Weltgrößtes Korallenriff durch Dornenkronen bedroht. Forscher setzen Ochsengalle ein

Cairns. Morgens um 7 Uhr im Hafen von Cairns, Australien: Die Crew der „Venus II“ lädt Laptops, Gemüse und Regenjacken ein. Zehn Tage wird sie auf See sein, direkt am Great Barrier Reef, keine 50 Kilometer vor der Küste. An Bord: Kapitän Jared und zehn Taucher. Die Mission: Dornenkronen-Seesterne töten, so viele wie möglich.

„Die Dornenkronen sind eine Pest, sie fressen die ganzen Korallenriffe kahl“, sagt Expeditionsleiter Daniel Schultz, 36. Das kann fatale Folgen haben. Das 2300 Kilometer lange Great Barrier Reef entlang der australischen Ostküste ist ohnehin schon lädiert: durch die Schifffahrt, durch den Ausbau von Häfen, durch Düngemittel, die von Plantagen ins Meer gespült werden, durch Zyklone und Klimaeinflüsse. Eine Invasion der gefräßigen Killer-Seesterne könnte ihm den Rest geben.

„Dornenkronen stellen für das langfristige Überleben der Korallenriffe eine bedeutende Bedrohung dar“, warnt das Meeresforschungsinstitut Aims. Das Institut schätzt, dass 2013 ein Drittel der rund 3000 Korallenriffe des Meeresparks befallen waren.

Nun sind Dornenkronen nicht neu. Allerdings traten sie früher nur alle 80 Jahre massiv auf – inzwischen gebe es alle 15 Jahre Ausbrüche, berichtet die Meerespark-Behörde am Great Barrier Reef. „Normalerweise erholen sich die Riffe in der Zwischenzeit“, sagt Korallenforscher Morgan Pratchett von der James-Cook-Universität in Townsville. „Aber das funktioniert nicht mehr, weil sie durch viele andere Störungen geschwächt sind.“

Als Ursache der Dornenkronen-Vermehrung sieht die Meerespark-Behörde vor allem die Wasserqualität. Wenn nach Überschwemmungen aus Plantagen in Fluss- oder Küstennähe viele Nährstoffe ins Meer gespült werden, sei das für Dornenkronenlarven ein Fressfest. Einmal ausgewachsen, hätten sie keine natürlichen Feinde mehr. Eine Dornenkrone kann zehn Quadratmeter Korallen im Jahr vertilgen. Hunderttausende davon sitzen auf den Riffen.

Der Körper erreicht – ohne Arme – einen Durchmesser von 30 Zentimetern. „Wir haben auch schon welche mit 40, 50 Zentimetern gesehen“, sagt Schultz. Auf den bis zu 23 Armen und dem Körper sitzen lange Stacheln mit giftigem Sekret. Fische machen einen weiten Bogen um die Riffzerstörer.

Kapitän Jared nimmt an diesem Morgen Kurs auf Green Island, ein Schnorchel- und Tauchparadies etwa 45 Minuten vor der Küste von Cairns. Der ganze Trip dauert zehn Tage und führt weiter Richtung Norden, wo der Dornenkronenbefall alarmierende Ausmaße angenommen hat. In Green Island hat die Crew vor einem Monat schon einmal abgeräumt. „Das Beste wäre, hier heute nichts zu finden“, sagt Schultz. Er ist einiges gewohnt: „Wir haben in der Nähe mit zehn Tauchern schon mal 7700 Dornenkronen an einem Tag gefunden.“

Jeder Taucher trägt einen Plastikcontainer mit Gift am Gürtel und zwei einen Meter lange Stöcke: An einem ist die Spritze per Schlauch mit dem Giftbehälter verbunden, am anderen steckt ein Haken, um das Tier zu fixieren. Der Taucher stößt die Nadel in den Körper und presst das Gift dann durch die Spritze. „Wir müssen mit der Spritze am oberen Teil eines Arms treffen, etwa in Höhe des Bizeps“, sagt Schultz.

Ein Forscher der James-Cook-Universität hat den Kampf gegen Dornenkronen revolutioniert. Jairo Rivera-Posada fand heraus, dass ein einziger Schuss Ochsengalle die Tiere zur Strecke bringen kann. „Sie beginnen, sich innerhalb von zwölf Stunden zu zersetzen“, sagt Schultz. „Nach einer Woche sind nur noch ein paar Dornen übrig. Mit der alten Methode haben wir höchstens 70 bei einem 40-minütigen Tauchgang geschafft, mit der neuen können wir mehr als 300 schaffen“, sagt er. Diese Zahl erscheint immer noch nicht bedeutend angesichts von vielen Tausend Dornenkronen auf einem Riff, dennoch sei die Maßnahme sinnvoll, meinen andere Forscher: „Das ist durchaus effektiv“, sagt Yvonne Sawall vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, die sich mit Riffökologie beschäftigt. „Es sollen ja auch nicht alle Dornenkronen getötet werden.“

Seit etwa sechs Monaten spritzt das Team um Schultz nun erfolgreich Ochsengalle – nach langen Studien, um sicherzustellen, dass weder Korallen noch Fische gefährdet werden. Vorher wurden die Dornenkronen mit Natriumbisulfit getötet – aber da musste jeder Arm einzeln injiziert werden. „Man hat bei so vielem Pressen regelrecht Krämpfe in den Händen bekommen“, sagt Georgia, mit 19 Jahren die Jüngste an Bord. „Ich habe ein Herz für Tiere“, sagt sie, „manchmal tut es einem leid, aber ich weiß, dass die Eliminierung einem höheren Zweck dient.“

In einem gesunden Ökosystem haben Dornenkronen durchaus ihre Aufgabe. Sie fressen vor allem schnell wachsende Korallen, etwa Akroporen, die im Jahr schon einmal 30 Zentimeter wachsen können. „Die Dornenkronen machen auf den Korallenstöcken Platz für die langsamer wachsenden Arten“, sagt Schultz. „Sie sind ein bisschen wie Buschfeuer, die das Unterholz abbrennen und Platz für Neues schaffen.“ Wenn das Ökosystem aber angeschlagen ist, gerät es mit einer Dornenkronenattacke schnell aus den Fugen: Das Riff hat nicht genügend Zeit, sich zu erholen, und die nächste Dornenkronengeneration frisst aus der Not heraus auch die langsam wachsenden Arten.

Georgia arbeitete vorher bei einem Immobilienmakler. Diese Arbeit – zehn Tage auf dem Boot, vier Tage frei – gefällt ihr besser. „Dies ist mein dritter Trip“, sagt sie. Ich verdiene doppelt so viel, und ich kann nach dieser Tour meinen Autokredit abzahlen.“ Die Truppe an Bord ist ein eingespieltes Team. Einige haben vorher als Tauchlehrer oder Animateure in Touristenzentren gearbeitet, andere haben Meeresbiologie studiert. Jeder packt an: Sie lösen sich ab beim Kochen und beim Putzen, wenn es sein muss, auch im Maschinenraum.

Die Jagd auf die Killer-Seesterne finanziert die Behörde des Meeresparks Great Barrier Reef . Organisiert wird sie vom Verband der Tourismusunternehmen am Korallenriff. „Die Säuberung der Riffe, wo Touristen schnorcheln und tauchen, hat höchste Priorität“, sagt Schultz. Wenn alle Dornenkronen eines befallenen Riffs getötet sind, wird ein Hunderte Meter breiter Ring darum auch gesäubert. „Wenn dann irgendwo ein kleines Feuer ausbricht, können wir es schnell löschen“, sagt er.

Dieser Ausflug nach Green Island ist für die Killer-Seestern-Jäger ein Erfolg. Die Taucher finden bei zwei Tauchgängen nur eine Handvoll Tiere.

Die Dornenkronen breiten sich in der Laichzeit zwischen November und Januar aus, wenn die mikroskopisch kleinen Larven mit der Strömung zum nächsten Riff getragen werden. Dornenkronen legen Millionen Eier.

„Was wir machen ist zwar mühsam, aber mit Sicherheit nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Schultz. „Wenn wir die Ausbreitung nach Süden verhindern können, haben wir viel gewonnen.“