. Schließlich kann der Arzt nicht ahnen, dass der Patient sein Heim mit einer Kuschelratte teilt. Oder mit einem Leguan. Auf so eine Infektionsquelle muss man erst einmal kommen. Das ist in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Wer sich vor 20 Jahren ein Kaninchen oder Meerschweinchen aus der nächsten Zoohandlung holte, hat im Internetzeitalter eine viel breitere Auswahl an Arten und Bezugsquellen zur Verfügung. Tiere, die früher nur von ein paar Spezialisten gehalten wurden, ziehen in immer mehr Wohnzimmer ein. Und das kann mitunter zu überraschenden Krankheitsausbrüchen führen.

Kuhpockenviren lösen Augenentzündungen aus

So wie 2008 im Raum Krefeld. Damals hatten sich in den dortigen Krankenhäusern mehrere Patienten mit Hautausschlägen, Kopfschmerzen und Fieber gemeldet, einer litt auch unter massiv geschwollenen Augenlidern. In allen Fällen kamen die Mediziner zu einer ungewöhnlichen Diagnose: Kuhpocken. Diese Virusinfektion war früher vor allem bei Rindern bekannt, kann aber auch alle anderen Säugetiere einschließlich des Menschen befallen. Doch wie hatten sich die Betroffenen den Erreger zugezogen?

Rasch wurde klar, dass es zwischen den Patienten eine Gemeinsamkeit gab: Alle hatten Kontakt zu Farbratten gehabt. Diese Zuchtform der Wanderratte ist mittlerweile ein durchaus etabliertes Heimtier, das man in Zoohandlungen bekommt. Mit den Krefelder Tieren stimmte offenbar etwas nicht. Schon wenige Tage nach dem Kauf hatten die meisten verschorfende Wunden und starben an Atemwegserkrankungen. Zuvor aber hatten sie ihre Besitzer und mehrere weitere Personen angesteckt – wahrscheinlich durch den Kontakt mit dem Wundschorf beim Streicheln. Tatsächlich fanden Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin bei einer Patientin exakt den gleichen Virusstamm wie bei ihren Ratten.

Solche Fälle hat das RKI seither auch in etlichen anderen Regionen Deutschlands dokumentiert. Zwar löst der Kuhpocken-Erreger viel mildere Symptome aus als das verwandte menschliche Pockenvirus, das seit den 70er-Jahren als ausgerottet gilt. Manchmal aber gibt es ernste Komplikationen. In seltenen Fällen kann das Virus in den Augen schwere Entzündungen der Hornhaut auslösen, die bis zur Erblindung führen können. „Derart schwerwiegende Symptome veranlassen uns, zu höchster Vorsicht im Umgang mit den Tieren zu raten“, sagt Christian Ohrloff, Facharzt für Augenheilkunde und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Ophthalmologie. Da Farbratten als Haustiere immer beliebter werden, rechnen er und seine Kollegen mit einer Zunahme solcher Erkrankungen.

Einen ähnlichen Trend verzeichnen Experten auch bei Infektionen, die von Reptilien übertragen werden. Denn auch die Zahl der Menschen, die ihr Heim mit einem Leguan, Chamäleon oder einem Gecko teilen wollen, nimmt zu. Nach einer Schätzung des Industrieverbands Heimtierbedarf lebte 2009 in 1,2 Prozent der deutschen Haushalte mindestens ein Reptil. An der Klinik für kleine Haustiere der Tierärztlichen Hochschule Hannover wurden 1999 mehr als doppelt so viele Schildkröten behandelt wie fünf Jahre zuvor. Die Zahl der Leguane und Agamen unter den Patienten hatte sich im gleichen Zeitraum sogar verzehnfacht.

Großteil ist womöglich mit Salmonellen infiziert

Nun wissen Experten schon lange, dass Reptilien eine ganze Palette von unterschiedlichen Salmonellenvarianten beherbergen. Diese Bakterien lösen Durchfallerkrankungen aus und können vor allem für Kinder und für Erwachsene mit geschwächtem Immunsystem ein Risiko sein. Vor allem Schildkröten waren in den 1970er-Jahren als mögliche Salmonellenüberträger ins Visier geraten. Inzwischen wird allerdings immer klarer, dass dieses Problem auch andere Arten betrifft. Es gibt Studien, nach denen bis zu 90 Prozent der gehaltenen Reptilien mit Salmonellen infiziert sind. Und die Hoffnung, dass sie diese nur in Ausnahmefällen auf den Menschen übertragen würden, hat sich nach Angaben des Robert-Koch-Instituts nicht bestätigt.

So haben die RKI-Experten zwischen Juli 2010 und Oktober 2011 mehr als 200 Fälle von Salmonelleninfektionen bei Kindern unter drei Jahren untersucht. 65 Prozent der isolierten Erreger gehörten nicht zu den üblichen Verdächtigen, die häufig über Lebensmittel übertragen werden. Konnte der Kontakt zu Reptilien etwas mit den Infektionen zu tun haben?

Dieser Frage sind Michael Pees, Tierarzt und Reptilienspezialist der Universität Leipzig, und seine Kollegen nachgegangen. Mehr als die Hälfte der Eltern, zu denen die Forscher Kontakt aufnahmen, erwies sich tatsächlich als Reptilienhalter. Angesichts der geschätzt nicht einmal zwei Prozent der Haushalte, in denen ein Reptil zur Familie gehört, ist das ein erstaunlich hoher Prozentsatz. Also gingen die Wissenschaftler der Sache genauer nach. Bei 36 Reptilien, die Kontakt zu den betroffenen Kindern hatten, nahmen sie Abstriche von der Haut, aus dem Maul und der Kloake. Tatsächlich ließen sich bei fast allen Reptilien Salmonellen nachweisen. In 15 der 19 untersuchten Haushalte fanden sich in Reptilien und Kindern die gleichen Salmonellenvarianten.

Offenbar können die Tiere den Erreger also durchaus auf Kinder übertragen. Dabei gingen die wenigsten der untersuchten Fälle auf das Konto der früher oft verdächtigten Schildkröten. 13 der 19 betroffenen Familien hielten vielmehr die Streifenköpfige Bartagame (Pogona vitticeps). Diese Echsen scheinen als Haustiere nicht nur immer beliebter zu werden. Da sie im Vergleich zu anderen Reptilien ein eher sanftmütiges Naturell haben, werden sie wohl auch häufiger angefasst – mit entsprechend höherem Infektionsrisiko.

Fast alle untersuchten Kinder in dieser Studie waren allerdings noch zu klein, um selbst Kontakt zu den Tieren zu suchen. Wahrscheinlich wird die Infektion also über die Eltern oder auf anderen indirekten Wegen übertragen. „Nicht nur kleinste Kotmengen, sondern auch Hautreste und Speicheltröpfchen können die Keime enthalten“, warnt Ulrich Fegeler vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Schon der Kontakt mit verunreinigten Flächen oder Staubpartikeln genüge für eine Infektion. Sein Verband appelliert an die Eltern kleiner Kinder, ganz auf das Halten von Reptilien zu verzichten oder sehr strenge Hygieneregeln einzuhalten. Babys und Schildkröten auf dem gleichen Boden herumkrabbeln zu lassen, ist zum Beispiel keine gute Idee.

„Wir wollen keine Panik schüren“, sagt Ilia Semmler von der Forschungsplattform für Zoonosen. Für sie bringt das Zusammenleben mit einem Haustier mehr Vorteile als Gefahren mit sich. Man müsse sich aber über die Risiken im Klaren sein, um Infektionen zu vermeiden, sagt die Tierärztin: „Nur wer Bescheid weiß, kann sich schützen.“