Wie die Weltgesundheitsorganisation zu ihrer Einschätzung „möglicherweise krebserregend“ kommt

Hamburg. Mobilfunkgegner argumentieren oft damit, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO die Strahlung von hochfrequenten Feldern, die auch von Handys und WLANs erzeugt werden, seit 2011 als „möglicherweise krebserregend“ einstuft. Wie kommt es zu dieser Einschätzung? „Der Hintergrund ist, dass in wenigen epidemiologischen Studien festgestellt wurde, dass es in kleinen Untergruppen womöglich ein erhöhtes Risiko für bestimmte Hirntumore geben könnte“, erläutert die Biologin Dr. Sarah Drießen vom Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit an der Uniklinik Aachen, wo Studien zum Thema Mobilfunk und Gesundheit ausgewertet werden.

Es gibt verschiedene Arten von epidemiologischen Studien. Bei einer Kohortenstudie etwa wird über eine längere Zeit eine Gruppe von Personen untersucht, die Strahlung unterschiedlich stark ausgesetzt (exponiert) sind. Die Frage kann dann sein, ob bei Personen, die der Strahlung stärker ausgesetzt waren, bestimmte Erkrankungen häufiger auftreten. Bei Fallkontrollstudien gehen Forscher von der Erkrankung aus und fragen die Betroffenen, welchen Einflüssen sie vorher ausgesetzt waren.

Wenn bei einer Studie zwischen exponierten und nicht exponierten Handynutzern unterschieden wird, können die exponierten Nutzer in weitere Gruppen eingeteilt werden: Seit wie vielen Jahren nutzen sie ein Handy, wie viele Stunden telefonieren sie mit dem Gerät pro Monat und so weiter. „So kommen manche Studien auf mehr als 50 Untergruppen“, sagt Sarah Drießen.

Die Mehrzahl der epidemiologischen Studien habe keinen Zusammenhang zwischen Handynutzung und Hirntumoren ergeben. Nur in einigen Untergruppen – bei Menschen, die ihr Handy über viele Jahre sehr oft und intensiv benutzt haben – sei eine minimal höhere Rate an Hirntumoren als bei Normaltelefonierern festgestellt worden. „Allerdings ist auch bei diesen Erkrankten nicht klar, ob Handystrahlung die Ursache ist“, sagt Drießen. Ein Problem könne die mangelhafte Erinnerung der Teilnehmer sein, die zu einer unbewussten Verzerrung von Ergebnissen führe. „So kann es vorkommen, dass ein Patient mit einem Tumor auf der rechten Seite des Kopfes meint, dass er mit seinem Handy auf dieser Seite mehr telefoniert hat, obwohl das Gegenteil der Fall war“, erläutert Drießen.

Einige Studien, in denen Hinweise auf ein erhöhtes Tumorrisiko gefunden wurden, stammten von einer schwedischen Gruppe um Lennart Hardell. Dessen Arbeiten seien umstritten: „Hardell analysiert oft die gleichen Studienpopulationen und findet Trends, die andere Autoren nicht finden“, sagt Drießen. Die WHO habe Hardells Studien aber nicht ignorieren wollen.

Nach einem auslösenden Ereignis dauert es zehn bis 30 Jahre, bis ein Hirntumor auftritt. Etliche Menschen nutzen ihr Handy schon sehr lange. Seit etwa 15 Jahren ist die Nutzung der Geräte stark gestiegen. Bisher sei allerdings kein Anstieg der Erkrankungsrate an Hirntumoren beobachtet worden, sagt Drießen. Zwar lasse sich ein Einfluss trotzdem nicht ausschließen. Aber: „Da wir auch keinen Zusammenhang in tierexperimentellen Studien und auch nicht in den Zellkulturstudien sehen, geht meine Tendenz dazu zu sagen: Wenn da noch ein Effekt wäre, wird der sehr klein sein.“