Männlicher Legehennennachwuchs wird jährlich millionenfach getötet. Ein Deutsches Forschungsvorhaben zeigt jetzt Alternativen auf

Hamburg. Kaum hat sich das Legehennenküken mit seinem Eizahn aus der Schale gepellt, fällt die Entscheidung über sein Leben und Tod: Ist es männlich, dann passt das Küken nicht zur agrarindustriellen Produktion. Denn Legehennenrassen sind auf maximale Legeleistung gezüchtet, und damit kann ein Hahn nicht dienen.

Als Masttier taugt er ebenfalls nicht, denn hier werden Rassen eingesetzt, die in möglichst kurzer Zeit vor allem viel Brustfleisch ansetzen. Allein in Deutschland werden deshalb jährlich mehr als 40 Millionen Küken wenige Stunden nach dem Schlüpfen getötet. Doch es gibt Vorreiter in Forschung und Landwirtschaft, die Lösungswege aus dem Dilemma aufzeigen.

Nach Nordrhein-Westfalen (NRW) im Jahr 2013 hat jetzt im September auch Hessen ein Tötungsverbot für Eintagsküken verabschiedet. Vorher hatte sich auch schon Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) für ein solches Verbot eingesetzt.

Dennoch wird dieses vorerst nicht kommen. In NRW haben elf von zwölf Brütereien eine Klage gegen das Verbot angestrengt – zu der heutigen Praxis gebe es bislang keine Alternativen, so der Geflügelwirtschaftsverband. Ein Verbot werde die Brütereien in den Ruin treiben.

Möglichst frühzeitig das Geschlecht im Ei bestimmen

Ein Schwergewicht der Branche ist das Unternehmen Lohmann Tierzucht in Cuxhaven. Es beteiligte sich an einem Forschungsvorhaben unter der Regie der Universität Leipzig. Das Ziel: möglichst frühzeitig das Geschlecht des Embryos im Ei bestimmen, damit die männlichen Nachkommen gar nicht erst zum Küken heranwachsen. Dabei kommen zwei Ansätze infrage.

Als vielversprechend bezeichnet das Leipziger Forschungsprojekt die sogenannte Nah-Infrarot-Raman-Spektroskopie. Sie nutzt die Tatsache, dass verschiedene Zellinhaltsstoffe der Keimscheibe (frühes Befruchtungsstadium) eingestrahltes Licht einer definierten Wellenlänge in charakteristischen Spektren streuen.

Anhand dieser Spektren lässt sich bereits nach drei Bruttagen erkennen, ob ein männliches oder ein weibliches Küken heranreift. Die aussortierten Eier könnten wahrscheinlich, wie heute schon die geschlüpften männlichen Küken, zu Tierfutter werden.

Per Laser muss ein Loch in die Schale gebohrt werden

Die Geschlechtsbestimmung erfolge ohne direkten Kontakt mit dem Ei, es werde ihm kein Material entnommen, betonen die Wissenschaftler. Die Untersuchung sei recht kostengünstig, dauere pro Ei nur einige Sekunden. Allerdings muss per Laser ein Loch in die Schale gebohrt werden, das später verschlossen werden muss.

Doch „bislang gibt es keine Anzeichen einer gravierenden Verminderung der Schlupfrate“, heißt es in einer Ausarbeitung. Nun soll die Methode mit großen Eizahlen getestet und weiterentwickelt werden.

Das Unternehmen Lohmann sieht in der Untersuchung dagegen einen „erheblichen Eingriff am Ei“. Sie sei längst noch nicht verfügbar, denn „bislang liegen keine belastbaren Erkenntnisse zu den Auswirkungen eines routinemäßigen Einsatzes der Technik in der Praxis auf die Schlupffähigkeit und die Vorhersagegenauigkeit des Geschlechts vor“, heißt es in einer Stellungnahme.

Das zweite Verfahren bestimmt das Geschlecht des heranwachsenden Kükens anhand unterschiedlicher Hormongehalte in der embryonalen Harnblase (Allantois). Die Unterschiede bilden sich allerdings erst ab dem neunten Brutschrank-Tag heraus.

Ab zehnten Tag der Bebrütung tut es weh

Um aus der Allantois eine Flüssigkeitsprobe entnehmen zu können, muss auch hier die Eierschale durchbohrt werden. Das dabei entstehende Löchlein ist jedoch so winzig, dass es nicht extra verschlossen werden muss, wenn der Östrogengehalt auf eine weibliche Frucht hinweist. Die Schlupfrate der beprobten Eier sei lediglich drei Prozent niedriger als normal, so die Forscher.

Der Nachteil: Das Analyseverfahren nimmt derzeit noch drei Stunden in Anspruch und kostet pro geschlüpfter Legehenne rund 30 Cent. Zudem muss das Ei mindestens neun Tage bebrütet worden sein. Der Tierschutzverband Vier Pfoten kritisiert: „Eine Methode ist nicht akzeptabel, wenn das Schmerzempfinden der Embryos bereits ausgebildet ist. Das ist etwa am zehnten Tag der Bebrütung der Fall.“

Einen anderen Lösungsweg beschreitet das Bruderhahn-Projekt, das seine Wurzeln im Bauckhof Klein Süstedt bei Uelzen hat. Seit Januar 2013 dürfen dort und inzwischen in weiteren 18 deutschen Bio-Höfen die männlichen Legehennenküken zu Masthähnchen heranwachsen.

Bruderhähne werden über ihre Schwestern subventioniert

Da diese dazu mehr Zeit brauchen als die speziell auf Fleischansatz gezüchteten Kollegen und dennoch ein geringeres Schlachtgewicht liefern, werden die Bruderhähne über ihre eierlegenden Schwestern subventioniert: Die Verbraucher zahlen pro Ei vier Cent mehr, der Aufpreis fließt in die Hähnchenmast.

In ihrem ersten Jahr vermarktete die „Bruderhahn Initiative Deutschland“, kurz BID, vier Millionen Eier mit dem BID-Label und zog rund 10.000 Hähne groß. In diesem Jahr wird sich der Absatz etwa verdoppeln, und bei den Hähnen gab es schon Lieferengpässe. Dass diese respektables Fleisch liefern, finden unter anderem die Betreiber des Restaurants Lokal1 auf der Sternschanze. Dort steht auf der wechselnden Speisekarte regelmäßig „Coque au vin vom Bruderhahn“.

Der eleganteste Weg aus der Kükenvernichtung sind sogenannte Zweinutzungshühner: Rassen, deren Hennen ausreichend viel Eier legen und bei denen beide Geschlechter gleichzeitig genügend Fleisch ansetzen. Der Ansatz gibt nicht nur den männlichen Legehennenküken eine Überlebenschance, sondern wirkt auch der Zucht auf Hochleistung entgegen, die oft als Qualzucht kritisiert wird.

Die Beine können das Gewicht nicht tragen

So setzen Turbo-Masthähnchen an der Brust so viel Fleisch an, dass ihre Beine das Gewicht nicht halten können. Diese verformen sich, und die Tiere legen die übergroße Brust auf dem Boden ab, was zu Wunden und Entzündungen führt. Und Legehennen erkranken an der sogenannten Knochenweiche, weil durch die hohe Legeleistung den Knochen Kalzium zur Bildung der Eierschale entzogen wird.

Auch bei den Zweinutzungsrassen ist die Cuxhavener Lohmann Tierzucht im Geschäft, mit ihrer neuen Kreuzung Lohmann Dual. Die Henne legt pro Jahr respektable 250 Eier, bleibt aber hinter den Hochleistungsrassen zurück, die gut 300 Eier schaffen. Die Hähne sind einem (ebenfalls langsam wachsenden) Standard-Masthahn im Fleischansatz unterlegen.

Werden sie nach 70 Tagen geschlachtet, liefern sie zwei Kilogramm schwere Braten, während die hochgezüchtete Konkurrenten ein Schlachtgewicht von 2800 Kilogramm erreichen. Beides ist nicht zu verwechseln mit schnell wachsenden Ein-Kilo-Hähnchen, die nur 30 Tage alt werden.

Bei Coop macht die Rasse Karriere

„In Deutschland besteht zurzeit keine Nachfrage nach der Rasse“, sagt Prof. Rudolf Preisinger, Geschäftsführer der Lohmann Tierzucht. Österreich sei da schon weiter, berichtet Kornel Cimer von Vier Pfoten: „Mir sind sieben Ställe mit jeweils 3000 Tieren der Rasse Lohmann Dual bekannt.“

Auch in der Schweiz macht die Rasse Karriere: Die Coop-Genossenschaft, eine große Lebensmittelkette, ließ auf einem Bio-Hof im Emmental 2500 Hennen und ebenso viele Hähne der neuen Hühnerrasse mästen. Das erste Fleisch der Hähne kam im März auf den Markt, die Eier folgten Anfang Juli in der Region Zürich.

„Die Poulets haben sich sehr großer Beliebtheit erfreut und haben auch geschmacklich überzeugt“, sagt Coop-Sprecher Urs Meier. „Die Kunden haben uns zum Engagement gratuliert. Die zweite Serie ist bereits in Produktion. Die männlichen Tiere sind wiederum auf einem Bio-Pouletmastbetrieb im Emmental eingestallt. Sie kommen in der Kalenderwoche 47 in den Verkauf.“

Deutsche Hennen erzeugen gut 13 Milliarden Eier

38,4 Millionen Legehennen werden in Deutschland gehalten. Allein 14,1 Millionen Hennen leben in Niedersachsen. Rang zwei belegt Nordrhein-Westfalen (4,4 Mio.), gefolgt von Bayern (3,5 Mio.), Brandenburg und Sachsen (jeweils 3,1 Mio. Tiere, Stand Dezember 2013).

Die Eierproduktion erreichte im Vorjahr 13,7 Milliarden Stück. Zusätzliche knapp vier Milliarden Eier mussten 2013 importiert werden, um den deutschen Bedarf zu decken. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei 218 Eiern im Jahr, knapp die Hälfte ist verarbeitet (in Kuchen, Nudeln etc.).

Hochleistungshennen legen bis zu 320 Eier im Jahr und werden geschlachtet, wenn die Leistung abfällt – meist nach gut einem Jahr. Sie taugen dann nur noch für Hühnersuppe oder als Tierfutter.

25 Brütereien liefern in Deutschland den Betrieben den Hennen-Nachschub. 2013 wurden rund 44 Millionen Legehennen-Küken ausgebrütet (Brutzeit: etwa 20 Tage). Bei der Vermehrung fallen ebenso viele männliche Küken an, die mit CO2 erstickt oder im „Homogenisator“ (einem großen Fleischwolf ähnlich) getötet werden. Sie enden als Tierfutter oder werden zu Knochenmehl vermahlen.