EU will Vorgaben für Fahrzeugabmessungen ändern. Das schafft Spielräume für aerodynamische Designs, die gleichzeitig die Sicherheit erhöhen

Hamburg. Route 66, Lkw-Romantik in den USA: Große Trucks fahren mit chromblitzenden Auspuffrohren hinein ins Abendrot. Sie haben lange „Schnauzen“, in denen der Motor sitzt, der Fahrerkabine vorgelagert. Die europäischen Versionen sehen dagegen aus, als seien sie frontal gegen die Wand gefahren: Die Front fällt senkrecht ab, der Motor ist unter die Fahrerkabine gequetscht. Diese Kastenform ist der EU-Richtlinie 96/53 geschuldet. Während in den USA nur die Länge des Trailers (Ladungsbereich ohne Kabine) limitiert ist, gibt die EU eine Gesamt-Fahrzeuglänge von maximal 16,5 Meter vor. Das soll sich ändern – zugunsten eines effizienteren, sicheren Transports.

Anfang Juni nickten die EU-Verkehrsminister die Neuerung ab, die den Konstrukteuren Raum für strömungsgünstigere Designs bietet. Die entsprechenden Vorgaben stecken in der EU-Richtlinie 96/53, die nun modernisiert wird – allerdings mit acht Jahren Übergangsfrist. Die Zugfahrzeuge können dann eine „Nase“ bekommen, eine nach vorn gestreckte, abgerundete Fahrerkabine. Allein diese Modifikation könne je nach Ausführung drei bis fünf Prozent Kraftstoff und damit auch CO2-Emissionen einsparen, betont Transport& Environment, eine von Umweltverbänden getragene Brüsseler Lobbyorganisation für umweltfreundliche Mobilität. Dazu reiche bereits eine Frontverlängerung um 80 Zentimeter.

Eine gestreckte und abgerundete Fahrerkabine bietet weitere Vorteile: Der Sattelzug bekommt eine Knautschzone, die den Fahrer bei einem Auffahrunfall schützt. Und sie hilft schwächeren potenziellen Unfallgegnern. Der Fahrer hat durch größere Panoramafenster ein ausgedehnteres Sichtfeld ohne „tote Ecken“, sodass er Fußgänger und Radfahrer leichter wahrnehmen kann. Und sollte es doch einmal zur Kollision kommen, lenkt die geschlossene windschlüpfrige Front die verunglückte Person zur Seite weg, sodass sie nicht unter die Vorderräder kommen kann.

Michael Müller-Görnert vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) spricht von einem „wichtigen Wendepunkt“ der EU-Verkehrspolitik: „Lkw-Fronten gleichen künftig nicht mehr einer sperrigen Schrankwand. Schlanker und stromlinienförmiger gestaltet können Lkw nicht nur sieben bis zehn Prozent Kraftstoff einsparen, sondern, was noch wichtiger ist, es wird helfen, tödliche Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern zu vermeiden.“ Derzeit sei an jedem fünften tödlichen Verkehrsunfall ein Lkw beteiligt, obwohl Lkw nur drei Prozent aller Straßenfahrzeuge in Europa ausmachten, so der VCD. Die EU-Kommission schätzt, dass mit neuen Designs jährlich 300 bis 500 tödliche Unfälle mit Fußgängern oder Radfahrern vermieden werden könnten.

Mit einer Kraftstoffersparnis von zehn Prozent gibt sich eine Konzeptstudie des deutschen Fahrzeugbauers MAN nicht zufrieden. Bereits zur IAA Nutzfahrzeug-Messe 2012 präsentierten die Bayern zusammen mit dem Trailer-Hersteller Krone ihr Concept S, das neben der verbesserten Aerodynamik auch auf alternative Antriebe setzt. Alles zusammen soll den Spritdurst um bis zu 25 Prozent senken.

Neben der abgerundeten Front, strömungsgünstigen Tanks und einem sich verjüngenden Heck, das den Sog hinter dem Lkw reduziert, weist das visionäre Fahrzeug weitere aerodynamische Vorzüge auf: Es hat einen Dachspoiler, der die Lücke zwischen Zugmaschine und Trailer vollständig schließt, sodass die Luft gleichmäßig über den Sattelschlepper hinwegfließen kann, ohne das die Strömung abreißt. An Stelle der Rückspiegel, die ebenfalls Luftwiderstand bieten, sorgen Kameras für gute Sicht nach hinten. Und die Seitenverkleidungen erzeugen – neben der Windschlüpfrigkeit – zusätzlich mehr Sicherheit und dämpfen den durch die Rollgeräusche der Reifen entstehenden Lärm.

„Die damals vorgestellte Konzeptstudie wird so nie auf die Straße gelangen“, schränkt MAN-Sprecher Manuel Hiermeyer ein. „Sie sollte – wie bei Konzeptstudien üblich – nur anschaulich zeigen, was ohne gesetzliche Beschränkungen und unter dem Einsatz aller derzeit zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmittel an Kraftstoffeinsparung und Designelementen prinzipiell möglich wäre.“ Hiermeyer ist optimistisch, dass ein Teil der Ideen in die Praxis einfließen wird, mit einigem Vorlauf: „Die genauen Vorgaben, wie zukünftige Lkw-Modelle beschaffen sein müssen, werden erst innerhalb der nächsten Jahre durch die EU-Kommission festgelegt. Erst danach ist es technisch und wirtschaftlich sinnvoll, mit der konkreten Modellentwicklung zu beginnen. Diese dauert naturgemäß eine gewisse Zeit.“ Es werden, so der MAN-Sprecher, also noch einige Jahre vergehen, bis neue Lkw-Formen auf europäischen Straßen unterwegs sein werden, aber: „Natürlich werden wir unseren Kunden möglichst rasch Fahrzeuge anbieten, die die neuen Möglichkeiten ausschöpfen.“

Neue EU-Strategie nimmt den CO 2 -Ausstoß von Lkw ins Visier

Zu der Neuerung passt eine im Mai angenommene Strategie der EU-Kommission, die den klimaschädlichen CO2-Ausstoß von schweren Nutzfahrzeugen und Bussen verringern soll – bislang gibt es nur Limits für die Flottenverbräuche von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. Die Strategie sieht vor, zunächst den Abgasausstoß der Schwergewichte zu messen, auszuweisen und zu überwachen. Anschließend könnten weitere Maßnahmen, auch verbindliche Obergrenzen, folgen, so die Kommission. Das größte Potenzial, um wesentliche CO2-Einsparungen bei schweren Nutzfahrzeugen zu erreichen, liege im aerodynamischen Design des Gesamtfahrzeugs, betonte MAN bereits bei der Vorstellung des Concept S.

Konkurrent Daimler sieht in der Neufestlegung der Dimensionen ebenfalls eine „Chance für massive Effizienzsteigerungen“. Die Stuttgarter setzen aber eher hinten an. Der derzeitige Entwurf der neuen Regelung sehe einen Zuschlag von zwei Metern am Heck vor, so Carola Pfeifle von der Pressestelle der Daimler AG. Auch ihr Unternehmen habe auf der IAA 2012 zwei Fahrzeuge präsentiert. So biete der Aerodynamics-Trailer 18 Prozent weniger Windwiderstand und senke den Kraftstoffverbrauch um fast fünf Prozent. Dagegen seien Veränderungen an der Fahrzeugfront „mit erheblich größerem Aufwand, geringeren Einsparmöglichkeiten beim Verbrauch und gegebenenfalls Problemen in der Alltagstauglichkeit verbunden“.

Die EU-Kommission hatte die Richtlinien-Änderung im April 2013 angestoßen. Sie freut sich nun über das grüne Licht der Verkehrsminister, bedauert aber, dass die Neuerungen erst acht Jahre später in Kraft treten sollen. Kommissions-Vizepräsident Siim Kallas erklärte: „Die Form der Lkw auf unseren Straßen muss dringend verbessert werden. Die Kastenform zählt unter aerodynamischen Gesichtspunkten zu den ungünstigsten Formen, die man sich vorstellen kann. Es ist nicht nötig, die Gesellschaft fast ein Jahrzehnt auf sauberere, sicherere Lkw auf unseren Straßen warten zu lassen. Ich hoffe, dass wir mithilfe des Europäischen Parlaments Verzögerungen vermeiden können, damit Lkw mit der besseren Form so bald wie möglich auf den Markt kommen.“

Sobald sich das neu gewählte Parlament konstituiert hat, werden die abschließenden Verhandlungen beginnen, damit die neue Bestimmung bis Ende 2014 oder Anfang 2015 endgültig verabschiedet werden kann. Anschließend folgt die Detailarbeit.