Behandlung mit speziellen Medikamenten begann bereits vier Stunden nach der Geburt

Boston. In den USA ist möglicherweise ein zweites HIV-infiziertes Kind mit einer Intensivbehandlung direkt nach der Geburt erfolgreich therapiert worden. Das jetzt knapp ein Jahr alte Kind sei derzeit frei von sich vermehrenden Viren, sagte Kinderärztin Deborah Persaud von der Johns Hopkins University in Baltimore auf einer Konferenz in Boston. Die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten sei bereits vier Stunden nach der Geburt begonnen worden. Binnen weniger Tage hätten sich keine Viren mehr im Blut nachweisen lassen. Das Kind aus Los Angeles werde aber weiter mit HIV-Medikamenten behandelt.

Sie teilte mit, dass es fünf weitere Fälle in Kanada und drei in Südafrika gebe. Bei ihnen sei der Erfolg der Behandlung aber noch nicht bestätigt.

Der jetzt vorgestellte Fall erinnert an das „Mississippi-Baby“, über das Mediziner vor einem Jahr berichtet hatten. Das in dem gleichnamigen US-Bundesstaat geborene Kind hatte 31 Stunden nach der Geburt eine Spezialbehandlung bekommen, im Alter von 18 Monaten wurde die Therapie ausgesetzt. Laut Deborah Persaud ist das Kind jetzt dreieinhalb Jahre alt und noch immer frei von Anzeichen für HIV.

Die beiden Fälle nähren die Hoffnung auf eine sogenannte funktionelle Heilung. Damit meinen Mediziner, dass es dem Körper ohne Medikamente gelingt, das Virus zu kontrollieren und klein zu halten, wie es mit Medikamenten geschieht. Der Erreger ist dann nicht mehr nachweisbar.

Das heißt aber nicht, dass er tatsächlich verschwunden ist. „Es ist nicht 100-prozentig sicher, ob sich das Virus nicht doch irgendwo versteckt“, sagte Armin Schafberger von der Deutschen Aids-Hilfe, der die Präsentation in Boston verfolgte. Als Speicher, in denen die Erreger Jahre ruhen können, gelten unter anderen Lymphgewebe, Gedächtnis-Helferzellen, Knochenmark und Gehirn. Mit herkömmlichen Nachweismethoden werden Schafberger zufolge 20 Viruskopien in einem Milliliter Blutserum erkannt. Für genaue Analysen gibt es Spezialtests, die auch einzelne Viren aufspüren.

Das „Mississippi-Baby“ bekommt seit etwa zwei Jahren keine Medikamente mehr und gilt deshalb als funktionell geheilt – eine medizinische Sensation. Bei dem nun vorgestellten Fall des Babys aus Los Angeles warnte Kinderärztin Deborah Persaud aber davor, von einer Heilung oder dauerhaften Verdrängung des Virus auszugehen. „Die einzige Möglichkeit, mit der wir beweisen können, dass das Kind keinen Rückfall bekommen wird, ist, die antiretrovirale Therapie einzustellen – aber das geht nicht einfach ohne Risiken.“

Demnächst soll eine klinische Studie mit 50 weiteren Babys starten. Ihnen sollen 48 Stunden nach der Geburt die Medikamente verabreicht werden; im Alter von zwei Jahren sollen sie dann keine weiteren Medikamente mehr bekommen. Weltweit probierten Mediziner derzeit, Kinder möglichst früh zu therapieren, auch in Deutschland, sagte Armin Schafberger. Nach der erneuten Erfolgsmeldung aus den USA sei zu erwarten, dass für mehr Fälle genauer untersucht werde, ob der HIV-Erreger noch im Körper steckt.

Ende 2011 waren weltweit 34 Millionen Menschen mit HIV infiziert – zwei Drittel davon in Schwarzafrika. Im gleichen Jahr steckten sich 2,5 Millionen Menschen neu mit dem Erreger an, der die Immunschwächeerkrankung Aids auslöst, 1,7 Millionen starben an den Folgen von Aids, unter ihnen 230.000 Kinder. Und noch immer gibt es keine Impfung. Wirksame Medikamente erhielten Ende 2012 zehn Millionen Betroffene – die meisten von ihnen leben allerdings in der westlichen Welt. Bei diesen Patienten reduziert sich die durchschnittliche Lebenserwartung durch die Infektion nur um zwei bis vier Jahre. Für sie bedeutet HIV meist kein Todesurteil mehr.

Schwangere, die mit dem HI-Virus infiziert sind, können so gut behandelt werden, dass sie keine infizierten Kinder bekommen. Doch längst nicht alle erhalten solche Therapien.

Der einzige Mensch weltweit, der als von HIV geheilt gilt, ist der als „Berliner Patient“ bekannt gewordene Timothy Brown. Der HIV-Infizierte hatte 2009 wegen seiner Leukämieerkrankung an der Charité in Berlin eine Knochenmarkstransplantation erhalten. Die Zellen waren aufgrund der genetischen Ausstattung des Spenders nicht mit HIV infizierbar. Weil durch die Bestrahlung und die Chemotherapie, die Brown bekam, alle Lymphozyten (in denen sich das HI-Virus einnistet) in seinem Körper zerstört worden waren, war er nach der OP frei von dem Erreger. Da eine solche OP allerdings erhebliche Risiken birgt, kommt sie nur für wenig HIV-Infizierte infrage.