Europas „Rosetta“-Mission zum Kometen Tschuri soll zeigen, wie die Kinderstube des Sonnensystems aussah

Darmstadt. Die Russen waren die Ersten im All, die Amerikaner die Ersten auf dem Mond – und die Europäer sind die Ersten auf einem Kometen. Als im Kontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtagentur Esa in Darmstadt gestern um 17.03 Uhr die Bestätigung kam, brandete Jubel auf. Wissenschaftler und Ingenieure fielen sich erleichtert in die Arme.

Esa-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain sprach von einem „großen Schritt für die menschliche Zivilisation“. In der Vergangenheit waren Raumsonden zwar Kometen immerhin nahegekommen. Bei der „Giotto“-Mission 1986 zum Halleyschen Kometen und bei der „Stardust“-Mission 2002 zum Kometen Wild 2 flogen Sonden an den Himmelkörpern vorbei; Stardust gelang es sogar, Proben mit winzigen Teilchen aus der nebeligen Hülle von Wild 2 zur Erde zu bringen. Eine Landung der Sonden war nicht vorgesehen.

Eben dies ist nun gelungen: Die Sonde „Rosetta“ hat ihr Mini-Labor „Philae“ auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko abgesetzt, der derzeit mehr als 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt um die Sonne kreist.

Die anfängliche Euphorie im Kontrollzentrum wurde etwa zwei Stunden nach der Landung allerdings gedämpft. Wahrscheinlich haben die Harpunen, die „Philae“ am Boden fixieren sollten, nicht gezündet. Anschließend brach die Funkverbindung zu „Philae“ ab, weil das Modul durch die Drehung des Kometen zeitweise hinter dem Horizont verschwand. Womöglich steht das Mini-Labor nun schief oder es wackelt. Sobald der Kontakt wieder steht, will die Esa über Neuigkeiten informieren.

Die Anziehungskraft des Kometen sei zu groß, als das „Philae“ wegfliegen könnte, sagte Esa-Kometenexperte Gerhard Schwehm, der die „Rosetta“-Mission lange geleitet hat. „Der Lander bleibt an den Kometen gebunden.“ Wenn die Harpunen nicht gezündet hätten, könnte dies erneut veranlasst werden. Schwehm geht davon aus, dass zumindest ein Teil der geplanten Messungen in jedem Fall möglich sein sollte. Den Kometenboden anzubohren, könnte bei einem wackeligen Stand des Mini-Labors allerdings schwierig werden. Die Sonde „Rosetta“, die den Kometen umkreist und ebenfalls Messungen vornimmt, scheint bisher problemlos zu funktionieren.

Zehn Jahre dauerte die Reise der Raumsonde mit ihrem Mini-Labor „Philae“ durchs All. Nach dem Start im März 2004 musste sie erst bei drei Umrundungen der Erde den nötigen Schwung holen, um die Geschwindigkeit des kurz Tschuri genannten Kometen zu erreichen. Derzeit rast der 25 Kubikkilometer große Brocken etwa 18-mal schneller als eine Gewehrkugel durchs All, so Esa-Experte Gerhard Schwehm. Innerhalb von sechseinhalb Jahren umrundet der Komet auf seiner Bahn einmal die Sonne.

„Rosetta“ legte auf ihrer Reise mehrere Milliarden Kilometer zurück, bis sie den Kometen im August dieses Jahres erreichte. Anschließend begann die Sonde damit, den Himmelskörper zu umkreisen. Währenddessen kartografierte eine Spezialkamera die Oberfläche des Kometen. Im Oktober wählten die Experten der Esa einen Landeplatz für das Mini-Labor „Philae“ aus.

Kometen gelten als Überbleibsel aus jenem Zeitraum vor 4,6 Milliarden Jahren, als aus Gas und Staub unser Sonnensystem entstand. Die Erforschung ihrer genauen Zusammensetzung könnte ein neues Licht auf die Geschehnisse in der Frühzeit von Sonne, Erde und anderen Planeten werfen.

Außerdem glauben manche Forscher, dass ein Teil des Wassers auf der Erde von Kometeneinschlägen stammt und dass auch organische Moleküle, die eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des Lebens gespielt haben, durch Kometeneinschläge auf die Erde kamen.

Um diesen Fragen nachzugehen, hat das Mini-Labor „Philae“ zehn Instrumente an Bord. Dazu zählt zum Beispiel „Mupus“, das die Temperatur des Kometen erforschen soll. Außerdem „Sesame“, eine Art Echolot, das in den Füßen des Landers steckt. Das Instrument „Consert“ soll mithilfe von Radiowellen die Struktur des Kometenkerns erforschen.

Entdecker des Zielkometen verfolgten die Landung in Deutschland

Deutschland hat sich mit 300 Millionen Euro an der „Rosetta“-Mission im Weltraum beteiligt. Die Gesamtkosten würden am Ende mehr als 1,3 Milliarden Euro betragen, sagte Esa-Kometenexperte Gerhard Schwehm. Brigitte Zypries, Bundeskoordinatorin für die Luft- und Raumfahrt, lobte die erfolgreiche Landung des Mini-Labors „Philae“ als Beweis höchster Leistungsfähigkeit der europäischen Raumfahrtforschung und -technologie. „Wir erwarten die ersten Ergebnisse, die Schlüsselerkenntnisse über die Entstehung des Lebens auf der Erde liefern könnten, mit großer Spannung“, sagte die Ex-Justizministerin.

Die beiden ukrainischen Astronomen Iwanowitsch Tschurjumow und Svetlana Gerasimenko, die „Rosettas“ Zielkometen 1969 entdeckt hatten und seine Namensgeber sind, erlebten die Landung des Mini-Labors auf „ihrem“ Kometen am Mittwoch übrigens in Deutschland mit: Tschurjumov war in Darmstadt bei der Esa zu Gast, Gerasimenko beim DLR in Köln. „Ich bin sehr froh, dass ich den Kometen entdecken durfte“, sagte Gerasimenko. „Und ich bin stolz darauf, etwas gefunden zu haben, das bleibt.“