Beste Ergebnisse im Tierversuch, wenn zunächst das Nervenwachstum gefördert wird und dann ein körperliches Training folgt

Zürich . Mit dem richtigen Timing von medikamentöser Stimulierung des Nervenwachstums und motorischem Training können Ratten nach einem schweren Schlaganfall wieder greifen lernen. Die besten Ergebnisse beobachteten Wissenschaftler, wenn die Nager zunächst eine Therapie erhielten, die das Nervenwachstum förderte, und anschließend körperlich trainierten. So könnten sich neue Nervenschaltkreise an den richtigen Stellen im Gehirn und im Rückenmark entwickeln, schreiben die Forscher um Martin Schwab von der Uni Zürich im Fachjournal „Science“.

Eine frühzeitige Physiotherapie mit gleichzeitiger medikamentöser Behandlung, die das Nervenfaserwachstum ankurbelt, kann sich demnach nachteilig auf die Motorik auswirken. „Die Studie macht Hoffnung auf eine wirksame Regenerationsförderung nach einem Schlaganfall“, sagt Neurologieprofessor Darius Günther Nabavi vom Vivantes-Klinikum in Berlin. Doch es handle sich zunächst nur um ein Tierexperiment; Anlass zu Euphorie bestehe nicht.

Von Schlaganfall-Überlebenden bleiben etwa 64 Prozent pflegebedürftig

Nach Daten der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe erleiden pro Jahr etwa 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Jeder fünfte Betroffene stirbt in den ersten Wochen an den Folgen. Von den Überlebenden bleiben etwa 64 Prozent ein Jahr nach dem Schlaganfall pflegebedürftig.

Bei einem Schlaganfall ist schnelles Handeln gefragt, die ersten Stunden entscheiden über das Ausmaß der Zellschädigung im Gehirn. Zunächst behandeln Spezialisten auf einer sogenannten Stroke Unit die Patienten. Anschließend folgen Rehabilitation und soziale Reintegration. Ein wichtiges langfristiges Ziel sei auch, weitere Schlaganfälle zu verhindern, sagte Nabavi, Regionalbeauftragter der Stiftung.

Martins Schwabs Team hatte untersucht, wie die motorischen Fähigkeiten von Ratten wiederhergestellt werden können, deren Vorderbeine nach einem Schlaganfall gelähmt waren. Viele Schlaganfall-Patienten seien in ihrem Alltag meist durch verminderte Hand- und Armfunktionen eingeschränkt, erklärt Erstautorin Anna-Sophia Wahl den Schwerpunkt der Untersuchung.

Zunächst behandelten die Forscher die Ratten mit einer speziellen Immuntherapie: Der Antikörper Anti-Nogo-A blockiert die sogenannten Nogo-A-Eiweiße, die die Nervenfasern im Zentralen Nervensystem umschließen und so ihr Wachstum hemmen. Setzt man den Antikörper ein, beginnen die Nervenfasern in verletzten Bereichen von Gehirn und Rückenmark wieder zu sprießen und Nervenimpulse weiterzuleiten. Außerdem mussten die Ratten ihre Vorderbeine trainieren, indem sie nach Futterpellets griffen.

Es gab vier verschiedene Testgruppen: Ratten, die den Antikörper Anti-Nogo-A bekamen und zeitgleich trainierten, Ratten, die erst zwei Wochen nach der Immuntherapie mit Anti-Nogo-A das Greifen übten und zwei Kontrollgruppen, denen ein anderer Antikörper verabreicht wurde, einmal mit parallelem und einmal mit zeitversetztem Training. Die Aufzeichnungen der verschiedenen Bewegungsmuster und die anatomischen Daten werteten Forscher von der Uni Heidelberg aus.

Die höchste Erfolgsrate erzielte die Kombination aus Anti-Nogo-A und zeitversetztem Training: Die motorischen Fähigkeiten wurden zu 85 Prozent wiedererlangt. Die Ratten, die früher trainieren, schnitten bei dem Greiftest mit 15 Prozent der ursprünglichen Leistung deutlich schlechter ab.

Zu frühes körperliches Training kann Nervenwachstum negativ beeinflussen

„Kurz nach dem Schlaganfall ist das Nervensystem leicht verwundbar“, sagt Erstautorin Anna-Sophia Wahl. „Beginnt man in diesem frühen Stadium mit dem Training, so wachsen die neu ausgebildeten Nervenfasern nach einem anderen Muster und verbinden sich an den falschen Stellen mit bestehenden Nervenzellen. Sie werden insgesamt zu stark stimuliert.“

Die Ergebnisse könnten die Entwicklung neuer Therapien nach einem Schlaganfall beim Menschen anregen, schreiben die Forscher. Wichtig seien vor allem die sorgfältige Abwägung des Zeitpunktes für eine Rehabilitationstherapie sowie eine auf die Patienten zugeschnittene Physiotherapie. „Die Studie belegt, dass geeignete Maßnahmen die Regenerationsvorgänge des Nervensystems nach einem Schlaganfall stimulieren und fördern können“, sagt Nabavi.