Der eine entfaltet sich selbst und kriecht davon. Der andere trampt zurzeit durch Kanada. Was sich Forscher davon erhoffen

Cambridge/Washington. Erst ein Scharnier, dann das nächste – bis in wenigen Minuten ein kompletter Roboter steht. Bizarr sieht es aus, wenn sich der weiße Faltkrabbler erhebt und davonläuft. Doch er ist weit mehr als ein lustiges Spielzeug: Origami-Roboter könnten Leben retten helfen.

US-Forscher haben einen Roboter konstruiert, der sich aus einer flachen Lage Papier und Plastik selbst entfaltet und dann eigenständig davonläuft. Das Team um Prof. Rob Wood von der Harvard-Universität in Cambridge (US-Staat Massachusetts) präsentiert seine Entwicklung im Fachblatt „Science“. Der neue Roboter ist demnach der erste, der sich selbst aufbauen und dann ohne menschliche Hilfe eine Handlung ausführen kann. Die Technik eröffne Perspektiven für eine Vielzahl von Anwendungen, betonen die Forscher. „Stellen Sie sich einen Stapel Roboter-Satelliten vor, die zusammengepresst in den Weltraum geschickt werden und sich dort selbst aufbauen“, erläuterte Hauptautor Sam Felton in einer Mitteilung der Harvard-Universität.

Denkbar sind auch Rettungsroboter, die nach Erdbeben im flachen Zustand in Hohlräume geschickt werden, wo sie sich entfalten und nach Verschütteten suchen. Ebenso könnte die Technik dazu dienen, selbst aufbauende Möbel zu konstruieren oder selbst entfaltende Schutzräume für Katastrophengebiete. Insbesondere bietet die Methode eine günstige und schnelle Alternative zu herkömmlichen Konstruktionsverfahren.

Der neuartige Roboter besteht aus Papier und dem Kunststoff Polystyrol, aus dem etwa auch CD-Hüllen gemacht werden. Im Zentrum trägt er einen elektronischen Schaltkreis, der als Hirn des Roboters dient. Spezielle Scharniere verformen sich bei Hitze in zuvor programmierten Winkeln. Für den eigenen Aufbau erhitzt der Roboter die Scharniere in einer bestimmten Reihenfolge auf rund 100 Grad Celsius. Dadurch faltet er sich nach und nach aus einem flachen Bogen in die eigentliche Form. Nach etwa vier Minuten ist das Polystyrol wieder abgekühlt und hart. Der Roboter kriecht dann mithilfe zweier Motoren davon. Er erreicht dabei eine Geschwindigkeit von 5,4 Zentimetern pro Sekunde und kann sich selbstständig umdrehen. Der gesamte Prozess benötigt nicht mehr elektrische Energie als in einer herkömmlichen AA-Batterie enthalten ist.

„Hier haben wir ein komplettes elektromechanisches System entworfen, das in eine flache Platte eingebettet wurde“, betont Felton. Für die Konstruktion ließen sich die Forscher von der japanischen Papier-Falttechnik Origami inspirieren. Eine 3-D-Designsoftware namens Origamizer generierte die passenden Falten im Plastik, entlang derer es sich schließlich in die Roboterform faltete. „Wir haben festgestellt, dass wir so eine große Vielfalt von Strukturen und Maschinen kreieren können“, berichtete Felton.

Forscher arbeiten seit Längerem an sich selbst aufbauenden Robotern. Dies ist „Science“ zufolge die erste Maschine, die sich selbst aufbauen und anschließend ohne menschliche Hilfe eine Funktion ausführen kann.

Nicht ohne menschliche Hilfe, dafür aber noch ein ganzes Stück auffälliger bewegt sich derzeit ein anderer Roboter in Kanada fort. Er heißt hitchBot und ist aus Schwimmnudeln, einer Tortenhaube, einem Eimer und Gummistiefeln gebastelt. Sein Ziel: 6000 Kilometer einmal quer durchs Land trampen.

Ende Juli setzten seine Erfinder, zwei Wissenschaftler, das Robotermännchen in Halifax an der Atlantikküste am Straßenrand aus. Der nach oben gereckte Daumen seiner rechten Gummihandschuh-Hand signalisierte: „Nehmt mich mit!“

„Normalerweise beschäftigen wir uns damit, ob wir Robotern trauen können“, sagt Frauke Zeller. Die Deutsche arbeitet an der Ryerson University in Toronto und hat hitchBot mit entwickelt. Hollywood-Filme wie „Terminator“ oder „Matrix“ zeigten Maschinen oft als Feinde der Menschen. Bei hitchBot sei das ganz anders. „Dieses Projekt stellt unsere Angst vor der Technologie auf den Kopf und fragt ‚Können Roboter Menschen trauen?“, sagt die Wissenschaftlerin.

Nach den ersten Tagen auf Reisen kann hitchBot diese Frage ganz klar mit Ja beantworten. Als Erste nahmen ältere Eheleute den Roboter in ihrem Wohnmobil mit. Nach einer Nacht in der kanadischen Wildnis übergab das Paar seinen Schützling an drei junge Männer aus Québec. Seither musste hitchBot nie lange auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Das liegt zum einen an seiner enormen Bekanntheit. Zehntausende verfolgen die Reise des Robotermännchens mittlerweile auf Twitter oder auf www.hitchBot.me. Zum anderen ist hitchBot ein charmantes Kerlchen: LED-Lichter zeigen unter dem Tortenhaubenhelm ein breites Grinsen und dank des eingebauten Computers kann hitchBot seine Mitfahrer mit Smalltalk unterhalten. Ist sein Akku leer, bittet er darum, an den Zigarettenanzünder angeschlossen zu werden.

Obwohl er aussieht, als hätten Kinder ihn gebastelt, tüftelten die Forscher lange am Aufbau von hitchBot. „Er musste robust aber gleichzeitig ansprechend sein“, sagt Zeller. „Die Leute sollten denken ‚Ja, ich muss anhalten und diesem Roboter helfen‘.“ Dafür durfte hitchBot nicht zu schwer sein, damit er in seinem Kindersitz ins Auto getragen werden kann. Aber auch nicht zu leicht, sonst könnte ein Windstoß ihn wegblasen. Bisher scheint der Roboter den Trip per Anhalter unbeschadet überstanden zu haben, wie die vielen Reisebilder im Internet beweisen. Und auch die Wissenschaftler sind zufrieden mit dem Experiment. „Jeder will ihn unterstützen“, sagt Zeller. „Das ist ein interessantes Phänomen: Die Menschen entwickeln eine Beziehung zu dem Roboter, selbst jene, die hitchBot nie begegnen, sondern ihm nur in den sozialen Medien folgen.“

Wenn hitchBot an der kanadischen Westküste angekommen ist, will das Wissenschaftlerteam alle Kommentare auf Twitter und Facebook auswerten und so Rückschlüsse auf das Verhältnis Mensch/Maschine ziehen.

Der kleine Roboter jedenfalls wird überaus menschlich behandelt. „Wo bist du jetzt, hitchBot? Wir würden dich gern ein Stück mitnehmen“, twitterte beispielsweise Susan Dennie aus Ontario. Von so viel Anteilnahme können Menschen, die per Anhalter unterwegs sind, nur träumen.