Eine akustische Kamera erfasst Geräusche der Anlagen so genau, dass sich damit ihr technischer Zustand überwachen lässt

Hamburg. Auf den ersten Blick ähnelt die akustische Kamera mit ihren drei jeweils zwei Meter langen Mikrofonstangen den Untersuchungsobjekten. Auch sie haben drei Arme, verwenden sie jedoch als Flügel und sind viel größer: Windenergieanlagen. Mit der speziellen Kamera, die dreidimensional Schallemissionen aufzeichnet, wollen Forscher der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Lärmquellen an Windrotoren aufspüren. Die Messungen sind so genau, dass sie, so das Ziel des Projekts, kleine Schäden an einzelnen Rotorblättern an den dabei entstehenden ungewöhnlichen Geräuschen erkennen können.

„Windenergieanlagen sind aufwendig zu warten. Sie brauchen nicht nur einen guten Ingenieur, der sich mit der Technik auskennt: Er muss auch noch sportlich und schwindelfrei sein, um in luftigen Höhen von mehr als 100 Metern arbeiten zu können“, sagt Prof. Friedrich Ueberle vom Bereich Medizintechnik der HAW. In der Regel zweimal pro Jahr werden alle wichtigen mechanischen und elektrischen Teile überprüft und gewartet. Dazu werden auch die Rotorblätter auf Schäden abgesucht. Ueberle: „Es wäre eine große Hilfe für die Betreiber, wenn sie vom Boden aus anhand der Schallemissionen erkennen könnten, ob der Rotor unauffällig ist oder ob ungewöhnliche Geräusche, vielleicht ein Pfeifen, eine nähere Inspektion erforderlich machen.“

Der Akustiker, der an der HAW unter anderem die Fächer Lärmanalyse und Lärmbekämpfung lehrt, sowie die Modellierungsexpertin Dr. Dagmar Rokita wollen das Rüstzeug für eine solche Bodenkontrolle liefern – unter dem Dach des Kompetenzzentrums für erneuerbare Energien. Dazu mussten sie zunächst die besondere Kamera anschaffen. „Sie kann mit ihren 48 Mikrofonen, die dreidimensional in einem Durchmesser von 3,80 Meter angeordnet sind, die Schallemissionen räumlich erfassen und dadurch deren Quelle recht genau orten“, erläutert Rokita.

Die Mikrofonabstände von zehn Zentimetern bis knapp vier Metern erlauben Messungen in einer Frequenz-Bandbreite von 100 bis 7000 Hertz. Zudem ist es möglich, sehr genau auf die zu vermessende Lärmquelle zu fokussieren – ein vorbeifahrender Trecker oder Baustellengeräusche werden meist nicht mit aufgenommen. Und sollte sich doch einmal ein Störgeräusch einschleichen, lässt es sich anschließend am Computer eliminieren.

Im nächsten Schritt müssen den erhobenen Schallwerten Farben zugeordnet und in Bilder (Schallprofile) umgewandelt werden, ähnlich wie dies bei einer Wärmebildkamera geschieht. Nur dass in diesem Fall keine Grad Celsius, sondern Dezibel-Werte veranschaulicht werden: Rot steht für hohe Schallemissionen, blau für geringe, grün und gelb markieren das Mittelfeld.

Die rund 100.000 Euro teure akustische Kamera hat zusätzlich eine Videokamera an Bord. Denn die gemessenen Werte müssen an dem rotierenden Windrad verortet werden. Es entsteht ein akustischer Film, der etwa zeigt, dass Schall vor allem in dem Viertel des Windradkreises entsteht, in dem ein Rotorblatt sich zum Boden hin dreht – übertragen auf ein Zifferblatt also zwischen drei und sechs Uhr. Allerdings klebt die „Schallwolke“ im Film nicht direkt am Rotorblatt, sondern scheint hinterherzuhinken. Rokita: „Das liegt daran, dass sich die Schallwellen langsamer bewegen als Licht. Das ist wie bei einem Gewitter: Auch dort sehen wir zuerst den Blitz und hören, je nach Entfernung, erst etwas später den Donner.“

Bislang haben die HAW-Forscher zwei große Windenergieanlagen (WEA) vermessen. Ueberle: „Für eine Anlage brauchen Sie ein halbes, vielleicht ein Dreivierteljahr. Wir müssen bei unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten messen, da sich dann die Rotoren unterschiedlich schnell drehen. Bei Regen können wir mit den sensiblen elektronischen Geräten gar nicht arbeiten.“

Angesichts der zeitintensiven Bestandsaufnahme haben sich Ueberle und Rokita viel vorgenommen: „Wir wollen möglichst viele Windenergieanlagen vermessen und damit eine Datenbank aufbauen. Sie sollte nicht nur viele verschiedene Anlagentypen beinhalten. Wir brauchen im Grunde jede einzelne Anlage, denn eine WEA auf einem Hügel klingt anders als eine Anlage desselben Typs, die auf der flachen Wiese steht und in deren Umgebung sich vielleicht Gebäude befinden.“

Erst wenn sie ein Archiv der Lärmemissionen der Rotoren im Normalbetrieb aufgebaut haben, können diese Dateien als Referenz für zukünftige Messungen gelten. Denn nur Abweichungen vom Standard-Schallprofil eines Rotors deuten auf technische Probleme hin. Bei ihren Messungen hoffen Rokita und Ueberle auf Unterstützung von Studierenden.

Die Forscher haben neben der Anlagenüberwachung noch eine zweite Anwendung im Blick: „Wir wollen auch 3-D-Szenarios für künftige WEA-Projekte erstellen“, sagt Rokita. „Dazu würden wir an einem geplanten Standort zunächst die Umgebungsgeräusche aufnehmen und dann unsere Sounddatei von der geplanten Anlage dort hineinkopieren. So erhalten die Anwohner einen akustischen Eindruck von den zusätzlichen Geräuschen, die mit dem Windenergie-Projekt verbunden sind.“

Auch heute müssen Windrad-Betreiber im Rahmen des Genehmigungsverfahrens reale Schallwerte der errichteten Anlage erheben, sagt Ueberle. „In der Norm, die festschreibt, wie die Anlagen zu vermessen sind, ist die akustische Kamera bislang nicht vorgesehen. Es könnte ein Ziel sein, dies vorzubereiten.“ So wären dann zumindest für diejenigen neuen Anlagen, die bei Inbetriebnahme mit der akustischen Kamera vermessen werden, die akustischen Standard-Profile schon vorhanden.