Karlsruher Wissenschaftler erhielt vor 30 Jahren den ersten elektronischen Brief in Deutschland

Karlsruhe. „Michael, This is your official welcome to CSNET. We are glad to have you aboard“ (Michael, dies ist dein offizieller Willkommensgruß bei CSNET. Wir freuen uns, dass du mit dabei bist). Mit diesen Worten begrüßte die US-Amerikanerin Laura Breeden vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston am Morgen des 3. August 1984 Michael Rotert und seine Kollegen in Karlsruhe. Sie waren die ersten deutschen Mitglieder des US-amerikanischen Computer-Netzwerks CSNET.

Während heute ein Smartphone im Hosentaschenformat genügt, hatte der damalige Empfangscomputer VAX 11/750 die Größe einer Waschmaschine. Rund 40 Wissenschaftler konnten das System parallel nutzen. „Ein heutiges Smartphone hat im Schnitt 50-mal mehr Speicher und ein Vielfaches der Rechenleistung“, erklärt Internetpionier Rotert. PCs waren damals noch nicht sehr verbreitet, unhandlich und teuer.

Abgeschickt wurde die historische Mail – übrigens mit einem kleinen Tippfehler in der Betreffzeile „Wilkomen in CSNET!“ – bereits am Tag zuvor, am 2. August um 12.35 Uhr US-amerikanischer Ostküstenzeit. Sie landete zunächst im sogenannten CSNET-Relay, in dem die Mails erst gesammelt und von dem sie später manuell abgerufen wurden.

Durch die Zeitverschiebung war der Karlsruher Wissenschaftler jedoch schon nach Hause gegangen und las den elektronischen Brief deshalb erst am nächsten Tag, einem Sonntag. Mit den Worten „Hurra, jetzt hab ich’s geschafft“ ging er daraufhin spätabends nach Hause, wie er sich erinnert. Rotert war damals Technischer Leiter der Informatikrechnerabteilung an der Fakultät für Informatik der Universität Karlsruhe. Dort implementierte und betrieb er den Internet-Mailserver „germany“. Daher lautete seine erste E-Mail Adresse auch schlicht „rotert@germany“.

Das war auch in Deutschland der Startschuss für ein neuartiges Kommunikationsmedium, das den Alltag maßgeblich verändern sollte: Es war schneller als ein Brief, und anders als beim Telefonieren musste der Adressat nicht anwesend sein.

„Dass sich die E-Mail zu einem Massenkommunikationsmittel entwickeln würde, war damals nicht abzusehen“, sagt der Wirtschaftsingenieur. Zwar wurden in Deutschland bereits vor dem August 1984 E-Mails versendet und empfangen. Bei der Nachricht an Rotert handelte es sich jedoch um die erste, die an einen eigenen Internet-Mailserver ging. „Dies war der erste nichtmilitärische Internetanschluss auf dem europäischen Festland“, sagt Rotert.

Denn ursprünglich diente das weltweite Netz zur Verbindung zwischen Forschungsinstituten und zu militärischen Zwecken. Im Winter 1971/72 schrieb der US-Amerikaner Ray Tomlinson das Programm für das Versenden von E-Mails.

Informatikprofessor Werner Zorn, vor 30 Jahren Roterts Chef und Leiter der Rechnerabteilung an der Fakultät für Informatik der Karlsruher Universität, hatte sich schon früh für die Einrichtung eines lokalen Netzwerkes mit internationaler Anbindung eingesetzt. 1984 waren Deutschland und Israel nach den USA die ersten Nationen, die offiziell an das Computer-Netzwerk CSNET angeschlossen waren.

Erst nach dem Fall der Mauer 1989 sei das Internet auch kommerziell genutzt worden, erzählt Internetpionier Rotert. Zuvor hatten die Amerikaner zu viel Angst vor Spionage. Seinen weltweiten Siegeszug trat das Internet erst Mitte der 90er -Jahre an, als das „World Wide Web“ von allen genutzt werden konnte.

Allerdings birgt die sekundenschnelle Kommunikation auch Probleme. Heutzutage eine E-Mail zu verschicken ist so, als würde man eine Postkarte versenden, die nicht nur der Briefträger lesen kann. Daher ist es für den Wissenschaftler nicht überraschend, dass bei E-Mails Mitarbeiter von Geheimdiensten mitlesen. Das müsse sich schnell ändern, fordert Rotert, der heute Vorstandvorsitzender des Verbands der deutschen Internetwirtschaft ist. Er setzt auf eine automatische Verschlüsselung des Internetverkehrs.

Während die Zahl geschäftlicher E-Mails weiter jährlich um bis zu zehn Prozent zunimmt, bekommen die elektronischen Briefe im privaten Bereich immer mehr Konkurrenz: Besonders junge Leute nutzen soziale Medien wie Facebook und Twitter sowie SMS und WhatsApp: „Weltweit werden rund 150 Milliarden E-Mails pro Tag verschickt und zusätzlich 40 Milliarden Nachrichten über WhatsApp“, sagt Rotert.