Datenschutz etwa durch fehlenden Abgleich der Fotos mit Inhabern nicht gegeben

Hamburg. Fast alle 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten sollen inzwischen die elektronische Gesundheitskarte mit Foto besitzen. Doch der Ärger um die Karte hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Ärzte, Kassen und Funktionäre liefern sich wüste Beschimpfungen wegen der Pannen und der Weiterentwicklung des Milliardenprojektes e-Card. Die finanzielle Schmerzgrenze sei erreicht, die Karte bringe derzeit keinen Nutzen, geben selbst die Krankenkassen zu. „Wir haben die Komplexität dieses Projekts unterschätzt“, sagte die Chefin des Kassen-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer.

Die Kassen werfen den Ärzten „Blockade“ vor. Aber die sehen nicht ein, warum sie in den Praxen künftig die Karten einlesen und einen möglicherweise langen Abgleich der Kartendaten mit einem Server machen sollen. Der NAV-Virchow-Bund beispielsweise beklagt, dass der Datenschutz der Gesundheitskarte nicht ausreicht. Diese Auffassung hat durch den Diebstahl der Krankenakte von Michael Schumacher neue Nahrung erhalten. Wenn auf Computer-Servern der Kassen liegt, wer wie oft mit welcher Krankheit wie behandelt wurde, haben Hacker leichtes Spiel.

Die Politik hält die neue Karte für sicher. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forderte jetzt in der „Bild“-Zeitung, dass Notfalldaten und Medikamentenlisten von Patienten, etwa bei einem Unfall, schnellstmöglich mit der neuen Fotokarte abgerufen werden können. Allerdings betonen Notfallmediziner immer wieder, dass sie nicht erst die Karte in ein Lesegerät stecken und einen langen Abgleich machen, ehe sie ein Leben retten. Und wer nicht will, dass ein Medikament (oder Viagra) auf der Karte erscheint, kann das verhindern.

Bei einer Tagung am Freitag in Hamburg will die Kassenärztliche Vereinigung Experten zum Tohuwabohu um die Gesundheitskarte zu Wort kommen lassen: IT-Fachleute, Juristen, Datenschützer, Mediziner. Das Abendblatt sprach im Vorwege mit Klaus Fink, dem ehemaligen Datenschutzbeauftragten des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information, eine Behörde des Gesundheitsministeriums. Fink nimmt kein Blatt vor den Mund: „Fundamentale Forderungen des Datenschutzes, des Gesetzgebers und der Gematik bezüglich der elektronischen Gesundheitskarte wurden nicht berücksichtigt. Weil nie das Foto auf der Karte mit der Identität des Karteninhabers abgeglichen wurde, ist die gesamte Telematikinfrastruktur brüchig. So, wie die e-Card ausgegeben wurde, darf damit nicht auf Sozialdaten zugegriffen werden.“ Fink spricht von einer „Katastrophe“.

Im Februar hatte das Abendblatt über ein Gutachten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung berichtet. Schon darin steht, dass die Karte illegal ist, weil die Fotos nie mit den Versicherten abgeglichen wurden. Fink sagt, man könne die bereits ausgegebenen Karten nachrüsten. Aber: „So wie man in Smartphones auch Anwendungen nachladen kann, so sollen auch auf der e-Card Anwendungen nachgeladen werden können. Der Austausch der Karten muss jedoch davon unabhängig in regelmäßigen Abständen vorgenommen werden, genau wie auch ein Ausweis nur eine bestimmte Zeit gültig ist. Hintergrund ist, dass die auf der Karte gespeicherten Zertifikate bestimmten mathematischen Methoden folgen, die fortlaufend den steigenden Möglichkeiten der Computertechnik angepasst werden müssen. Daher haben diese Zertifikate quasi ein Verfallsdatum.“

Eine Nachrüstung der Karten koste etwa 700 Millionen Euro. Fink: „Allein schon für die Nutzung von Online-Geschäftsstellen der Krankenkassen ist dieser Schritt zwingend notwendig. Wie sollten zum Beispiel Betriebskrankenkassen, die sich bundesweit geöffnet haben, aber keine entsprechende Geschäftsstellenstruktur aufweisen, mit ihren Kunden sicher Sozialdaten online austauschen?“