Kurze Sommernächte und die Weltmeisterschaft sind Schlafräuber. Wie man dennoch ausgeruht durch den Fußballsommer kommt

Berlin. Ziemlich unausgeschlafen kommen manche Kollegen zurzeit zur Arbeit. Die Nächte rund um die Sonnenwende am heutigen Sonnabend sind ziemlich kurz, und die langen Tage sind ideal, um draußen lange die Freizeit zu genießen. Doch die Schlafdefizite summieren sich auch durch die Spiele der Fußball-WM, die teilweise erst um 24 Uhr beginnen. Da wächst die Müdigkeit.

Die Nacht von Sonnabend auf Sonntag (Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang) dauert in der geografischen Breite von Hamburg nur sechs Stunden und 57 Minuten. Weil aber die Sonne in Sommernächten nur flach unter den Horizont sinkt und deshalb die Dämmerung lange währt, ist es keine sechs Stunden richtig dunkel. „Die kürzeste Nacht kratzt also an der empfohlenen Kernschlafzeit von sechs Stunden“, sagt Prof. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité in Berlin.

Statistisch betrachtet, schlafen wir im Sommer in der Tat weniger als im Winter. „Es gibt dazu wenige Untersuchungen, aber die kommen zu dem Schluss, dass die Menschen im Sommer 30 bis 60 Minuten pro Nacht weniger schlafen. Das ist nicht unerheblich“, sagt Fietze.

Nun auch noch – bis zum Endspiel am 13. Juli – die Fußballnächte. Was kann man tun, um nicht allzu sehr an Schlafmangel zu leiden ? Kann man vorschlafen? „Man kann. Das raten wir ja auch Schichtarbeitern, die nach ihrer Schicht nicht ausreichend Schlaf bekommen, weil das zum Beispiel wegen der häuslichen Situation nicht geht. Wir raten ihnen, vor ihrer Schicht gegen Abend 90 Minuten vorzuschlafen. Das hilft gegen das Schlafdefizit. 90 Minuten sind ausreichend, um die wichtigen Tief- und Traumschlafphasen zu erreichen.“ Was für die Schichtarbeiter gilt, das kann auch Fußballfans helfen, am nächsten Tag fit zu sein.

Rund zwei Drittel der Menschen dürfte das recht gut gelingen, sie sind „begnadete Schläfer“, wie Fietze diese Gruppe bezeichnet. Sie haben keine größeren Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen. Das restliche Drittel sind „sensible Schläfer“ oder sogar „gestörte Schläfer“. Ihr Schlaf-Wach-Rhythmus kommt leicht durcheinander, sie haben vermutlich Probleme, mal eben 90 Minuten vorzuschlafen.

Um gut über den Tag danach zu kommen, empfiehlt der Schlafmediziner ein kurzes Schläfchen zwischendurch von 15 bis 30 Minuten. Fietze propagiert das Nickerchen („Nap“, „Power-Nap“). Bei Vorträgen in Betrieben bekommt er für seinen Nap-Ratschlag viel Zustimmung von den Arbeitnehmern. Die Arbeitgeber seien bei den Vorträgen bedauerlicherweise oft nicht dabei – oder sie sind dagegen.

Das Nickerchen am Arbeitsplatz ist hierzulande – anders als etwa in Japan – verpönt. Dort heißt es: Wer auf dem Bürostuhl und mit dem Kopf auf dem Schreibtisch döst, der arbeitet gut. Fietze: „Das Nickerchen erfrischt und ist besser als eine Kanne Kaffee. Es steigert die Arbeitseffizienz, und die Arbeitgeber sollten eigentlich daran interessiert sein.“ Wer am Arbeitsplatz nicht einschlafen kann, sollte zumindest 15 bis 30 Minuten abschalten, ruhen und die Augen schließen oder ersatzweise einen Spaziergang machen.

Die Tageszeiten, zu denen die meis-ten einen Durchhänger haben und die prädestiniert für ein „Nap“ sind, liegen zwischen neun und zehn Uhr, zwölf und 14 Uhr sowie 16 und 18 Uhr. Man darf es sich nicht zu bequem machen – dann wacht man nach zehn bis 15 Minuten automatisch auf. Die Alternative ist ein Wecker. Wer sich das Nickerchen während der Arbeit nicht traut oder nicht einschlafen kann, muss dann eben doch zu Kaffee, Schwarz- oder Grüntee oder Cola greifen oder auch zu Ingwertee, wie Schlafmediziner Fietze rät. Wachhaltemedikamente sind in Deutschland nicht zugelassen.

Verpassten Schlaf nachholen geht zumindest bei gesunden Menschen immer. Und es geht schnell. Keineswegs muss man so viele Nächte ausschlafen, wie man zuvor kurze Nächte hatte. „Wer sich nach einem anstrengenden Jahr mit stetem Schlafdefizit vornimmt, im Urlaub drei Wochen ganz lang auszuschlafen, wird feststellen, dass er nach drei bis vier Nächten wieder ausgeruht ist“, sagt Fietze.

Millionen Deutschen ist das nicht vergönnt. 20 bis 30 Prozent leiden unter mehr oder weniger ausgeprägten chronischen Schlafstörungen, etwa jeder Siebte fühlt sich am Tag oft müde. Ingo Fietze nennt die häufigsten Schlafstörer: „Stress am Tag, Lärm in der Nacht, Dyskomfort und zu viel Licht. Wobei Dyskomfort eine durchgelegene Matratze sein kann oder auch eine zu hohe Zimmertemperatur.“ Neben solchen eher allgemeinen Schlafräubern zerren Wechselschichten von Arbeitern am natürlichen Schlaf-wach-Rhythmus – oder auch viele durchtanzte Nächte.

Schließlich gibt es die große Gruppe der Menschen mit dem Schlafapnoe-Syndrom. Dahinter stecken nächtliche Atemaussetzer durch eine zu entspannte Muskulatur der oberen Atemwege. Diese fallen zusammen, die Atmung stockt bis zu eine Minute, und der Sauerstoffgehalt des Blutes und der Organe sinkt. Die Reaktion des Körpers: ein Alarmimpuls und Nach-Luft-Schnappen. Das weckt den Betroffenen zwar nicht, raubt ihm aber die Schlaftiefe.

Gerade zur sommerlichen Reisezeit sorgt auch die Zeitverschiebung durch Interkontinentalflüge für Schlafprobleme. Den Jetlag überwindet der Urlauber am besten, wenn er sich am Zielort zwingt, so gut wie möglich mit dem dortigen Tagesrhythmus zu leben, sich viel im Freien (Licht!) aufhält, in der ersten Nacht ausreichend zu schlafen versucht und Alkohol und Schlafmittel meidet.

Der Jetlag geht von alleine vorbei – unter einer handfesten Schlafstörung leidet dagegen, wer morgens oft einfach nicht in die Gänge kommt und längere Zeit das Gefühl hat, nicht erholt zu sein. Wen dazu Tagesmüdigkeit und Sekundenschlaf plagt und wer das Gefühl hat, dem Job nicht gewachsen zu sein. Auch wer regelmäßig mindestens dreimal in der Woche mehr als 30 Minuten zum Einschlafen braucht oder nachts aufwacht und länger als 30 Minuten nicht wieder einschlafen kann, sollte sich an seinen Hausarzt wenden oder einen Schlafmediziner aufsuchen. Keinesfalls sollte man zu lange warten, sagt Ingo Fietze. „Nach einem Jahr ist es zu spät, dann bekommt man die Probleme nur schwer wieder in den Griff.“

Ein bisschen während der WM über die Stränge zu schlagen, dürfte indes keinem schaden. Vielleicht ist ja der Arbeitgeber zurzeit auch etwas toleranter gegenüber Mitarbeitern, die mit einem Nickerchen neue Kraft schöpfen.