Auf einem Hamburger Kongress beraten Experten über neue Technik, den Umgang mit Patienten und die Grenzen der Intensivmedizin

Hamburg. Messsonden an zahlreichen Kabeln, deren Daten immerfort über Monitore in blauen, grünen oder weißen Kurven flimmern. Kunststoffschläuche für Infusionen, für die Beatmung und für den Abfluss von Wundsekret. Überwachungssysteme, die ständig piepsen und manchmal auch schrill Alarm schlagen. Und mittendrin liegt ein Mensch, lebensbedrohlich erkrankt, hilflos, oft auch bewusstlos: Intensivstationen sind für Patienten und ihre Angehörigen meist unheimlich, häufig auch Angst einflößend. „Zwar kommt modernste Technik zum Einsatz, aber die Apparate haben nicht das Sagen auf einer Intensivstation. Wir machen keine Apparatemedizin. Apparate dienen nur dazu, Menschenleben zu retten, zu erhalten – und das in guter Qualität“, sagt Prof. Andreas Unterberg. Der Heidelberger Intensivmediziner ist Präsident des Kongresses der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), der gegenwärtig im Congress Center Hamburg stattfindet.

5000 Teilnehmer, davon rund 1200 Pflegekräfte und Rettungsassistenten, sind nach Hamburg gekommen, um sich zwei Tage lang in gut 780 Vorträgen und Präsentationen, 70 Workshops und Schulungen über neue wissenschaftliche und technische Entwicklungen in der Intensivmedizin zu informieren. 119 Hersteller stellen zudem ihre Produkte aus. Darunter auch ein Truck mit einer Intensivstation.

„Wir möchten eine Intensivmedizin betreiben, die Patienten und ihre Angehörigen einbezieht. Wenn die Menschen verstehen, warum welche Maßnahmen getroffen werden, verliert die Intensivstation viel von ihrem Schrecken“, sagt Prof. Unterberg.

Ärzte und Pflegekräfte müssten sich Zeit nehmen und erklären, warum beispielsweise künstlich beatmet wird, welche Medikamente warum verabreicht werden und warum Blutdruck, Herzschlag und Hirnfunktionen überwacht werden, fordert der Intensivmediziner. Manche Patienten verbringen – wie beispielsweise der Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher oder der mittlerweile als geheilt entlassene Ebola-Patient im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) – mehrere Wochen auf einer Intensivstation. „Je aufgeklärter die Betroffenen und ihre Angehörigen sind, desto entspannter ist die Situation“, weiß der Kongresspräsident.

Gegen das Gefühl des Ausgeliefertseins, das sich auf einer Intensivstation leicht einstellt, können auch Angehörige und Betroffene etwas tun. „Es ist hilfreich, wenn Menschen rechtzeitig darüber nachdenken und es möglichst konkret aufschreiben und Verwandten sagen, was sie an lebenserhaltenden Maßnahmen wollen und was auf keinen Fall geschehen soll. Die Patientenautonomie steht auf einer Intensivstation an erster Stelle“, betont Prof. Unterberg. Und das kann eben auch bedeuten, ein würdiges Sterben zu ermöglichen.

Wenn die Mediziner nicht erkennen können, was der Mensch will, helfen manchmal Ethikkonsile weiter. In ihnen besprechen alle Mediziner, die den Patienten behandeln, Juristen, Psychologen und Seelsorger teilweise auch mit den Angehörigen, was geschehen soll. So hatte Prof. Unterberg einen Patienten, der Mitte 60 war und an einer Hirnblutung litt. Er wurde zunächst in ein künstliches Koma gelegt, um die Heilungschancen zu erhöhen. Dem stimmten die Angehörigen zu. Eine Woche später erinnerten sie sich, dass der Patient lebensverlängernde Maßnahmen ihnen gegenüber abgelehnt hatte. „Er hatte früher bereits eine Hirnblutung erlitten. Im Ethikkonsil haben wir abgewogen, was zu tun ist. Schließlich haben wir die lebensunterstützenden Maßnahmen eingestellt. Wir Ärzte kämpfen eben nicht um das Überleben eines jeden Patienten, koste es, was es wolle“, sagt Unterberg. Deshalb diskutieren die Mediziner auf dem Kongress auch über Grenzen der Intensivmedizin. In der Praxis gehören Ethikkonsile auf zahlreichen Intensivstationen inzwischen zum Alltag.

Überhaupt ist vieles, was vor 20 Jahren beim ersten DIVI-Kongress noch sensationell war, mittlerweile Normalität – und manche Erwartungen wurden sogar weit übertroffen. So haben die enormen medizinischen und medizintechnischen Fortschritte die Überlebens- und Heilungschancen Erkrankter deutlich verbessert. Wohl am eindrucksvollsten ist, dass sich die Überlebenschancen von extrem früh geborenen Babys, die gerade einmal 22 Wochen alt sind und knapp 500 Gramm wiegen, von zehn auf 90 Prozent erhöht haben.

Diese medizinische Entwicklung ist nicht allein den technischen Möglichkeiten geschuldet. Denn zum Heilungsprozess trägt auch die menschliche Zuwendung entscheidend bei. Gerade auf Intensivstationen ist der Kontakt zwischen den Patienten und Medizinern sowie Pflegekräften besonders intensiv, da der Betroffene ja nichts eigenständig tun kann. „Das Personal steht dort in engem, auch körperlich engem Kontakt mit den Betroffenen. Sie müssen sich also nicht nur mit der teilweise komplizierten Technik gut auskennen, sondern viel pflegerische Erfahrung mitbringen und mit Betroffenen und Angehörigen viel reden. Das stellt große Anforderungen an alle dort arbeitenden Menschen. Deshalb sind klare Therapieziele und Fortbildungen für Pflegekräfte wie auch für Ärzte wichtig“, sagt Unterberg und verweist auf die zahlreichen Schulungskurse, die im Rahmen des DIVI-Kongresses angeboten werden. So können sich Kongressbesucher beispielsweise in einer Frühchen-Intensivstation, die auf dem Kongress originalgetreu aufgebaut worden ist, fortbilden. Die Säuglinge wurden hier allerdings durch Puppen ersetzt.

Auf die Frage, wie man als Angehöriger eine gute Intensivstation erkennt, antwortet Prof. Andreas Unterberg: „Suchen Sie das Gespräch mit dem Personal. Das ist das A und O – Bestenlisten können Sie getrost vergessen.“ Humanität in der Intensivmedizin hänge davon ab, dass es genügend und gut ausgebildete Menschen gebe, die auf diesem Gebiet arbeiteten.