Das Glücksspiel im Netz wurde erst um die Jahrtausendwende populär und rückte somit noch später in das Blickfeld der Wissenschaftler. Betriebswirt Ingo Fiedler promovierte zu dem Thema und baute eigens dafür eine umfassende Datenbank auf

Das Onlinepoker-Portal PokerStars besucht Ingo Fiedler regelmäßig, ebenso die Sportwettportale Bwin und Tipico. Allerdings frönt der 31-jährige Hamburger dabei keinesfalls einer Spielleidenschaft, sondern seziert im Namen der Wissenschaft Zahlungsmethoden oder Spielerverhalten. „Das Selbstexperiment hat ja Tradition in der Forschung“, sagt Fiedler, der das Glücksspiel am gleichnamigen Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg untersucht, augenzwinkernd. Im Privaten bevorzugt er allerdings strategische Brettspiele.

Seine Themen rund um das Glücksspiel fächern sich weit auf: Die Schwerpunkte umfassen zum Beispiel das Entscheidungsverhalten bei Süchtigen, Interaktionen von Kriminellen, Geldwäschern und Ermittlern, aber auch den Markt für Onlinepoker sowie Gefährdungspotenziale, soziale Kosten und die Regulierung des Glücksspiels. „Es gibt so viele Facetten in der Wirtschaft, die ich über die breite methodische Palette von Mikro- und Verhaltensökonomik, Gesundheit und Recht untersuche“, sagt der promovierte Betriebs- und Volkswirt. Seine Studien erinnern bisweilen an einen Krimi, zumindest wenn es um Fragen wie Geldwäsche oder organisiertes Verbrechen im Internet-Kasino oder bei Online-Sportwetten geht.

Zu seinem Forschungsthema Glücksspiel brachte ihn – wie sollte es anders sein – zum Teil der Zufall. Nach dem Abschluss seines Betriebswirtschaftsstudiums im Jahr 2008 an der Universität Hamburg – den Volkswirt hängte er später an – begann die Suche nach einem Thema für seine Doktorarbeit. Michael Adams, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg und als Mitglied des Fachbeirats für Glückspielsucht beratend für die Gesetzgebung der Bundesländer tätig, brachte den jungen Ökonomen auf das noch frische Forschungsfeld. „Das Terrain lag in der Wissenschaft damals noch relativ brach“, sagt Fiedler, der sich als neugierig und experimentierfreudig beschreibt. Etwa 70 Prozent der Fachliteratur sei in den vergangenen 15Jahren verfasst worden. Das Online-Glücksspiel – sein heutiger Schwerpunkt – wurde ohnehin erst um die Jahrtausendwende populär und rückte so noch später ins Blickfeld der Wissenschaftler. Und auch heute ergäben sich durch die beständig fortschreitende Technologisierung und Internationalisierung immer wieder neue Ansatzpunkte. Schon deshalb habe ihn das Thema sofort fasziniert. Seine Promotion, später als beste im Fachbereich ausgezeichnet, beendete er im Jahr 2012 zum Thema: „Empirische Studien zum Onlinepoker“.

„Damals war Onlinepoker in aller Welt ein illegaler Markt – aber mit Milliarden-Umsätzen“, sagt Fiedler. Zahlen zu Nutzern oder zur Struktur des Marktes fehlten gänzlich. Fiedler baute für seine Studien deshalb zuerst eine umfassende Online-Datenbank auf. Dafür loggte sich eine Software bei den jeweiligen Anbietern ein und zeichnete alle zehn Minuten automatisch die Informationen über die Spieler auf – und kam so auf 4,6 Millionen Online-Pokeridentitäten. Anhand dieser Spieleridentitäten erhob Fiedler Häufigkeit oder Dauer des Pokerspiels unterschiedlicher Nutzer, deren Herkunftsort, eingesetzte und verlorene Beträge. „Damit gab es weltweit erstmals valides Datenmaterial zum Onlinepoker-Markt und dessen Struktur“, sagt Fiedler. Was ihm und der Uni Hamburg über Nacht internationale Bekanntheit einbrachte.

Seine Studien zeigten unter anderem, dass Deutschland der zweitgrößte Markt für Online-Poker ist, 580.000 Deutsche pokern im Netz und verlieren dabei pro Jahr 378 Millionen US-Dollar. Ein weiteres Ergebnis damals: Rund ein Prozent der Spieler bewegen 56 Prozent der Umsätze am Pokertisch im Netz. „Diese Konzentration deutet auf ein immenses Suchtpotenzial und einen hohen Professionalisierungsgrad hin“, sagt Fiedler. Entsprechend ließen sich die Daten auch für die Prävention und die Regulierung im Internet nutzen.

Während die Zahlen der Online- Pokerspieler inzwischen zurückgehen, verzockten laut Folgeerhebung von Fiedler und seiner Kollegin Ann-Christin Wilcke im Jahr 2010 weltweit noch sechs Millionen Spieler rund 3,6 Milliarden Dollar. 2013 setzen nur noch 4,4Millionen Spieler rund 2,1 Milliarden Dollar um. Gleichwohl steigen die Umsätze im gesamten Online-Glücksspielmarkt jedoch weiter an. „Die boomenden Sportwetten haben das Pokerspiel im Internet inzwischen weit hinter sich gelassen“, sagt Fiedler.

Das derzeitige Hauptaugenmerk des Wirtschaftswissenschaftlers richtet sich vor allem auf den Bereich Social Gaming und Social Gambling. „Aktuell halten verstärkt soziale Elemente im Glücksspiel Einzug“, berichtet Fiedler. Das reiche von Rankings über Turniere bis zu Spielergemeinschaften. Auf der anderen Seite integrieren Entwickler in den Online-Games vermehrt Elemente des Glücksspiels. Die Daten der Spieler nutzen Anbieter dann, um diesen im nächsten Schritt gezielt Glücksspiele im Netz anzubieten. „Der Bereich eröffnet noch reichlich Potenzial für die Forschung“, sagt Fiedler, der sich gerade für drei Monate an der Concordia Universität in Montreal mit Kollegen aus Soziologie, Anthropologie, Psychologie und Ökonomik dazu austauscht. Die Verknüpfung zu einer interdisziplinären Fachgruppe soll das Ausleuchten des Themas aus unterschiedlichen Blickwinkeln vorantreiben.

In Fiedlers zweitem Großprojekt geht es um Prävention von Spielsucht. „Der Hauptteil des Marktes baut auf Süchtigen auf“, sagt der Wissenschaftler. Hier gelte es, mit sinnvollen Ansätzen gegenzusteuern und vorzubeugen – schließlich ziehe die Sucht immense soziale Kosten nach sich. „Damit solche Maßnahmen umgesetzt werden, bedarf es einer guten Vernetzung in die Politik“, sagt Fiedler. Schließlich pflege die Lobby der Glücksspiel-Industrie ebenfalls ihre Kontakte in die Ministerien. Das gehöre zwar nicht zu seinen Dienstaufgaben. Aber nur für die Schublade zu forschen, sei schlicht unbefriedigend.