Die neue Chefin der UKE-Kinderklinik, Prof. Ania C. Muntau, über weibliche Führungskräfte, mehr Geld für Forschung und den Klinikneubau

Eppendorf. Prof. Ania C. Muntau ist seit dem 1. September 2014 Leiterin der Kinderklinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Seit 2006 war sie Professorin für Molekulare Pädiatrie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie wird bei der Gestaltung des Neubaus der Kinderklinik viele Erkenntnisse aus der Kinderheilkunde umsetzen.

Seit mehr als 20 Jahren forscht die 48-jährige Ärztin klinisch und wissenschaftlich auf dem Gebiet seltener genetischer Krankheiten und angeborener Stoffwechselleiden wie zum Beispiel der Phenylketonurie. Viele dieser Erkrankungen können bei Kindern schwere neurologische Defekte verursachen. Frau Prof. Muntau war federführend an einer Entwicklung des Mittels BH4 beteiligt, das eine lebenslange strenge Diät überflüssig macht.

Hamburger Abendblatt:

Wie fühlt man sich als eine der wenigen Frauen unter lauter männlichen UKE-Klinikchefs?

Prof. Dr. Ania C. Muntau:

Wunderbar. Ich bin in meinem Leben glücklicherweise nicht wegen meines Geschlechts benachteiligt worden oder habe in dieser Hinsicht schlechte Erfahrungen gemacht. Außerdem bewege ich mich gern in einem männlich geprägten Umfeld.

Weil Sie es als Frau da leichter haben?

Muntau:

Nein, leichter ist es nicht. Als Frau müssen Sie oft zeigen, dass Sie zu den Besten gehören und müssen sich immer wieder beweisen. Außerdem wünsche ich mir, dass erfolgreiche Frauen sich stärker unterstützen.

Sie haben in München ein Mentoringprogramm geleitet, bei dem junge Frauen gefördert werden. Warum?

Muntau:

Weil zu einer modernen Führungskultur gehört, dass Frauen und Männer an der Spitze gleichermaßen vertreten sind. Es ist doch paradox, dass 60 Prozent aller Medizinstudierenden Frauen sind, bei der Habilitation die Schere dann allerdings auseinander geht und nur wenige eine Führungsposition erreichen. Die große Mehrheit der jungen Medizinerinnen hat allerdings jüngst erklärt, dass eine Führungsposition nicht ihr Lebensziel sei.

Sie haben angekündigt, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit ein Wesensmerkmal der neuen Kinderklinik sein werde. Was verstehen Sie darunter?

Muntau:

Kindermedizin ist bereits jetzt ein Feld, auf dem unterschiedliche medizinische Fachrichtungen eng zusammenarbeiten. Der Schritt, den wir mit der neuen Klinik gehen werden, ist eigentlich einfach: wir führen die unterschiedlichen Disziplinen enger räumlich zusammen. Dies wird durch engeren Austausch und kürzere Wege die Qualität der Versorgung verbessern.

Fürchten Sie nicht, dass es schwierig werden könnte, wenn die „Platzhirsche“ jetzt eng zusammenarbeiten müssen?

Muntau:

Nein, das fürchte ich nicht. Jeder Spezialist wird eine bessere Leistung dadurch abliefern können, dass andere Spezialisten in der Nähe sind. Wenn ein erwachsener Patient mit einem Herzinfarkt eingeliefert wird, dann ist klar, wohin er gehört und was zu tun ist. Wenn ein Kind mit Bauchschmerzen kommt, ist die Spannbreite dessen, an was es leiden könnte, viel größer. In der Kindermedizin geht vieles fließend ineinander über.

Wie wollen Sie den Spagat zwischen Universität und Klinikum hinbekommen?

Muntau:

Die Kunst besteht darin, es den wissenschaftlich arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu ermöglichen, Aufgaben sowohl in der Klinik als auch in der Forschung zu erfüllen. Dazu müssen wir entsprechende Freiräume schaffen, denn beides gleichzeitig zu machen funktioniert nicht. Wir benötigen einen geschützten Raum für forschende Ärzte, gerade während ihrer Ausbildung zum Facharzt. So lernen die jungen Mitarbeiter von Anfang an, Entwicklung und Anwendung miteinander zu verbinden. Um dies umzusetzen, erhält jeder junge Mediziner einen Mentor, der sie oder ihn eng begleitet.

Das heißt, sie benötigen einen größeren Personaletat?

Muntau:

Wissenschaftliche Arbeit ist nur mit zusätzlichen finanziellen Mitteln möglich. Deshalb werden unsere Forscher sich noch stärker als schon bisher um Stipendien bewerben. Zudem wollen wir Fellowship-Programme auflegen, also private Mäzene und Unternehmen davon überzeugen, Forschungsprogramme für junge Ärzte zu unterstützen. So könnte durch eine Spende drei Jahre eine Arztstelle für die Forschung finanziert werden. Hinzu kommen weitere Kooperationen mit Wissenschaftsinstitutionen und die Zusammenarbeit mit der Industrie, um Forschungsstrukturen zu schaffen, die auch den jungen Medizinern dabei helfen, den Sprung in die Spitzenforschung zu schaffen und sich langfristig im universitären Umfeld zu etablieren.

Sie forschen erfolgreich auf dem Gebiet der seltenen Krankheiten. Wie wird es mit Ihrer Forschung weitergehen?

Muntau:

Die Forschung zu den seltenen angeborenen Erkrankungen ist für meinen Ehemann und mich eine Lebensaufgabe und wir wollen diese hier in Hamburg fortsetzen, denn auch mein Mann, der als Arzt rein wissenschaftlich tätig ist, plant seinen Wechsel. Dazu haben wir im UKE sehr gute Räumlichkeiten erhalten. Außerdem werden die wichtigsten Mitglieder unseres Teams nach Hamburg umsiedeln.

Was treibt Sie an?

Muntau:

Es gibt kein größeres Privileg, als kranken Kindern zu helfen, indem man Klinik, Forschung und Lehre miteinander verbindet. Wir beschäftigen uns mit Krankheiten, an denen unsere kleinen Patienten ihr Leben lang leiden oder früh daran sterben. Es ist ein großartiges Gefühl, durch die Forschung das Wesen einer Erkrankung zu begreifen und vielleicht ein Mittel dagegen zu finden. Die Politik hat die Bedingungen für die Zulassung eines Medikaments im Bereich der seltenen Krankheiten vereinfacht und verbilligt. Wir werden hier in Hamburg den Wind mitnehmen, um neue Medikamente für unsere Patienten zu entwickeln.

Sie sagten kürzlich, die UKE-Kinderklinik solle eine Klinik werden, die etwas wagt, was andere Krankenhäuser nicht wagen. Wollen Sie die unlösbare Fälle?

Muntau:

Dieser Anspruch hat mit meinen Erfahrungen als Ärztin zu tun, die mich geprägt haben. Ich habe immer wieder Patienten behandelt, für die es noch keine Behandlung gab. Es geht mir darum, bei der Rettung eines Kindes nicht aufzugeben, sondern immer und immer wieder zu versuchen, die Krankheit zu verstehen. Ich erinnere mich an Matthias, für den als Baby wegen seiner Stoffwechselerkrankung kaum mehr Hoffnung bestand. Wir haben eine neue, auf Matthias bezogene Diät entwickelt. Heute ist er 18 Jahre alt und arbeitet auf dem Bauernhof seiner Eltern.

Das klingt ein wenig nach „Dr. House“, dem Arzt aus der Fernsehserie.

Muntau:

Ich halte es für die Aufgabe einer Universitätsklinik, sich solcher Patienten anzunehmen, auch dadurch entsteht medizinischer Fortschritt. Sich an Leitlinien und erprobte Behandlungsmethoden zu halten ist unverzichtbar für jeden klinischen Betrieb. Wir sind darüber hinaus verantwortlich dafür, auch für die schwierigen Fälle nach Lösungen zu suchen. Wir müssen uns für jeden einzelnen Patienten Gedanken über den Stand des Wissens hinaus machen.

Wodurch wird die neue Kinderklinik sich auszeichnen?

Muntau:

Die Kunst besteht darin, in der Klinik eine Atmosphäre zu schaffen, die nicht den Eindruck eines Krankenhauses vermittelt. Das hat weniger mit dem Grundriss zu tun - die Patienten werden ja medizinisch behandelt und dafür wurden die funktionalen Aspekte berücksichtigt. Es ist vielmehr eine Frage der Gestaltung. Wir müssen es schaffen, den Aufenthalt im Krankenhaus von Angst zu befreien und mit positiven Gefühlen zu besetzen.

Aber ein Krankenhaus bleibt ein Krankenhaus.

Muntau:

Das ist richtig. Genauso richtig ist aber, dass in unserer Kinderklinik die Patienten oftmals eine lange Zeit verbringen werden. Ich habe Kinder erlebt, die 270 Tage im Jahr im Krankenhaus waren. Daher wird die Klinik zu ihrem Lebensumfeld, dem sie vertrauen können und in dem sie sich trotz ihrer Erkrankung wohl fühlen müssen. Es ist unser Ziel, dass unsere Patienten auch in der Klinik Kind sein dürfen und ihr Leben mit Freunden, Eltern und Geschwistern haben.