Im Rahmen eines Forschungsprojekts bietet das UKE für Menschen mit unklaren Körperbeschwerden eine neue Therapie an

Hamburg. Er ist 40 Jahre alt – und von Schmerzen geplagt. Kaum ein Tag vergeht ohne Beschwerden in Rücken und Gelenken. Verdauungsprobleme machen dem Patienten zusätzlich das Leben schwer. Doch kein Arzt kann die Ursache finden, auf Röntgenbildern und Kernspinaufnahmen findet sich kein auffälliger Befund. Eine Behandlung in der Psychosomatischen Abteilung der Schön Klinik Eilbek führt schließlich zur Aufklärung der mysteriösen Beschwerden: Ihnen vorausgegangen war eine schwere Lebenskrise des Patienten mit Trennung von der Partnerin.

„Während der Therapie hier in der Klinik hat er gelernt, seine Gefühle und die von anderen besser wahrzunehmen, und langsam den Boden unter den Füßen wiedergefunden“, sagt Prof. Bernd Löwe, Direktor der Ambulanz und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Eppendorf und Chefarzt der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in der Schön Klinik Hamburg-Eilbek.

Die Leidensgeschichte dieses Patienten ist ein Beispiel für sogenannte somatoforme Störungen. „Das sind körperliche Beschwerden, für die keine organische Ursache gefunden wurde und die in der Regel zu erheblichen Belastungen führen. Das sind typischerweise Schmerzen an Kopf, Rücken, Gelenken oder Magen-Darm-Trakt sowie Herzbeschwerden“, sagt Löwe. Und die Erkrankung ist gar nicht so selten. Jeder fünfte Patient, der in die Hausarztpraxis komme, leide unter einer somatoformen Störung, sagt Löwe. In der Gesamtbevölkerung seien es etwa fünf Prozent.

Für Patienten mit medizinisch unerklärten Körperbeschwerden bietet das UKE jetzt im Rahmen eines Forschungsprojekts eine neue Therapie an. In der sogenannten Encert-Studie, an der sieben deutsche Universitäten beteiligt sind, soll untersucht werden, ob eine Kombination von Verhaltenstherapie und einem neuen Training zur Regulation von negativen Gefühlen bessere Behandlungsergebnisse erzielt als eine alleinige Verhaltenstherapie. Die Studie, an der insgesamt 244 Probanden teilnehmen sollen, läuft bis 2016. Dann werden die Ergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Das Behandlungsprogramm umfasst 20 Stunden Einzeltherapie. Diese Behandlung ist verhaltenstherapeutisch ausgerichtet und wird von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten durchgeführt. Ein Teil der Studienteilnehmer erhält während dieser Sitzungen zusätzlich das Training zu Regulation von Emotionen (ERT).

Meist leiden die Patienten unter mehreren Symptomen. „Typisch ist zum Beispiel die Kombination von unspezifischen Schmerzen an Rücken und Gelenken mit Verdauungsproblemen und Atembeschwerden“, sagt Dr. Christian Brünahl, Oberarzt in der Ambulanz und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Studienkoordinator. In der Art und Weise, wie die Patienten ihre Schmerzen erleben und auch in der Art der Symptome lassen sich keine Unterschiede zu körperlich begründbaren Schmerzsyndromen feststellen.

„Die meisten Patienten haben eine jahrelange Odyssee von Diagnostik und Behandlungsversuchen hinter sich, weil einerseits die Beschwerden vorhanden sind, aber andererseits die Medizin keine Erklärung dafür finden kann. Da ist es verständlich, dass unterschiedliche Spezialisten konsultiert werden und verschiedene diagnostische Wege eingeschlagen werden, um eine Lösung zu finden“, sagt Brünahl. Aber es ist eine lange Leidenszeit mit vielen vergeblichen diagnostischen Bemühungen. Die Patienten fühlen sich frustriert und hilflos.

Für die Entstehung solcher somatoformen Störungen gibt es unterschiedliche Gründe: „Es kann eine erbliche Veranlagung sein oder eine erworbene besondere Verletzlichkeit, zum Beispiel dadurch, dass jemand in der Kindheit Erwachsene als Vorbilder hatte, die häufig krank waren oder selbst somatoforme Störungen hatten. Dann kommt meist noch eine aktuelle seelische Belastung hinzu, wie zum Beispiel eine Lebenskrise“, erklärt Löwe.

Was Patienten mit somatoformen Störungen von anderen unterscheidet, ist, dass sie meist verstärkt auf diese Beschwerden achten. Zudem sind sie sehr ängstlich und besorgt, ob sich dahinter möglicherweise eine unheilbare Krankheit verbirgt. Diese erhöhte Körperwahrnehmung kann schnell in gleich mehrere Teufelskreise führen, die das Leiden weiter verstärken. „Wenn man eine Umfrage durchführt, ob jemand in den vergangenen zwei Wochen Beschwerden hatte, antworten 90 Prozent mit ja. Aber im Unterschied zu anderen Patienten achten Patienten mit somatoformen Störungen so sehr auf ihre Symptome, dass sie sich dann ängstlich verspannen. Und weil dadurch die Schmerzen noch stärker werden, nehmen die Patienten eine Schonhaltung ein. Das wiederum führt zum Muskelabbau und zu einer weiteren Verschlechterung des Befindens“, so Löwe.

Ein zweiter Wechselkreis wird aktiv: „Jemand erlebt sich dann als krank, das ist schlecht für das Selbstwertgefühl. Angst und Depressionen kommen hinzu, die Körperwahrnehmung nimmt zu, sodass die Patienten die Beschwerden stärker wahrnehmen. Und dann gibt es noch einen dritten Regelkreis: Die Umwelt reagiert in der Regel mit Schonung des Patienten, was wiederum die Symptome verstärken kann“, erläutert Löwe.

Behandelt werden solche Störungen meist durch eine Verhaltenstherapie. „Dabei geht es darum, wie die Menschen mit diesen Beschwerden und ihren Ängsten umgehen und wie sie das verändern können“, erklärt Brünahl. Allerdings sei diese Therapie nicht so effektiv wie zum Beispiel bei einer Angst- oder Depressionstherapie, sagt Löwe.

Deswegen wollen die Experten jetzt untersuchen, ob eine Kombination mit einem Emotions-Regulations-Training bessere Ergebnisse bringt. „Dabei geht es darum, dass Menschen lernen, die Funktion und Ausdrucksweise von Gefühlen zu erkennen und auch zu verändern – und daraus einen Umgang mit Emotionen erlernen können“, sagt Brünahl und nennt ein Beispiel: Wenn plötzlich Schmerzen an einem Bein auftreten, führt das bei Menschen, die nicht unter der Erkrankung leiden, dazu, dass sie sich sagen: Ich warte jetzt erst einmal ab, wie sich das entwickelt, vielleicht sind die Schmerzen morgen wieder verschwunden. Bei Menschen mit einer somatoformen Störung aber kann es dazu kommen, dass derart starke Ängste auftreten, es könnte etwas Schlimmes dahinterstecken, dass sie die Möglichkeit, dass die Schmerzen wieder von allein verschwinden können, gar nicht mehr in Betracht ziehen können.

„Häufig sehen wir, dass die Menschen gar nicht merken, dass das Gefühl der Angst eine wichtige Rolle spielt. Das Training sensibilisiert Menschen, diese Gefühle wahrzunehmen und andere Möglichkeiten der Verhaltensweisen aufgrund dieser Gefühle zu erlernen“, sagt Brünahl. Der Unterschied zur Verhaltenstherapie liege daran, dass die Verhaltenstherapie sich mit den Gedanken, den Sorgen um die Beschwerden befasst, bei dem ERT stehen mehr die Gefühle, deren Interpretation und Regulation im Vordergrund.

Für die Therapiestudie am UKE werden insgesamt 25 Patienten aus dem Großraum Hamburg gesucht. „Zu Beginn gibt es Untersuchungen und fünf vorbereitende Sitzungen. Darauf folgt die eigentliche Therapie mit 20 Stunden, einmal wöchentlich. Weitere Untersuchungen gibt es nach Abschluss der Therapie und ein halbes Jahr danach“, sagt Birte Sörensen, Sozialpädagogin und Studienorganisatorin. Teilnehmen können Menschen im Alter zwischen 18 und 69 Jahren, die seit mindestens sechs Monaten unter mindestens drei körperlichen Beschwerden leiden, für die keine organische Ursache gefunden wurde, und die sich zurzeit nicht in einer psychotherapeutischen Behandlung befinden und keine Psychopharmaka einnehmen.

Wer an der Studie teilnehmen möchte, wird gebeten, sich mit der Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am UKE in Verbindung zu setzen: Telefon 741 05 73 21 montags 9–12 Uhr und 14–16 Uhr und freitags 8–12 Uhr und 14–16 Uhr.