Bei der Suche nach neuen Konzepten fürstromsparende Rechner experimentieren Wissenschaftler mit dem „Supermaterial“ Graphen

Hannover/Bremen. Schon unseren Großeltern half ein spitzer Bleistift beim Rechnen. Wenn die Träume der Festkörperphysiker wahr werden, könnte das Basismaterial des klassischen Schreibgerätes bald eine Renaissance erfahren und an die alte Bedeutung anknüpfen. Denn die Mine besteht aus dem Kohlenstoff Grafit, und das könnte als Basis für „grüne PCs“ dienen. Allerdings in einer ganz bestimmten, erst seit wenigen Jahren bekannten Form: dem Graphen (gesprochen mit langem „e“). Vor allem das notorisch stromsüchtige Rechnerherz, die CPU, soll nicht länger der Heizofen des Rechners sein.

Die kilometerlangen Verbindungsleitungen zwischen den 2,4 Milliarden Transistoren auf einem aktuellen Computerchip wirken unfreiwillig wie die Widerstandsdrähte in einem Heizkissen. Nur ein Bruchteil des verwendeten Stroms dient tatsächlich zum Rechnen. Der Rest produziert Abwärme, die ein Lüfter beseitigen muss, um den Chip vor dem Hitztod zu bewahren. In einem verlustarmen Leiter würden die Elektronen ohne Hindernisse durch die Gitterstruktur gleiten, das Material bliebe kühl, der Stromverbrauch würde dramatisch sinken, und der Lüfter wäre überflüssig.

Genauso verhält sich die Graphen-Struktur, die Professor Christoph Tegenkamp und sein Team an der Universität Hannover im Jahr 2013 im Labor erzeugten und untersuchten. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse sorgen in der Fachwelt für Aufsehen. Durch einfaches Heizen eines nanostrukturierten Siliziumcarbid-Kristalls entstehen an den Kanten kleinste Graphen-Strukturen. Diese Modifikation leite den Strom drei bis vier Größenordnungen besser als die bisher veröffentlichten Proben, so die Forscher. Und das bei Zimmertemperatur.

Die Wissenschaftler messen den Widerstand natürlich nicht wie normale Zeitgenossen mit dem Ohmmeter aus dem Kaufhaus, sondern mit einem 1,25 Millionen Euro teuren 4-Spitzen STM/SEM, das die Vorteile eines Rasterelektronenmikroskops (SEM) mit den denen eines Rastertunnelmikroskops (STM) vereint. Dieses ist erheblich empfindlicher als klassische Widerstandsmesser und kann mithilfe seiner feinen Spitzen atomgenau positioniert werden.

Die Wissenschaftler reden auch nicht von „Widerstand“, sondern von Streuungen der Elektronen an Störstellen im Leiter. Genau diese Streuungen haben sie minimiert. Die Elektronen rauschen durch das Graphen wie ein Tennisball durch die Luft. Ursache ist der Einfluss der Graphen-Ränder, die bei 1300 Grad Celsius in einem zickzackförmigen Muster aufwachen, wenn man die Substanzen im Ofen geeignet orientiert.

„Durch die Modifikation der Ränder sank der elektrische Widerstand des Streifens um mindestens einen Faktor 1000. Er ist jetzt fast nicht mehr messbar und nahezu null“, erklärt Prof. Christoph Tegenkamp. „So entstand ein perfekter Leiter.“

Ideale Leiter werden überall in der Technik sehnsüchtig erwartet, doch noch spekuliert kein ernst zu nehmender Physiker über die Möglichkeit, aus den winzigen Graphen-Proben vielleicht einmal massive Drähte für Magnete oder für Stromtrassen zu fertigen. Schon zu viele Wundermaterialien sind auf dem Weg vom Labor in die Großtechnik an unüberwindlichen Schwierigkeiten gescheitert, an die zuvor niemand gedacht hatte.

Am weitesten sind die Techniker bei der Integration der Graphene in die Mikroelektronik. Es gibt viele hoffnungsvolle Ansätze, und der Leidensdruck ist groß. Die Abwärme der Mikroprozessoren ist kaum noch zu bewältigen. Gleichzeitig stößt der Versuch, die Leistungsfähigkeit der Rechner zu steigern, indem man die Taktraten der Chips vom Gigahertz- in den Terahertz-Bereich verschiebt auf physikalische Grenzen beim Ausgangsmaterial Silizium. Graphen, das zeigten Experimente bei IBM in den USA, kommt problemlos mit solch hohen Frequenzen klar. Am 30. Januar 2014 stellten IBM-Forscher den zurzeit am weitesten entwickelten Graphen-Chip vor. Es handelt sich noch um ein Labormuster, aber es ist bereits ein voll funktionsfähiger Chip.

Hundertprozentig verstanden ist das neue Material aber noch lange nicht. Bereits eine winziger, nur 200 mal 200 Atome großer Streifen enthält 40.000 Atome. Für alle Atome und alle Elektronen im Streifen müssen komplizierte, quantenmechanische Gleichungen gelöst werden. Eine exakte Berechnung scheidet wegen des großen Rechenaufwandes aus. Näherungsverfahren sind gefragt.

Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich Professor Tim Wehling vom Institut für Theoretische Physik der Uni Bremen. Er hat bereits Rechenzeit bei den Superrechnern des Norddeutschen Verbundes für Hoch- und Höchstleistungsrechnen (HLRN) avisiert, um mithilfe der „Quanten-Monte-Carlo-Simulation“ dem neuen Material einiges von seinen Geheimnissen zu entlocken. Diese Hinweise werden dann bei der Fertigung weiterer Proben berücksichtigt. In einem guten halben Jahr sollen die Ergebnisse der Berechnungen vorliegen. Dann werden die Experimente weitergehen.

Insbesondere in großen Rechenzentren ließe sich viel Energie sparen

„Wenn alles optimal läuft, könnte es in zehn bis fünfzehn Jahren erste ‚grüne Chips‘ geben, die dank Leiterbahnen aus Graphen wesentlich weniger Strom verbrauchen und kaum noch Hitze produzieren“, so Christoph Tegenkamp. „Dazu muss sich das Graphen allerdings mit der bei Mikroprozessoren verwendeten CMOS-Technologie vertragen, und sich zudem großtechnisch herstellen lassen. Ob das gelingt, ist unklar.“

Die Auswirkungen wären gewaltig. Laute PC-Lüfter wären dann ebenso Geschichte wie das Kühlproblem bei großen Rechenzentren. In vielen Supercomputern fangen bisher Kühlkörper, die auf den Chips angebracht sind, die Wärme der Prozessoren auf. Diese wird dann über die Luft durch ein Gebläse abgeleitet. Sparsamer sind einige neue Modelle wie der Hochleistungsrechner SuperMUC des Leibniz-Rechenzentrums bei München, die mit einer Wasserkühlung laufen.

Beim Forschungszentrum CERN in Genf ist die Kühlung bisher sogar der limitierende Faktor. Platz und Geld für neue Rechner hätte man zwar – aber das gesamte Dach ist bereits mit Lüftern vollgestellt.