Die Elmshornerin Stephanie Schinkel behandelt die Tiere auf die sanfte Tour – von Dänemark bis Österreich und sogar auch in China.

Seeth-Ekholt. Die Holsteiner-Schimmelstute Birdie leidet unter Blockaden in Rücken und Hals, die Beweglichkeit ist eingeschränkt. Pferde-Physiotherapeutin Stephanie Schinkel holt ihr Bale, einen mit Leder ummantelten Styroporblock. Sie stellt sich drauf und kann so von oben die Wirbelsäule besser abtasten, die Ursache lokalisieren – und macht eine manuelle Behandlung. Dann ist Cascadello II dran, ein vierjähriger, kerngesunder junger Deckhengst, der aber regelmäßig eine Visite bekommt. Mit Akupunkturnadeln löst Schinkel „energetische Blockaden“ (Muskelverspannungen).

„Pferde-Physiotherapeutin ist mein Traumberuf“, sagt die 37-jährige gebürtige Elmshornerin, die in der angrenzenden Gemeinde Seeth-Ekholt (Kreis Pinneberg) wohnt. Tausende Pferde hat sie schon behandelt, nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern von Dänemark bis Italien, in Österreich, der Slowakei und schon mehrfach in China – in Peking und Shanghai. Eine Agentur hatte sie dort zu einem von einem Schweizer Uhrenhersteller gesponserten großen Turnier vermittelt. Schinkel: „Wenn du dann in der Box ein Pferd behandelst, wollen plötzlich fast alle anderen Turnierteilnehmer das auch für ihr Tier – es könnte ja für den Wettbewerb hilfreich sein.“

Dass eine Schleswig-Holsteinerin ausgerechnet im Mutterland der Akupunktur Pferde auch mit der TCM, der traditionellen chinesischen Medizin, behandelt, findet sie nicht so verwunderlich. „Die wohlhabenden Chinesen, die Pferde haben, leben meist in Metropolen und sind westlich orientiert. Sie freuen sich, dass die chinesische Medizin auch bei uns populär ist. Mein Beruf Pferde-Physiotherapeutin ist in China allerdings absolutes Neuland, wird aber sehr gut angenommen.“

Am Anfang steht die Liebe zum Pferd: Mit sieben erhält Stephanie ihren ersten Reitunterricht, „da ist das Fieber voll ausgebrochen“. Mit elf hat sie ein Pflegepferd, mit 16 bekommt sie ihr erstes eigenes Pferd. Daisy, ein polnisches Warmblut, wird krank, die Tierärzte haben Probleme, die Ursache zu finden und können nicht richtig helfen. „Das war der Anstoß“, erinnert sich Schinkel. „Ich habe mich informiert, welche alternativen Heilmethoden man lernen kann, auch wenn man nicht Tierarzt ist.“

Und so studiert sie zunächst an einem privaten Institut zwei Jahre lang TCM – parallel zu ihrem damaligen Job als Bürokauffrau. Vielen Tieren, vor allem lungenkranken Pferden, kann sie mit TCM helfen. „Die chinesische Medizin betrachtet ein Lebewesen ganzheitlich und nicht nur das jeweilige medizinische Problem isoliert“, betont Schinkel. Das Grundprinzip dabei: Die Akupunkturnadeln stimulieren Nervenenden, es werden bestimmte Reize im Körper gesetzt, die die Selbstheilungskräfte anregen.

Aber TCM allein reicht ihr nicht. „Ein gutes Ergebnis in der Akupunktur ist nur erreichbar, wenn die Nervenbahnen frei sind, sodass die Reizweiterleitung gewährleistet ist. So bin ich auf die Physiotherapie gekommen.“ Dabei geht es darum, mit der sogenannten Faszientechnik manuell Muskelverspannungen zu lösen. Das geht weit über die Arbeit eines Masseurs hinaus: „Ich finde heraus, ob ein Muskel krank oder übersäuert ist und warum eine Muskelverspannung entstanden ist“, sagt Schinkel. Physiotherapie und Chirotherapie lernte sie zweieinhalb Jahre, ebenfalls an einem privaten Institut. Chirotherapie ist das, was der Volksmund als Einrenken bezeichnet.

„Bei der Akupunktur lässt sich ein viel besseres Ergebnis erzielen, wenn die Tiere keine Gelenkblockaden oder muskuläre Probleme in Rücken- oder Halsbereich haben“, erläutert die Pferdefachfrau. „Für mich ist TCM verbunden mit Physio- und Chirotherapie deshalb die ideale Kombination.“

Als sie 2008 ihren Job als Bürokauffrau verliert, weil die Firma geschlossen wird, wagt Schinkel den Sprung in die Selbstständigkeit als Pferde-Physiotherapeutin – und urteilt heute: „Das war das Beste, was mir passieren konnte.“ Die Berufsbezeichnung Pferde-Physiotherapeutin ist allerdings gesetzlich nicht geschützt; diejenigen, die in diesem Bereich tätig sind, haben ganz unterschiedliche Ausbildungen.

Sportreiter setzen auf Physio- und Chirotherapie, weil sie ihr Pferd gesund erhalten und möglichst lange für den Sport nutzen wollen. Sie rufen Schinkel vorbeugend und bei langen Turnieren, etwa um die Tiere möglichst locker zu machen und Verspannungen oder Blockaden zu lösen. Freizeitreiter melden sich, wenn die Pferde konkrete Probleme haben wie Lahmheit, unreiner Takt oder Widersetzlichkeiten beim Reiten, wenn sie also praktisch nicht mehr zu reiten sind. Schinkel: „Es sind oft Fälle, in denen Tierärzte vor einem Rätsel stehen.“ Zugleich betont die Elmshornerin, dass sie sehr gut mit Tierärzten zusammenarbeitet und sieht hier eine gegenseitige Ergänzung.

Die Physiotherapie hat Grenzen, etwa bei irreparablen Schäden oder Knochenbrüchen. Aber sogar bei einigen Arten von Sehnenschäden kann die Physiotherapeutin helfen. Ihre schönste Erinnerung? Ein Pferd mit einem Hüftschiefstand, für das sie die letzte Chance war – „es lebt heute noch und ist gesund“.

Bewegungsmangel und schlecht sitzende Sättel sind nach Ansicht Schinkels zwei häufige Ursachen für gesundheitliche Probleme von Pferden. „Jeder Reiter soll die Passform des Sattels mindestens ein- bis zweimal im Jahr fachmännisch überprüfen lassen, denn die Tiere sind im Winter dünner als im Sommer.“

Was gefällt Schinkel an ihrem Beruf am meisten? „Die Lebensqualität der Pferde zu verbessern. Man sieht es ihnen deutlich an: an der höheren Beweglichkeit und den entspannteren Augen.“

Der italienische Profi-Westernreiter und -trainer Andrea Angeli, der in Negernbötel (Kreis Segeberg) arbeitet, war anfangs skeptisch. Er ließ zunächst ein Pferd von der Physiotherapeutin quasi als Nagelprobe behandeln. „Inzwischen bin ich nicht nur überzeugt, ich bin begeistert von ihrer physiotherapeutischen Arbeit“, sagt Angeli. Er nutzt ihre Hilfe auch für die Turnierbegleitung, damit die Pferde lockerer und beweglicher sind. Und lachend fügt er hinzu: „Viel Geld für Tierärzte habe ich außerdem gespart.“