Flugzeuge, Autos, Züge: Krach ist allgegenwärtig in Städten – und er kann krank machen. Experten mahnen, das Problem werde zu zögerlich angepackt

Berlin. Einen Moment absoluter Stille haben etliche Menschen seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Anders als die Abgase wird der Lärm des Verkehrs vielfach nicht als gefährlich angesehen – obwohl er ebenfalls der Gesundheit massiv schaden kann. „Auch wenn das so mancher meint: An Lärm kann man sich nicht gewöhnen“, sagt Prof. Stefan Kääb, Leitender Oberarzt am Klinikum der Universität München. Bei Erwachsenen werde vor allem das Herz-Kreislauf-System, bei Kindern die Leistungsfähigkeit des Gehirns beeinflusst. Der Tag gegen Lärm am 30. April soll Bevölkerung und Entscheider stärker für das Problem sensibilisieren.

Zwar seien sowohl Autos als auch Flugzeuge in den vergangenen Jahren leiser geworden, sagt Prof. Rainer Guski, Umweltpsychologe an der Ruhr-Universität Bochum. „Das Aufkommen aber ist deutlich gewachsen.“ Das subjektive Empfinden von Menschen, dass ihre Umgebung lauter geworden sei, gehe oft auf dieses Mehr an Fahr- oder Flugzeugen zurück. „Es gibt weniger Pausen zwischen den Spitzen.“ Der Körper reagiere auf das hundertste Auto nicht mehr so stark wie auf das erste, zur Ruhe aber komme er nie.

Eine Umfrage des Umweltbundesamtes (UBA) ergab 2012, dass sich gut die Hälfte der Bevölkerung im Wohnumfeld vom Lärm des Straßenverkehrs gestört oder belästigt fühlt. Beim Schienenverkehr war es fast jeder Dritte, beim Fluglärm etwas mehr als ein Fünftel. Geräusche der Nachbarn – etwa von Laubbläsern – wurden von gut 40 Prozent der Befragten als Beeinträchtigung empfunden.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass die nächtliche Lärmbelastung einen mittleren Pegel von 40 Dezibel nicht überschreiten sollte. Der sogenannte bewertete Schalldruckpegel, der die Besonderheiten menschlichen Hörens berücksichtigt, liegt bei einer normalen Unterhaltung bei etwa 50 Dezibel, am Straßenrand bei starkem Stadtverkehr bei rund 80 Dezibel und in Discos oder nahe eines Presslufthammers bei bis zu 120 Dezibel.

Rund fünf Millionen Arbeitnehmer in Deutschland sind dem Helmholtz Zentrum München zufolge am Arbeitsplatz gehörgefährdendem Lärm ausgesetzt. Lärmschwerhörigkeit sei mit etwa 5500 Fällen im Jahr die häufigste anerkannte Berufskrankheit. Zunehmend mehr Hörschäden gibt es zudem bei Jugendlichen, Hauptursache ist hier das laute Hören von Musik und anderer Freizeitlärm. Doch schon weit unter einem Schalldruckpegel von 85 Dezibel kann Lärm krank machen.

„Lärm ist ein unabhängiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt der Kardiologe Kääb. Eine Vielzahl internationaler Studien belege dies. Der Krach löst Stressreaktionen des Körpers aus, Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol werden verstärkt gebildet, was wiederum den Blutdruck steigen lässt, die Herzfrequenz beschleunigt und die Blutgerinnung aktiviert. Schätzungen zufolge sind allein etwa 4000 Herzinfarkte jährlich in Deutschland auf Straßenverkehrslärm zurückzuführen.

Die gefährliche Kaskade werde auch dann in Gang gesetzt, wenn der Betroffene den Lärm gar nicht bewusst wahrnehme oder nicht als störend empfinde – etwa im Schlaf, sagt Kääb. Mit Lärm vorm Schlafzimmerfenster dauert es länger bis zum Einschlafen und Erreichen der Tiefschlafphase, die Gesamtschlafzeit wird verkürzt. Und auch nachts laufen Stressreaktionen im Körper ab, der Blutdruck steigt.

Je länger ein Mensch in zu lauter Umgebung lebe, desto größer werde sein Risiko für gesundheitliche Probleme, sagt Kääb. Viele Betroffene und auch Mediziner hätten Lärm als mögliche Krankheitsursache aber noch nicht auf dem Zettel. „Ein Arzt sollte auch fragen: Wo leben Sie, wie stark sind Sie Lärm ausgesetzt?“ Dabei sei zu beachten, dass Lärm sehr subjektiv empfunden werde und sich zudem individuell verschieden stark auswirke – ähnlich, wie dies auch beim Rauchen der Fall sei.

Bei Kindern wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Auswirkungen von Dauerlärm auf die Hirnfunktion gezeigt. Eine Studie mit neun bis zehn Jahre alten Kindern aus europäischen Ländern wies darauf hin, dass sich deren Lernfähigkeit und Gedächtnisfunktion verschlechtern, wenn die Schulen in einem mit Fluglärm belasteten Gebiet liegen. „Bei lauter Umgebung bekommen Kinder nicht nur weniger mit, sie behalten auch weniger“, heißt es in einer Information des Helmholtz Zentrums München. Das gelte bereits für moderate Hintergrundgeräusche. In vielen Klassenräumen halle und dröhne es noch immer viel zu stark.

Rainer Guskis Arbeitsgruppe von der Ruhr-Universität Bochum untersucht in der NORAH-Studie die Auswirkungen des Lärms von Flug-, Schienen- und Straßenverkehr auf die Gesundheit und Lebensqualität. Fluglärm werde bei vergleichbarem Schallpegel immer als störender wahrgenommen, sagt er. Der gemittelte Dauerschallpegel sei oft keine geeignete Messgröße – vor allem für Schlafforscher. „Da ist er völlig uninteressant, es kommt nachts auf die einzelnen Lärmereignisse an.“

Zumindest in einigen Regionen gebe es inzwischen eine Tendenz zu weniger Lärm, sagt Michael Jäcker-Cüppers, Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik (ALD). In Berlin etwa sei die Zahl hochbelasteter Menschen, die nachts mehr als 55 Dezibel Straßenlärm ausgesetzt seien, von 296.000 im Jahr 2007 bis 2012 um etwa 40.000 gesunken. Ähnlich sei die Entwicklung in Hamburg und München sowie an einigen Flughäfen wie dem in Frankfurt am Main, wo nach dem Bau einer vierten Bahn ein partielles Nachtflugverbot erlassen wurde. „Mehr Fluggäste bedeuten auch nicht unbedingt mehr Maschinen“, sagt Jäcker-Cüppers. „Es werden mehr größere Flugzeuge genutzt.“

Beim Lärm sind viele Menschen sowohl Opfer als auch Täter. „Wir sind alle Mitverursacher, etwa wenn wir selbst für kurze Wege das Auto nehmen“, sagt der ALD-Vorsitzende. Ein positiver Trend sei daher, dass in großen Städten wie München und Berlin immer mehr Menschen aufs Rad umstiegen. Die Hauptstadt habe 2008 einen recht fortschrittlichen Lärmaktionsplan beschlossen. Die Aktionspläne seien an sich ein gutes Modell, sagt auch Guski. Eine Umsetzungspflicht gebe es aber leider nicht. „Wenn Berlin und andere Städte in dem Tempo weitermachen, ebbt die Zahl der Hochbelasteten erst in 30 Jahren ab“, sagt Jäcker-Cüppers. „Das geht alles viel zu langsam.“

Ohnehin gehe ein solcher Plan das Problem nicht flächendeckend an, sondern nur selektiv. So sei in Berlin auf bestimmten Hauptrouten das Tempo auf 30 Stundenkilometer beschränkt worden. „Die Akzeptanzschwierigkeiten sind da groß, nicht nur bei den Autofahrern“, sagt Jäcker-Cüppers. „Auch die Verkehrsbetriebe waren dagegen, unter anderem weil sich die Fahrtzeit der Busse verlängerte.“ Einzelhändler protestieren bei der Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen, Zulieferer gegen Lkw-Fahrverbote. Das zentrale Problem sei aber die Finanzierung. Oft reiche das Geld von Kommunen nicht mal aus, um die Löcher in den Fahrbahnen zu flicken; an lärmarme Straßendecken sei da gar nicht zu denken.

Für den Straßenbau werde noch immer viel mehr Geld ausgegeben als für öffentliche Verkehrsmittel und Radwege, kritisiert Guski. „Da hängt viel vom politischen Willen und von Lobbys ab.“ Beim Thema Lärm gehe es auch um soziale Gerechtigkeit. „Man muss es sich leisten können, ruhig zu wohnen.“