Im Kampf gegen die Übertragung der Schlafkrankheit: Wissenschaftler aus 18 Ländern waren fast zehn Jahre damit beschäftigt, das Genom des Insekts zu entschlüsseln

Tokio/Hamburg. Der Safari-Guide in Afrika schüttelt energisch den Kopf: „Bitte nicht mit dieser Kleidung.“ Schließlich scheinen blaue Farben die Tsetsefliegen magisch anzuziehen – und diese Insekten stechen nicht nur sehr schmerzhaft, sondern können auch die gefährliche Schlafkrankheit übertragen. Weshalb blaue Töne so attraktiv auf Tsetsefliegen wirken, kann jetzt ein riesiges Wissenschaftlerteam, angeleitet von Junichi Watanabe von der Universität Tokio, in der Zeitschrift „Science“ nach genauer Analyse des Erbguts dieser Insekten erklären. Die Augen der Tiere ähneln nämlich denen der Stuben- und Schmeißfliegen – und sie besitzen ein Sehpigment für Blau.

Nur für diese Erkenntnis hätte es sich natürlich kaum gelohnt, mit einem Riesenaufwand das Erbgut der Tsetsefliege Glossina morsitans morsitans zu entschlüsseln. Den Forschern ging es eher um die molekularbiologischen Grundlagen des Überträgers der Schlafkrankheit. „Neue Methoden zur Bekämpfung der Tsetsefliege könnten mit dieser Hilfe aber wohl erst nach etlichen Jahren entwickelt werden“, vermutet Christian Meyer vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg. „Vielleicht findet man im Stoffwechsel Möglichkeiten, neue Insektizide zu entwickeln, die gezielt die Tsetsefliegen treffen“, sagt der Molekularmediziner und Tropenarzt. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, schließlich meistern diese Tiere mit ihrem 366 Millionen Bausteine langen Erbgut und dessen 12.308 Erbeigenschaften ein zum Teil recht verblüffendes Leben.

Anders als die Stechmücken Mitteleuropas oder auch die Malaria übertragenden Anopheles-Mücken wärmerer Weltgegenden, bei denen nur die Weibchen Blut saugen, um mit dieser Hilfe Eier zu legen, ernähren sich beide Geschlechter der Tsetsefliege vom Blut von Wirbeltieren. Um an ihre Blutmahlzeit zu kommen, reißen die Insekten mit ihren Mundwerkzeugen einfach große Stücke aus der Haut ihres Opfers und saugen dann austretendes Blut und Lymphflüssigkeit auf.

Normalerweise ziehen sich die verletzten Gefäße des Opfers sofort zusammen und Blutplättchen verstopfen rasch die Öffnung. Tsetsefliegen aber produzieren in ihren Speicheldrüsen eine Mischung aus mehr als 250 Proteinen, die die Blutgerinnung verhindert und auch Entzündungsreaktionen des Opfers abschwächt. So sichern sich die Fliegen eine kräftige Blutmahlzeit. Die Erbinformationen für einige der in dieser Mischung enthaltenen Proteine kennen die Forscher inzwischen.

Tsetsefliegenweibchen legen keine Eier, sondern gebären lebende Larven. In ihrem Hinterleib ernähren die Insektenmütter jeweils eine einzige Larve mit einer Flüssigkeit, die der Milch von Kühen und anderen Säugetieren erstaunlich ähnelt. Zwölf Erbeigenschaften haben die Forscher in der Tsetsefliege gefunden, die für die Produktion dieser Insektenmilch gebraucht werden. Sie sind alle in Müttern mit Nachwuchs im Hinterleib angeschaltet und stellen rund die Hälfte aller Kopien von Erbeigenschaften, die für die Produktion von Proteinen benötigt werden.

Weil sich Tsetsefliegen so aufwendig um ihren Nachwuchs kümmern, bekommen sie in ihrem gesamten Leben nur acht bis zehn Larven. Diese geringe Fortpflanzungsrate macht auch die blauen Fallen relativ erfolgreich, mit denen die Insekten angelockt werden: Sie verringern die Zahl der Tsetsefliegen kräftig. Das aber senkt auch das Risiko für die Schlafkrankheit, die von winzigen, einzelligen Parasiten, den Trypanosomen, ausgelöst wird. Diese vermehren sich zunächst in der Tsetsefliege und verändern dann die Zellen der Speicheldrüse so, dass sie deutlich weniger Proteine produzieren. Infizierte Insekten müssen daher länger Blut saugen und übertragen so die Trypanosomen viel effektiver auf ihr Opfer.

Wird ein Mensch infiziert, vermehren sich die Parasiten im Blut, in den Lymphknoten und im Gehirn. Das führt nach ein bis drei Wochen zu Fieber und Schüttelfrost. Manchmal erst nach einem halben Jahr machen sich die Parasiten im Zentralnervensystem mit Ausfallerscheinungen bemerkbar: Die Patienten werden apathisch, bekommen Krampfanfälle und fallen schließlich in einen Dämmerzustand, nach dem die Schlafkrankheit benannt ist.

„Mit bestimmten Medikamenten kann die Krankheit im Anfangsstadium gut geheilt werden“, erklärt der Leiter der Tropenmedizin der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg, August Stich. Unbehandelt führt die Erkrankung aber zum Tod. Daher sollten mehr Mittel in diesen Bereich der Tropenmedizin fließen, der zusammen mit den Blaufallen bereits erste Erfolge zeigt. „Schätzte die Weltgesundheitsorganisation 2001 noch rund 400.000 Fälle von Schlafkrankheit in Afrika, war diese Zahl bis 2005 auf 60.000 und bis 2011 auf 30.000 Infizierte gesunken“, sagt Christian Meyer. Es gibt also durchaus Mittel gegen die tückische Krankheit. Und vielleicht liefert in einigen Jahren auch das jetzt entschlüsselte Erbgut der Tsetsefliege einen Beitrag, um die Schlafkrankheit weiter zurückzudrängen.