Sehstörungen bei Senioren werden oft nicht erkannt. Dabei helfen einfache technische Mittel, den Alltag weiter zu meistern

Hamburg. Manchmal hilft schon eine Brille: Werner Lechtenfeld erzählt von einem Optiker aus Aachen, der drei Jahre ambulante Augenoptik in Altenheimen anbot. „Dort wurde ihm einmal eine Frau gezeigt, die angeblich seit Jahren blind war“, schildert der Leiter des Projektes „Sehen im Alter“ beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV). „Als er ihr eine Brille aufsetzte, konnte sie aber wieder Zeitung lesen.“

Augenerkrankungen bei Senioren werden oft nicht erkannt oder falsch eingeschätzt – wie im Falle der scheinbar blinden Rentnerin. In der Regel fehlt es schlicht an Sensibilität: Nicht selten würden Symptome von Sehstörungen etwa mit Anzeichen von Demenz verwechselt, erklärt Lechtenfeld. „Sie sind eben nicht so offensichtlich wie Armbrüche.“

Gerade in Pflegeeinrichtungen müssten Angehörige und Pfleger besonders wachsam sein, betont Sabine Kampmann, am Blindeninstitut Würzburg tätig als Orthoptistin, einem noch jungen Berufszweig von Fachkräften in der Augenheilkunde. Sie leitete in Unterfranken ein Projekt, bei dem Bewohner von 20 Seniorenheimen auf Augenerkrankungen getestet wurden. Fragen zur Lebensqualität standen ebenfalls im Fokus.

Auch sie erzählt von Fällen, bei denen eine Brille betroffene Bewohner in Pflegeheimen plötzlich wieder sehen ließ. Schlechtes Sehen führt im Alltag oft zu Lethargie. Mitunter wollen ältere Menschen dann trotz passender Brille später nicht mehr selbst lesen. „Hier sollten Angehörige ruhig Aktivität einfordern und nicht einfach selbst vorlesen“, empfiehlt Kampmann. Unsicheres Gehen, Angst vor Bewegung, Stürze oder Probleme mit dem Erkennen von Kontrasten gehören zu den Anzeichen für eine Sehstörung. „Auch sozialer Rückzug kann damit verbunden sein“, erklärt Angelika Ostrowski, die beim DBSV Betroffene berät.

Häufig meiden Menschen dann Begegnungen, weil sie Freunde und Bekannte nicht mehr erkennen. „Hat mein Vater immer gerne gelesen, macht das nun aber nicht mehr, liegt das vielleicht an den Augen“, gibt sie ein weiteres Beispiel.

Betroffenen fällt es laut der Expertin des Blinden- und Sehbehindertenverbandes oft schwer, sich anderen zu öffnen. So kann es passieren, dass Sehschwächen dem Umfeld verborgen bleiben. Bei vielen Augenerkrankungen lindert eine frühzeitige Behandlung jedoch die Beschwerden erheblich.

Deshalb ist es wichtig, aufmerksam zu sein und im Zweifel einen Augenarzt aufzusuchen. Senioren ohne Beschwerden rät sie, einmal im Jahr zum Check beim Augenarzt zu gehen. Wer nicht mehr mobil ist, kann ambulant untersucht werden.

„Irreparable Schäden werden häufig zu spät versorgt“, warnt Professor Focke Ziemssen. Er ist Oberarzt an der Uni-Augenklinik Tübingen. Je früher man Augenerkrankungen behandle, desto besser könne die noch verbliebene Sehfähigkeit erhalten werden, sagt er. „Der bereits entstandene Schaden ist damit zwar nicht rückgängig zu machen, das verbliebene Sehvermögen wird aber stabilisiert“, erklärt Ziemssen. Bei fehlender Behandlung wird die Sehkraft dagegen zunehmend schlechter, der Betroffene kann ohne Therapie sogar erblinden.

Ist von einer Fachkraft diagnostiziert, dass das Sehvermögen irreparabel eingeschränkt oder gänzlich verloren ist, ziehen sich die Betroffenen anfangs oft zurück. „Für sie ist das oft keine einfache Situation. Sie müssen zunächst lernen, damit zurechtzukommen“, sagt Ostrowski.

80 Prozent aller Informationen, die unser Gehirn erreichen, nehmen wir über das Sehen auf, ergänzt Ziemssen. „Wir sind Augenmenschen.“ Fällt dieser Informationskanal weg, hat das starke Auswirkungen auf die Psyche. Werden die Probleme akut, etwa in Form einer Depression, sollten Angehörige das nicht ignorieren. Dann muss professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden, empfiehlt der Medizin-Professor aus Tübingen.

Im Alltag helfen sehbehinderten Menschen manchmal schon einfache Mittel. Einfarbige bunte Tischdecken sorgen gemeinsam mit weißem Geschirr für die nötigen Kontraste, damit das Essen und Trinken leichter fällt. Teppichkanten und andere Stolperfallen sollten unbedingt entfernt werden. Tageslichtleuchten blenden nicht so stark wie normale Lampen und erleichtern die Orientierung in den eigenen vier Wänden.

Blutdruckmessgeräte mit Sprachhilfe, Herde mit tastbaren Kontaktpunkten

Eine passende Brille oder spezielle Lupen und Lesegeräte sind ebenso wichtig. „Vergrößerung und gutes Licht bringen oft schon eine große Erleichterung“, sagt Ostrowski. „Auch wer nur noch schwach sieht, sollte aktiv am Leben teilnehmen und nicht traurig im Sessel hocken“, rät Ziemssen. Soziale Kontakte steigern die Lebensqualität erheblich. Außerdem gibt es spezielle Reha-Angebote, in denen Sehbehinderte und Blinde geschult werden mit dem Ziel, dass sie sich in ihrem Alltag besser orientieren können und weiterhin mobil bleiben. Sie lernen dort auch, ganz praktische Dinge wie Essen und Waschen zu bewältigen.

Angehörige sollten genau auf die Bedürfnisse der Erkrankten achten. Oft legen die nämlich großen Wert auf Selbstbestimmtheit und wollen nicht entmündigt werden. Eine Hilfe dabei können zum Beispiel auch Blutdruckmessgeräte mit Sprachhilfe sein, Herde mit tastbaren Klebepunkten zur besseren Orientierung sowie andere sinnvolle technische Möglichkeiten, um sich im Alltag zurechtzufinden.