Nicht immer bedroht der Onlinehandel die Einzelhändler vor Ort, er kann ihnen auch nutzen – Beispiele aus Hamburg

Hamburg. „Innenstädte veröden wegen Onlinehandels“ – solche Schlagzeilen spiegeln das schwierige Verhältnis zwischen Ladengeschäften und dem Internethandel wider. Aber es geht auch anders: Vielen Geschäften in Hamburg und anderswo hilft die zusätzliche Internetpräsenz, neue Kunden zu gewinnen – oder Stammkunden für neue Produkte zu begeistern. Verkauft wird dann online oder über die Ladentheke. „Für viele kleine Händler ist das Onlinegeschäft sehr anspruchsvoll. Aber es kann funktionieren“, sagt Heiner Schote, stellvertretender Geschäftsführer der Handelskammer Hamburg.

Beide Einkaufswelten – die realen Shops und die digitalen Auslagen im Internet – haben sich angenähert, so Schote. Kunden informieren sich im Netz und kaufen anschließend im Laden ein. Oder sie informieren sich im Laden und bestellen später online. Andere holen ihre Onlinebestellung im Geschäft ab. „Jeder Ladenbesitzer hat die Chance, durch einen Onlineshop die Kunden an zwei Orten abzugreifen“, sagt Constanze Samson, Betreiberin von Hansekind mit einem Ladengeschäft im Levantehaus. Über Jahre hat sie ihre eigene Marke aufgebaut, die Produkte rund um die Erstausstattung für Babys und Accessoires für Kleinkinder anbietet.

Samson fürchtet die Konkurrenz durch das Internet nicht, sie nutzt das Netz als Vermarktungsschiene. Das liegt vor allem an ihrem Sortiment. „Wir haben uns auf Geschenkartikel spezialisiert, die individuell verpackt werden und etwas Besonderes darstellen. Das ist eine Nische, in der wir auch im Netz erfolgreich sind. Wenn man dagegen nur mit der Masse mitschwimmt, wird es schwer“, so Samson. Ganz ohne bekannte Marken im Sortiment funktioniere ein neuer Internetauftritt allerdings auch nicht, „dann werden Sie nicht gefunden“.

Ähnliche Erfahrungen machte das Hutfachgeschäft und Familienunternehmen Falkenhagen unweit des Hamburger Rathauses. „Unser Online-Auftritt ist für uns fast so, als hätten wir ein neues Geschäft eröffnet. Er macht ebenso viel Arbeit, braucht viel Pflege. Aber wir haben nun eine Plattform, die das Geschäft belebt“, sagt Sabine Falkenhagen. Sie schätzt, dass die Onlinepräsenz den Umsatz um zehn bis 15 Prozent hat steigen lassen. Durch das Portal habe sich der Kundenkreis über Hamburg hinaus erweitert: „Die Kunden sehen im Internet, welch großes Angebot wir haben. Bei ihrem nächsten Hamburg-Besuch nutzen sie die Gelegenheit und schauen bei uns vorbei, weil es in ihrer eigenen Stadt kein Hutfachgeschäft mehr gibt.“

Gerade Fachgeschäfte mit qualitativ hochwertigen Waren könnten vom Internet profitieren, urteilt Falkenhagen. „Anders als bei Billiganbietern steht bei uns Beratung dahinter. Die Kunden können sie im Geschäft bekommen, am Telefon oder per E-Mail. Inzwischen haben wir auch Online-Stammkunden, die diese Kompetenz zu schätzen wissen.“ Und die sich die höhere Qualität auch etwas kosten lassen: Viele Hüte kosten im Onlineshop zwischen 60 und 250 Euro, Schirmmützen sind ab 50 Euro zu haben.

Kunden kaufen Unterhaltungselektronik lieber online, Schuhe lieber im Laden

Dass das Kaufverhalten produktabhängig ist, zeigt eine Umfrage aus dem Jahr 2013 des Unternehmens Creditreform Boniversum, die das Hamburger Statistikportal Statista veröffentlicht hat. Rund zwei Drittel der Befragten gaben an, Unterhaltungselektronik lieber im Online- oder Versandhandel kaufen zu wollen, ein Drittel geht dafür lieber in ein Geschäft. Hier liegt Potenzial zu einem unfairen Handel nach folgendem Schema: Interessierte Käufer schauen sich in einem Fachgeschäft um, lassen sich dort beraten, suchen dann aber im Internet nach dem billigsten Angebot und schlagen dort zu – der Einzelhändler vor Ort hat das Nachsehen.

Auch bei Telekommunikation, Computer und Zubehör überwiegt nach der Boniversum-Umfrage der Einkauf am Schreibtisch, Ketten wie Saturn haben darauf schon reagiert. Bei Spielwaren sowie Bekleidung, Textilien und Schuhen dreht sich das Verhältnis um: Gut die Hälfte der Kunden bevorzugt den klassischen Einzelhandel. Und fast 94 Prozent kaufen ihre Lebensmittel weiterhin im Supermarkt, im Discounter, in kleinen Geschäften oder auf Wochenmärkten.

Ein Hamburger Beispiel, bei dem das florierende Onlinegeschäft sogar zu neuen Läden führte, ist apo-rot. Die Keimzelle der Internetapotheke ist ein im Jahr 2002 gegründetes Ladengeschäft am Rothenbaum. Der Onlineshop startete zunächst mit Kosmetik- und Drogerieartikeln, bevor er 2004 die Zulassung zum Versand von Medikamenten erhielt. Heute sind dort mehr als 200.000 Produkte erhältlich.

„Nachdem wir die Apotheke am Rothenbaum und den Versand betrieben, haben wir nach und nach noch drei weitere apo-rot-Apotheken in Barmbek, Blankenese und Bahrenfeld eröffnet“, sagt Christin Kröger, Pressesprecherin von apo-rot. „Somit haben wir jetzt vier Apotheken – mehr ist rechtlich nicht erlaubt – und den Versand. Mit der Kombination aus Filial- und Versandhandel haben wir die Reichweite der eigenen Apotheken weit über Hamburg hinaus vorangetrieben. Wir versenden mittlerweile auch ins Ausland und haben deutschlandweit 17 eigenständige Partnerapotheken.“ Apo-rot hat heute ein Logistikzentrum in Bahrenfeld, mehr als 1,5 Millionen Kunden und 450 Angestellte.

Auch das virtuelle Einrichtungshaus Fashion For Home ging den Weg vom digitalen Angebot zur Präsenz vor Ort. In Hamburg hat das Berliner Unternehmen im Stilwerk einen Showroom eingerichtet, in dem ein Teil des Angebots an Möbeln und Wohnaccessoires zum Anfassen und Probesitzen ausgestellt ist. Welche Produkte gerade gezeigt werden, ist wiederum dem Onlineportal zu entnehmen. Ein Mitarbeiterteam im Ausstellungsraum berät die Kunden und hilft bei der Onlinebestellung vor Ort.

Marina Lichtenknecker, Inhaberin vom Blumenhaus Wolf in Hohenfelde, hat zwar eine eigene Webseite, könnte jedoch auch ohne leben. Sie profitiert vor allem als Partnerfirma von Fleurop. „Etwa ein Drittel meiner Blumen verkaufe ich inzwischen über Fleurop“, sagt Lichtenknecker, „dieses Geschäft ist durch das Internet deutlich gewachsen.“ Fleurop-Grüße lassen sich online per „Strauß-Konfigurator“ individuell gestalten. Nachdem zunächst das Geschlecht des Beschenkten, der Anlass (Liebe, Geburtstag, Sommer, Dank) und der gewünschte Stil des Straußes (klassisch, modern, gesteckt, mono) abgefragt werden, öffnet sich eine Seite mit einzelnen Blumen, die dann nach Belieben in eine virtuelle Vase gesteckt werden.

Besonders kleine Händler stehen vor großen Herausforderungen

Der Einzelhandel werde in diesem Jahr allein durch sein Onlinegeschäft wachsen, prognostiziert das Marktforschungsunternehmen GfK. Die Experten rechnen beim Umsatz der Ladengeschäfte mit einem leichten Minus von einem Prozent. Die wachsenden Internetumsätze könnten aber dafür sorgen, dass der Einzelhandel insgesamt mit einem leichten Plus von 1,2 Prozent das Jahr abschließen werde. Der Strukturwandel im Handel sei in vollem Gange, so GfK-Expertin Simone Baecker-Neuchl. „Die Einzelhändler müssen stimmige und zukunftsweisende Konzepte für ihre Online- und Offline-Verkaufskanäle entwickeln. Der Onlineboom bietet insgesamt betrachtet auch dem stationären Handel Chancen. Besonders kleinere Händler stehen aber vor großen Herausforderungen.“

Um kleinen Läden im Schanzenviertel den Sprung in den Onlinehandel zu ermöglichen, startete Hamburg@work, ein Netzwerk der Informations- und Kommunikationsbranche, im November 2011 das Projekt Schanzenport. Dabei verschaffte der Softwarehersteller ePages 33 Einzelhändlern aus dem Szeneviertel einen kostenlosen Auftritt in dem Onlineshop-Portal. „Das Interesse der Händler an der Aktion und das spätere Feedback von ihnen waren durchgehend positiv. Bis heute, mehr als zweieinhalb Jahre nach Start der Aktion, betreiben die meisten der Händler weiterhin ihren Onlineshop“, sagt Kristof Maletzke von ePages. Inzwischen sind 44 Läden auf schanzenport.de präsent.

Die Hürden, die kleine Shops zu nehmen haben, um erfolgreich im Internet zu verkaufen, benennt Handelskammer-Vize Heiner Schote: „Kleine Händler müssen ihre Internetpräsenz aufbauen und die Produktinformationen pflegen. Die Belieferung muss klappen, ebenso der Bezahlvorgang. Und die Retourenquote darf nicht zu hoch sein – das ist alles andere als trivial.“ Doch viele der befragten Ladenbesitzer sind wie die Hutfachhändlerin Sabine Falkenhagen überzeugt: „Man kann sich den Wandel zu eigen machen, anstatt ihn zu verteufeln.“

Tagung: „Wie verändern digitale Geschäftsmodelle Einzelhandel und Innenstädte?“ lautet der Titel des Handelskongress 2014 am Dienstag, 24. Juni, in der Handelskammer Hamburg. Informationen unter www.hk24.de/veranstaltungen