Der Bundesverband deutscher Stiftungen wählt den Hamburger Prof. Michael Göring zu seinem neuen Vorsitzenden. Im Interview spricht er über die Lage und Zukunft der Stiftungen in Deutschland.

Hamburg. Prof. Michael Göring, Vorsitzender des Vorstands der „Zeit“-Stiftung, führt nun auch die Geschicke des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen. Dieser wählte den Manager und Autoren („Der Seiltänzer“, „Vor der Wand“) im Rahmen des Deutschen Stiftungstages im CCH zum Vorsitzenden seines Vorstands. Das Abendblatt sprach mit ihm zur Lage und Zukunft von deutschen Stiftungen.

Hamburger Abendblatt:

Herzlichen Glückwunsch. Was sind die größten Herausforderungen in Ihrer neuen Aufgabe?

Prof. Michael Göring:

Ich finde es wichtig, den freiheitlichen Charakter von Stiftungen immer wieder zu betonen. Stiftungen leben aus ihrer Autonomie, und dieser Freiheitsraum wird immer bedeutender für unsere Gesellschaft. Stiftungen können neue Dinge anstoßen und Risiken eingehen. Wer kann das heute noch? Es ist ja kein Wunder, dass der Stiftungsgedanke sowohl im Dritten Reich als auch im Kommunismus unterdrückt wurde – Stiftungen sind, wie etwa die Pressefreiheit, ein Grundelement einer freiheitlichen Gesellschaft. Jeder Stifter lebt genau diesen Gedanken.

Ist denn die Autonomie der Stiftungen bedroht?

Göring:

Nein, bedroht ist sie nicht. Aber wir müssen uns dieser Grundbedingung von Stiftungen immer wieder bewusst werden. Deshalb müssen wir stifterisches Engagement weiter intensivieren. Das gelingt ja auch sehr gut: Wir haben jetzt mehr als 20.000 Stiftungen in Deutschland, das sind doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.

Woran liegt das?

Göring:

Erstens gibt es viele Persönlichkeiten mittleren Alters, die Geld geerbt haben und dieses vermehren konnten. Zweitens ist der Stiftungsgedanke modernisiert worden: Die Zeiten, in denen Stiftungen auf einen Antrag warten, auf einen Brief mit der Bitte um Geld, sind vorbei. Heute legen sie eigene Schwerpunkte fest und setzen entsprechende Projekte um, wie zum Beispiel die Kollegen der Körber-Stiftung, die sich aktiv um das Thema Älterwerden kümmern. Die Chance, als Stifter so operativ tätig zu sein wie ein Unternehmer, ist gerade für wohlhabende Menschen, aber auch für viele andere verlockend.

Wobei auffällt, dass sich überproportional viele Stifter auf das Thema Bildung stürzen. Zu viele?

Göring:

Ihre Beobachtung teile ich. Es sind ganz viele Stiftungen im Bildungsbereich aktiv, übrigens auch zu Recht, weil sich in diesem Bereich lange wenig getan hat. Wir müssen aber aufpassen, dass die Zahl der Bildungsprojekte mit dem Bedarf korreliert. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass sich kleinere Stiftungen, die hier tätig werden wollen, zusammen tun, gerade in den Städten. Sie können gemeinsam ein Projekt mit einer nennenswerten Summe realisieren und damit mehr Wirkung erzielen als mehrere einzelne kleine Projekte, für die 1000 oder 2000 Euro zur Verfügung stünden.

Womit wir beim nächsten Problem sind: Die lange Niedrigzinsphase macht den Stiftungen zu schaffen, weil sie aus ihrem Kapital immer weniger Erträge erhalten.

Göring:

In vielen der kleinen Stiftungen ist es so, dass die Stifter selbst ihrer eigenen Stiftung frisches Geld zuführen, damit sie ihre Ziele erfüllen kann. Mit den Zinserträgen kommt man im Moment leider nicht weit, wenn man ein Grundkapital von 50.000 oder 100.000 Euro hat. Der Vorteil der Spende ist ja zudem, dass sie die Steuerlast des Stifters reduziert. Wenn Sie 200.000 Euro verdienen und davon 40.000 Euro an eine Stiftung geben, versteuern sie eben nur noch 160.000 Euro. An diesen Steuervorteilen sieht man unter anderem, dass unsere Gesellschaft sehr stiftungsfreundlich ist. Auch deshalb ist die Zahl der Stiftungen in den vergangenen Jahren so gewachsen. Es gibt einerseits viel privates Kapital, andererseits wollen viele Menschen über eine Stiftung selbst bestimmen, wo ihr Geld gemeinnützig tätig werden soll.

Aber was machen Sie mit Stiftungen, die 50.000 Euro als Tagesgeld angelegt haben und dafür im Jahr 500 Euro Zinsen bekommen. Das reicht gerade für die Erstellung einer Homepage...

Göring:

Diesen Stiftungen rate ich, sich mit anderen zusammen zu schließen, und will mit dem Bundesverband dabei auch unterstützen. Eine weitere Möglichkeit ist die sogenannte Verbrauchsstiftung, die seit 2013 erlaubt ist. Soll heißen: Der Gedanke, dass eine Stiftung immer auf die Ewigkeit angelegt sei, ist keineswegs zwingend. Jetzt kann man auch eine Stiftung gründen, die zehn oder 15 Jahre besteht. In diesem Zeitraum muss man nicht nur die Zinserträge einsetzen, sondern darf auch das Stiftungskapital „verbrauchen“. Ich bin sicher, dass das zu noch mehr Stiftungsgründungen führen wird.

Für bestehende Stiftungen geht das aber nicht?

Göring:

Nein. Aber ich würde gern einen entsprechenden Vorstoß machen, dass sich Stiftungen auf Wunsch des Stifters entsprechend umwandeln können. Auch das sollte zur Autonomie des Stiftens gehören.