Heute erster kostenloser Onlinekurs der Hamburger Hochschule. Bürgermeister Scholz spricht von großem Nutzen

Hamburg. Die Schätze des Mineralogischen Museums präsentiert Frank Hoffmann im Kapuzenpulli. Er steht vor einer hell erleuchteten Vitrine, in der Kristalle in verschiedenen Formen und Farben ausgestellt sind, violett schimmernde Fluorite, matt glänzende Rauchquarze, Granate und Smaragde. „Welcome!“, willkommen, sagt Hoffmann, breitet seine Arme aus und blickt in die Kamera, mit der ihn sein Kollege Michael Sartor filmt. Dann beginnt er seinen Vortrag.

Die beiden Chemiker von der Uni Hamburg drehen die elfte Folge ihres Onlinekurses zum Thema „Faszination Kristalle und Symmetrie“. Das Seminar ist der erste Mooc der Hochschule. Die Abkürzung steht für „Massive Open Online Course“, frei zugängliche und meist kostenlose Seminare im Internet, die ein großes Publikum ansprechen sollen. Befürworter sehen Moocs vor allem als Chance für eine flexiblere Ausbildung von Studenten, manche erhoffen sich eine Demokratisierung der Hochschulbildung, von der die ganze Gesellschaft profitieren könnte.

Für den Kurs der Hamburger haben sich schon mehr als 10.000 Menschen angemeldet. Der erste Teil startet am heutigen Dienstag. Wer teilnehmen möchte, gelangt über www.abendblatt.de/mooc zur Anmeldung.

Die zusätzlichen Kosten sind derzeit noch ein Problem für die Universitäten

Möglich wurde das Seminar, weil sich Hoffmann, Sartor und ihr Kollege Michael Fröba im vergangenen Jahr an einem Mooc-Wettbewerb beteiligt hatten, der vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und dem Unternehmen iversity ausgerichtet worden war. 255 Bewerbungsvideos aus 20 Ländern wurden dafür eingereicht. Im Juni 2013 stand fest, dass die Hamburger Chemiker zu den zehn Gewinnerteams gehören und 25.000 Euro Preisgeld erhalten, um ihren Kurs zu realisieren.

Aus Hoffmanns Sicht gehören Onlinekurse zu einer zeitgemäßen Hochschullehre. „Wir passen uns dadurch den Digital Nativesan“, sagt er und meint damit jene Menschen, die mit dem Internet und digitalen Technologien aufgewachsen sind. „Die Studenten holen sich bereits viele Informationen aus dem Netz“, sagt Michael Sartor. „Bei dieser Entwicklung bin ich als Lehrender lieber von Anfang an dabei.“

Moocs könnten zudem helfen, die Hochschullehre effizienter zu gestalten, glauben die beiden Wissenschaftler. Würde man Veranstaltungen, die jedes Semester den gleichen relativ einfachen Stoff vermitteln, etwa Einführungsseminare, als Mooc produzieren, hätte das mehrere Vorteile: Die Studenten könnten sich ihre Zeit freier einteilen und die Videos beliebig oft anschauen; und die Dozenten, die sonst im Hörsaal stehen, könnten die gesparte Zeit in eine intensivere Betreuung stecken.

Im nächsten Semester möchte Hoffmann „blended learning“ erproben. Mithilfe mehrerer Videos aus dem jetzt produzierten Mooc sollen die Studierenden sich zunächst online Grundlagenwissen über Kristalle aneignen. Anschließend möchte Hoffmann das Thema mit einem Seminar an der Universität vertiefen.

Gemessen an der Zahl der klassischen Seminare und Vorlesungen in Deutschland sei der Anteil von Moocs noch extrem klein, sagt Claudia Bremer, Geschäftsführerin von studiumdigitale, der E-Learning-Einrichtung der Universität Frankfurt (Main). Sie organisierte 2011 den ersten deutschen Mooc. Das Problem seien die zusätzlichen Kosten und der hohe Aufwand, sagt Bremer: „Die Hochschulen brauchen für Moocs ein Geschäftsmodell. Und daran hapert es noch.“

Das gilt auch in Hamburg. Zwar sind Onlinekurse als neue gemeinsame Aufgabe der Hamburger Hochschulen vorgesehen, wie aus dem Gesetzentwurf für eine Reform des Hochschulgesetzes hervorgeht. Zudem soll die Lehrverpflichtungsverordnung so geändert werden, dass Hochschullehrer bis zu 25 Prozent ihrer Lehrverpflichtung durch Onlineveranstaltungen erfüllen können. Für Bürgermeister Olaf Scholz seien „Moocs und die wachsende Bedeutung der digitalen Lehre schon seit Längerem zentrale Themen“, teilt sein Sprecher Christoph Holstein auf Anfrage mit. Scholz glaube, dass Hochschulen mit Moocs einer breiten Öffentlichkeit Wissen vermitteln und Lehre zugänglich machen könnten. Das könne etwa als Unterstützung der Präsenzlehre oder auch für Bereiche der Weiterbildung „von großem Nutzen“ sein.

Im Februar habe Scholz in einer vertraulichen Runde mit „Spitzenvertretern der Hamburger Hochschullandschaft“ und Experten anderer Hochschulen gesprochen, um die Chancen von Moocs in Hamburg auszuloten. Nun wollten der Bürgermeister und Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt diesen Dialog fortsetzen, um „schnell eine effektive Strategie für den Hochschulstandort Hamburg zu entwickeln“. Denkbar sei etwa die Gestaltung einer „Mooc-tauglichen, hochschulübergreifenden Plattform“. Geplant sei jedoch nicht, dass die Hochschulen zusätzliches Geld dafür erhielten; der bisherige Etat werde nicht erhöht.

Dieter Lenzen, Präsident der Uni Hamburg, sagt, man werde die weitere Entwicklungen von Moocs „intensiv beobachten, jedoch gegenwärtig selbst nicht aktiv in der breiten Einführung tätig werden“. Kritisch gesehen würden derzeit unter anderem der „hohe Erstellungsaufwand und die damit verbundenen Kosten“, aber auch die „häufig mangelnde Betreuung der Lernenden sowie die hohen Abbruchquoten“. Lenzen kann sich Moocs dennoch für etliche Bereiche vorstellen, etwa für öffentlichkeitswirksame Lehrveranstaltungen zu aktuellen Themen, zu Profilbereichen der Uni, in der Studieneingangsphase sowie in der Weiterbildung.

Ob für einen Mooc größere Kosten entstehen, hängt vom Aufwand ab. Das Team um Frank Hoffmann wird für das Seminar über Kristalle mehr als 50 Videos drehen; inklusive Schnitt und Bearbeitung werden wohl 800 Arbeitsstunden zusammenkommen. Technisch und zeitlich aufwendig seien vor allem Außendrehs, sagt Hoffmann. „Ohne das Preisgeld wäre die Mooc-Produktion zumindest in dieser Form nicht möglich gewesen.“

Dass ein Mooc mit weniger Mitteln möglich ist, zeigt Martin Meywerk, Professor für Fahrzeugtechnik an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Auch er hatte sich bei dem Wettbewerb des Stifterverbands beworben, gehörte aber nicht zu den Gewinnern. Jetzt produziert Meywerk seinen Mooc über Fahrzeugdynamik ohne Preisgeld. Er lieh sich im Medienzentrum der Hochschule technische Ausrüstung und reservierte einen Raum dauerhaft als Drehort, damit die Kamera nicht jedes Mal neu arrangiert werden muss.

Moocs könnten einzelne Hochschulen bekannter und attraktiver machen

Der erste Teil seines Kurses ist schon angelaufen; im Juni soll der zweite folgen, für Oktober hat er den letzten Block geplant. Im Vergleich zu einer normalen Vorlesung benötige er für die Produktion einer Onlinelehreinheit mehr als doppelt so viel Zeit, trotzdem bereue er die Mühe nicht, sagt Meywerk. „Wir haben schon mehr als 21.000 Anmeldungen.“ Wer teilnehmen möchte, gelangt über www.abendblatt.de/mooc2 zur Anmeldung.

Ob sich Moocs auf breiter Front durchsetzen werden, könnte davon abhängen, ob Hochschulen über ihren Tellerrand hinausblicken, sagt Claudia Bremer von der Universität Frankfurt. Zunächst erscheine es als Minusgeschäft, wenn eine Hochschule auch Studenten anderer Universitäten und Interessierten ohne Abitur kostenlose Moocs anbiete. Allerdings biete dies die Chance, die Hochschule bekannter zu machen, im Weiterbildungsbereich aktiver zu werden und so „langfristig neue Einnahmequellen zu erschließen“. Die Moocs selbst könnten kostenlos bleiben; für die Betreuung oder für ein Zertifikat könnten die Hochschulen aber Geld verlangen, schlägt Bremer vor.

In den USA erproben private Onlineakademien wie Udacity und Coursera solche Modelle bereits – zum Erfolg halten sich die Firmen noch bedeckt. Bislang werden sie von Investoren finanziert. An den US-Unis, die Moocs populär gemacht haben, sind die Onlinekurse weiterhin kostenlos.

Frank Hoffmann möchte zwar auch möglichst viele Menschen begeistern. Eine Betreuung bei Moocs müsse sich aber auf Teilnehmer beschränken, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben. „Ein Dozent kann sich nicht um Zehntausende Teilnehmer kümmern.“