Unter dem Namen „Biopreparat“ arbeitete die ehemalige Supermacht an der Herstellung biologischer Kampfstoffe. Dazu wurden verschiedene Viren manipuliert

Moskau. Im April 1972 vereinbarte die internationale Gemeinschaft ein umfassendes Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen; 170 Staaten traten der entsprechenden Konvention bei – auch die beiden Supermächte. Doch während US-Präsident Richard Nixon bereits 1969 ein Verbot der Biowaffenforschung verfügt hatte und sich die USA auch nach 1972 vertragskonform verhielten, legte die damalige Sowjetunion ab 1973 ein offensives biologisches Waffenprogramm auf.

Ken Alibek, der wissenschaftliche Leiter des Projekts, das unter dem Namen „Biopreparat“ firmierte, sagte 1992 nach seiner Flucht in den Westen, es sei das sowjetische Pendant zum amerikanischen „Manhattan Projekt“ gewesen, dem militärischen Forschungsprojekt, in dem ab 1942 alle Tätigkeiten der USA während des Zweiten Weltkrieges zur Entwicklung und zum Bau einer Atombombe ausgeführt wurden. Wie das „Manhattan Projekt“ war auch „Biopreparat“ riesig in den Dimensionen, streng geheim, potenziell weltverändernd. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung waren 60.000 Mitarbeiter mit dem Projekt befasst, fast so viele wie mit dem sowjetischen Nuklearprogramm.

Die Welt hatte erstmals 1989 von dem geheimen Projekt erfahren, als sich Vladimir Pasechnik, einer der führenden sowjetischen Wissenschaftler im Bereich biologischer Waffen, nach London abgesetzt hatte. Ken Alibek machte drei Jahre später sein immenses Wissen über das Projekt öffentlich. Sein Buch „Biohazard“ ist noch immer eine Lektüre, die schaudern lässt. Alibeks Fazit: „Durch den Aufbau der weltweit ersten industriellen Fertigungsanlage für biologische Kampfstoffe wurde die Sowjetunion zur größten und einzigen biologischen Supermacht der Welt.“

Insgesamt arbeiteten die sowjetischen Forscher mit rund 20 Bakterien- und Virenstämmen, die durch Genmanipulation zu einem mehrfachen der Ausgangspathogene weiterentwickelt und mehrheitlich waffenfähig gemacht wurden. Von besonderer Bedeutung wurde hierbei das Ebola-Virus: Es war fast immer tödlich und es gab – und gibt bis heute – weder wirksame Medikamente noch eine Schutzimpfung.

Moskaus Waffenforscher kamen durch einen zivilen wissenschaftlichen Austausch zwischen einer weißrussischen Forschungseinrichtung und einem belgischen Institut für tropische Medizin in den Besitz des Virus. Natürlich ahnten die Belgier nicht, dass das Virus direkt an die sowjetischen Waffenkonstrukteure weitergeleitet werden würde.

Mitte der 80er-Jahre begann „Biopreparat“ damit, das Ebola-Virus waffenfähig zu machen. Das bedeutete, das Virus stabil, transportfähig, unempfindlich gegen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen zu machen und nach der Freisetzung möglichst lange im Zielraum wirksam zu halten. Das zentrale Problem hierbei war, dass das Ebola-Virus nicht klinisch getestet werden konnte.

Zwar gab es eine Reihe von Tierversuchen – auch an Primaten –, die Ergebnisse waren jedoch nur begrenzt verwertbar. Als Erkenntnis lagen nur die Erfahrungsberichte der Ärzte und medizinischen Institute aus den Gebieten vor, in denen das Virus sich – insbesondere in Afrika – über eine begrenzte Zeit ausgebreitet hatte.

Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Anfang der 80er-Jahre begann in der sowjetischen biologischen Waffenforschung ein neues Zeitalter: das der Genmanipulation. Mit der Möglichkeit, bekannten Krankheitserregern fremde Gene einzupflanzen und dadurch ihre Eigenschaften einschließlich der Resistenzen zu verändern, eröffnete sich der biologischen Waffenforschung ein nahezu unbegrenztes Aktionsfeld.

Es war daher auch nicht verwunderlich, dass bereits Mitte der 1980er-Jahre der weltweit meist verbreitete biologische Kampfstoff Milzbrand (Anthrax) in großem Stil manipuliert und gegen viele Antibiotika resistent gemacht wurde. Es spricht alles dafür, dass große Teile der in den USA als nationale Reserve gegen Milzbrand vorgehaltenen Antibiotika dieser Entwicklung bereits zum Opfer gefallen sind. Das heißt, sie sind unwirksam.

Der ehemalige Projektleiter warnte vor einer Chimäre aus Ebola und Pocken

Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis Genmanipulation auch am Ebola-Virus versucht wurde. Die Verbindung von Ebola und Pest wurde in der Sowjetunion und später in Russland zunächst umfassend untersucht, darauf haben russische Emigranten vielfach hingewiesen. Der vorläufige Endpunkt dieser Entwicklung ist jedoch nicht nur die Einfügung fremder Gene in ein Bakterium oder Virus, sondern die komplette Verschmelzung der Genome von verschiedenen Viren zu einer völlig neuen Art, einem hybriden Virus, den Alibek als „Chimäre“ bezeichnet hat.

Die Folgen sind dramatisch. Ausdrücklich gewarnt hat Alibek in diesem Zusammenhang vor einer Chimäre aus Ebola und Pocken: Das neue Virus würde so tödlich sein wie Ebola und so ansteckend wie Pocken. Nicht ohne Grund wies Sergei Popow, ein inzwischen ebenfalls in den USA arbeitender ehemaliger sowjetischer Spitzenfachmann für den Bau von biologischen Waffen, darauf hin, in „Biopreparat“ seien Kombinationen von Viren erforscht worden, die ihre Opfer in „wandelnde Ebola-Bomben“ verwandeln würden.

Was die russische Forschung und Entwicklung biologischer Kampfstoffe bisher erreicht hat, ist nur begrenzt nachvollziehbar. Fest steht einstweilen nur, dass auch diesbezüglich die Hoffnung auf ein Ende der sowjetischen Kriegswaffenforschung sich nicht erfüllt hat. Zwar gab es Anfang der 1990er-Jahre eine kurze Phase, in der auf politische Weisungen hin Labors und Kampfstofffabriken geschlossen wurden. Der gegenwärtige Stand der Erkenntnis besagt jedoch, dass die Aktivitäten – wenn auch auf etwas niedrigerem Niveau – weitergehen.

Ein kleines Stück Fortschritt im Umgang mit der gefährlichen Materie ist allerdings feststellbar. Viele Jahre lang kannte die sowjetische Forschung im Bereich biologischer Waffen nur ein Ziel: Die Herstellung gefährlicher, möglichst tödlicher Waffen. Entsprechende Gegenmittel spielten in der Forschung keine Rolle. Doch das hat sich geändert. Russland stellt inzwischen hin und wieder sowohl sein Wissen als auch geeignetes Material zur Bekämpfung schwerer Krankheiten zur Verfügung. Dies gilt auch für Ebola. Die Russen haben den Vereinten Nationen schon vor Jahren ein Gegenmittel angeboten und geliefert. Über seine Wirksamkeit gibt es jedoch keine gesicherten und belastbaren Erkenntnisse.

Ob die Russen hierbei bezüglich der Bekämpfung von Ebola ihr gesamtes Wissen offenbart haben, bleibt ihr Geheimnis.