Das Zoologische Museum in Hamburg startet eine Vortragsreihe zu Drachen, Blutsaugern und anderen sagenumwobenen Tieren. Am Donnerstag beginnt die Reihe mit der Naturgeschichte von Drachen.

Hamburg. Am Eingang des Zoologischen Museums steht ein mannshohes Exponat eines Narwal-Schädels. Er gehörte einem weiblichen Tier, dennoch ragen aus ihm zwei meterlange Zähne heraus. Bei Narwalen bilden normalerweise nur Männchen ein Horn aus. Ein Horn, nicht zwei. Dennoch handelt es sich hier nicht um ein Fabelwesen, sondern um eine Laune der Natur. Narwale sind die biologische Vorlage des sagenumwobenen Einhorns. Den wissenschaftlichen Aspekten von solchen Fabeltieren widmet sich die Vortragsreihe „Fantastische Zoologie“ im Großen Hörsaal des Museums.

Prof. Olav Giere, Vorstand im Naturwissenschaftlichen Verein Hamburg, hat den Vortragsreigen organisiert. „Die Wissenschaft ist der Wahrheit verpflichtet. Wir wollen mit den Vorträgen aufklären angesichts des weitverbreiteten Aberglaubens über Fabeltiere. Dabei werden wir auch die oft merkwürdigen Beweisführungen zur vermeintlichen Existenz der Tiere auf die Schippe nehmen“, sagt Giere. Schließlich gelte es „die Wissenschaft auch von der ironischen Seite zu sehen und zu zeigen, dass sie nicht immer nur bierernst ist“. Dennoch betonen Giere und seine beiden vortragenden Kollegen Dr. Reinmar Grimm und Dr. Henry Tiemann, dass die Suche nach den Ursprüngen von Fabeltieren oder sogar der Nachweis von großen Tieren, die bislang nur in Erzählungen existieren, durchaus ernst zu nehmende Wissenschaft sei. Sie ist ein Zweig der Kryptozoologie, die auch als „Studie der verborgenen Tiere“ bezeichnet wird.

Den Drachen ist ein eigener Fachbereich gewidmet, die Dracologie. Die Fabelwesen werden am heutigen Donnerstag den Auftakt der Vortragsreihe bilden. Der moderne Drache par excellence ist der Komodowaran, eine bis zu drei Meter lange Echse, die auf einigen der Kleinen Sundainseln (Indonesien) lebt. Doch sie kann höchstens als Vorlage der asiatischen Drachen gelten und erklärt nicht den weltweiten „Artenreichtum“ unter den Drachen und deren weit zurückreichende historische Wurzeln. Giere: „Drachen sind schon in der Bibel beschrieben, im Buch Hiob. Sie sind überall auf der Welt vertreten. Woran das liegt, ist ungewiss.“ Womöglich inspirierten Überreste von Flugsauriern die eine oder andere Drachenerscheinung, vermutet Giere.

Der nördlichste Drachenfundort in Deutschland ist Ecklak in der Wilstermarsch. „In Süddeutschland sind sie häufiger, dort gibt es Berge und Höhlen und damit bessere Drachen-Lebensräume“, sagt Giere augenzwinkernd. Im Mittelalter sei die Existenz von Drachen nicht angezweifelt worden; sie seien den Reptilien zugeordnet worden. Dort findet sich heute noch eine Art, die den lateinischen Namen Draco volans trägt, der Gemeine Flugdrache: ein kleines, schuppiges Kriechtier, das dank seiner Flughäute tatsächlich durch die Luft gleiten kann und in den Regenwäldern Südostasiens lebt.

Drachen gibt es in drei Ausführungen: zweibeinig mit Flügeln, vierbeinig und vierbeinig mit Flügeln. In China bringen sie Glück, bei uns gelten sie als böse, als Feuer speiende Monster. Doch wie speien sie Feuer? Auch dieser Frage gingen Wissenschaftler nach und veröffentlichten dazu auch schon in wissenschaftlichen Publikationen – meist sind es englische oder US-amerikanische Forscher, in Deutschland ist die Kryptozoologie eher verpönt.

Wie also speien Drachen Feuer? Giere: „Es gibt verschiedene Theorien, wie der Brennstoff gebildet werden kann. Dabei kommen Wasserstoff, Methan und Alkohol in Frage.“ Schwieriger werde es beim Zündmechanismus. Hier könnte der Bombardierkäfer Pate gestanden haben. „Er produziert mit zwei Drüsen in seinem Hinterleib zwei Substanzen – Wasserstoffperoxid und Hydrochinon. Bei Gefahr entlässt der Käfer diese Stoffe, die dann explosionsartig miteinander reagieren.“

Der berühmteste deutsche Drache ist wohl Tabaluga (klein, grün und ausnahmsweise freundlich), der bekannteste schottische ist Nessi. „Die Hälfte der Bevölkerung ist davon überzeugt, dass Nessi und andere Monster in schottischen Seen leben“, sagt Giere, der selbst in Schottland geforscht hat – nicht über Ungeheuer, sondern zur „Sandlückenfauna“, zu Kleinstlebewesen, die zwischen Sandkörnern leben. „Erstmals wurden Nessi-Sichtungen vor 500, 600 Jahren gemeldet. Also muss der See eine ganze Population beherbergen, denn so lange kann kein einzelnes Tier leben“, gibt Giere zu bedenken. Englische Kryptozoologen haben errechnet, dass ein Bestand von zehn bis 40 Exemplaren nötig wäre, um die Art zu erhalten – mit Blick auf diese Größenordnung gibt es erstaunlich wenige Sichtungen.

Nach allem, was über Nessi dokumentiert ist, könnte es sich nur um ein Reptil handeln, so Giere. „Das Tier soll zehn bis 20 Meter groß sein. So groß wird kein Süßwasserfisch.“ Reptilien müssten aber regelmäßig an die Wasseroberfläche kommen, um zu atmen. Die plausibelste Nessi-Theorie sieht der Zoologe im Fach der Psychologie: „Wenn man mit dem Gedanken am Seeufer steht, dass dort etwas auftauchen könnte, dann sieht man, was man sehen möchte, und deutet auftauchende Otter oder treibende Baumstämme um.“ Übrigens sind die Schotten nicht allein: Auch in schwedischen, kanadischen und japanischen Seen wurden schon Ungeheuer gesichtet.

Bei den Drachen ist die Lage klar: Fabelwesen. Und auch den Yeti, den Schneemenschen, haben Forscher der Universitäten Oxford und Lausanne im Juli diesen Jahres ins Reich der Fabeln verwiesen: Erbgut-Untersuchungen von Haaren, die dem Yeti zugeordnet werden, deuten auf das Fell eines prähistorischen Bären hin, der vor 40.000 Jahren lebte und den heutigen Eisbären ähnelte. Doch wer sagt denn, dass in einer abgelegenen Himalaja-Region nicht noch Nachfahren des prähistorischen Bären leben, die noch nicht entdeckt wurden? Der Yeti ist tot – es lebe der Himalaja-Eisbär.

Weitere Fabelwesen haben menschliche Vorlagen, etwa Vampire und Werwölfe. Hier sei der Hintergrund deutlich finsterer als bei den Drachen, sagt Reinmar Grimm: „Der bekannteste Vampir, Graf Dracula, geht auf den Klanfürst Vlad III. zurück, der in der Walachei im heutigen Rumänien lebte. Er war für seine unglaubliche Grausamkeit bekannt. So ließ er Menschen pfählen. Sie wurden auf Pfähle gesetzt und durch ihr Eigengewicht allmählich durchbohrt.“

Der Fürst habe den Beinamen Dracul getragen, weil seine Familie dem Drachenorden, einem katholischen Adelsorden, angehörte. Sein schwarzer Umhang verwandelte Dracula bei seinen nächtlichen Streifzügen zur Blutentnahme in ein fledermausartiges Wesen. „Vampire sind satanisch. Dort, wo man an sie glaubt, wird der Teufel oft auch als Fledermaus dargestellt – vielen Menschen waren die nachtaktiven Tiere, die lautlos durch die Luft flattern, unheimlich.“ Hinzu kam die Angst vor Untoten. Grimm: „Aus Furcht, die Toten könnten wiederauferstehen, wurden im Mittelalter Leichnamen Pflöcke durch die Brust geschlagen oder die Köpfe abgetrennt. Schwere Grabsteine sollten verhindern, dass die Toten ihre Gräber verlassen können.“

Die Vampirfledermäuse haben ihren Namen aber durch die Vampirgeschichten und nicht umgekehrt, so Grimm. Von ihnen gibt es drei Arten. Es sind sehr kleine Fledermäuse, die in Südamerika leben und tatsächlich Blutmahlzeiten einnehmen. Dazu schlitzen sie Pferden, Maultieren oder Rindern ein kleines Stück Haut auf und lecken das austretende Blut auf. Mit den in Deutschland lebenden Arten habe dies nichts zu tun, betonen beide Wissenschaftler, „die fressen nur Insekten“.

Besonders traurig ist der Hintergrund der Werwölfe. Sie haben medizinische Wurzeln, wie sie etwa die Krankengeschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde erzählt. Die schottische Novelle beschreibt einen freundlichen Saubermann (Dr. Jekyll), der nachts zum Verbrecher wird (Mr. Hyde). Auch in der Realität gab und gibt es gespaltene Persönlichkeiten.

Nicht alle Fabelwesen verharren im Reich der Märchen. Ein Vertreter der Tiere, die es vom sagenumwobenen Monster zur wissenschaftlich beschriebenen Tierart geschafft hat, ist Architeuthis, der Riesenkalmar. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts galten Schilderungen von Überfällen durch Riesenkraken als Seemannsgarn, inzwischen gibt es Erbgutuntersuchungen von mehr als 100 Riesenkalmaren unterschiedlicher Arten. Gerade die Welt der Tiefsee, der Lebensraum von Architeuthis, ist noch weitgehend unerforscht. Sie hält wahrscheinlich noch einige wissenschaftliche Überraschungen bereit. Giere: „Trotz aller berechtigten Skepsis gegenüber Schilderungen, Fotos-, Film- und Tonaufnahmen von fantastischen Wesen müssen wir offen sein für unbekannte Dinge. Man kann nicht ausschließen, dass es neue, fantastische Lebewesen tatsächlich gibt.“