Craig Venter plant weltweit größte Datenbank zu menschlichem Erbgut

San Diego. Der Auftritt der schillerndsten Person in der Gen-Forschung dauerte nur 50 Minuten. Dann hatte Craig Venter der Welt sein neues Projekt vorgestellt, dessen Bedeutung er unbescheiden so formulierte: „Es ist der Neubeginn der Medizin.“ Doch wie so oft in der Karriere des 67-Jährigen bestand die angekündigte Sensation nicht aus der Präsentation von Ergebnissen. Er stellte eine Idee vor, die durch einen Maschinenpark mit Hochleistungsgeräten Wirklichkeit werden soll.

Venter, der vor mehr als einem Jahrzent die Entzifferung des menschlichen Erbguts mit vorangetrieben hatte, plant nun die weltgrößte Datenbank, die medizinische Daten und das komplette Erbgut von kranken und gesunden Menschen sammelt. Sie soll konkrete Empfehlungen für ein gesünderes Leben entwickeln, die das Altern aufhalten. „Human Longevity Inc.“ (HLI) heißt seine neue Firma, dessen Gründung er in San Diego (Kalifornien) bekannt gab. Der Name verspricht, wonach viele streben: den Menschen ein langes Leben.

Hauptaufgabe von HLI soll die massenhafte Entschlüsselung des menschlichen Erbguts sein. Im ersten Jahr will das Unternehmen die DNA von 40.000 Menschen auslesen: Kinder und Alte, gesunde und kranke Menschen. Die technische Kapazität soll rasch auf jährlich 100.000 DNA-Analysen gesteigert werden. Zu den Geldgebern, die 70 Millionen US-Dollar bereitstellen, gehört auch „Illumina“, der Hersteller der derzeit schnellsten Sequenzierungsautomaten. Die Geräte benötigen drei Tage für die Bestimmung der 3,3 Milliarden Bausteine der DNA. Vor zehn Jahren dauerte das fast ein Jahr und verschlang 100 Millionen Dollar. „Illumina“ berichtet, dass eine komplette Analyse heute nur noch 1000 Dollar kostet.

Zusätzlich stürzen sich die Analyseroboter der HLI auch auf die DNA im Mikrobiom der Patienten, so heißt die Gesamtheit der Mikroorganismen, die den Menschen auf den Schleimhäuten, der Haut oder im Darm besiedeln und für seine Gesundheit wichtig sind. Außerdem arbeitet Venters Firma mit dem Krebszentrum der benachbarten Universität von Kalifornien zusammen, das die Diagnosen und Blutwerte der Patienten in die Datenbank liefern wird, wenn diese einwilligen. Weltweit sollen möglichst viele Krankenhäuser für das Projekt begeistert werden.

Im Mittelpunkt der riesigen Datensammlung stehen zunächst Krebspatienten, aber die Initiative soll bald auf Menschen mit Herzproblemen, Alzheimer und Parkinson ausgeweitet werden. So will HLI für jeden einzelnen Menschen die komplette genetische Grundausstattung bestimmen, diese mit Krankendaten verbinden und so vielleicht Muster erkennen, die bei gesunden Menschen auf das Risiko einer Erkrankung hindeuten. Daraus sollen dann auch Therapien entwickelt werden. HLI wird nach Venters Ansicht das Vorgehen der Medizin entscheidend verändern: Vorsorge statt Behandlung von Erkrankungen. Dieser Aspekt werde, gestützt von genetischen Analysen, eine wesentlich größere Rolle bekommen. „Das Alter ist der Risikofaktor Nummer eins für fast jede Krankheit“, sagte Venter, „doch selbst ist es keine Krankheit.“ Das Projekt soll das Altern verzögern. „Unser Ziel ist es nicht unbedingt, das Leben zu verlängern, aber wir wollen die gesunde, produktive Lebensspanne ausweiten“, sagt Venter.

Bei der Pressekonferenz erinnerte Venter an sein eigenes Schicksal. Der Gen-Forscher dürfte derjenige Mensch sein, der am meisten über seine eigenen Erbanlagen weiß. Eine der ersten menschlichen DNA, die Venter analysierte, war seine eigene. Ergebnis: Venter besitzt eine Veränderung an einem Gen, das mit der Alzheimer-Erkrankung in Verbindung gebracht wird. Er habe sein Leben diesem Umstand angepasst, betreibe Vorsorge und lasse sich häufiger untersuchen, berichtete Venter. So lasse sich der Ausbruch der Krankheit vielleicht verschieben.

Mit dem Projekt ist Venter wieder an den Wurzeln seiner Arbeit angekommen. In den 1990er-Jahren nahm er als Privatmann das Rennen gegen die Forscher des öffentlich geförderten Human Genome Projekt (HGP) um die erste vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms auf. Schon damals setzte er auf ungewöhnliche Methoden und Rechenkraft. Während die etablierten HGP-Forscher die DNA Stück für Stück zerlegten, feuerte Venter mit einer Art Schrotflinte auf das Erbgut, analysierte die Bruchstücke und ließ die Ergebnisse von Computern zusammenfügen, wobei er öffentlich zugängliche Daten anderer Forscher einsetzte – er war schneller als die Konkurrenz, wenn auch nicht so präzise.

Falls das noch möglich war, hat dieser Sieg das ausgeprägte Selbstvertrauen des Craig Venter zusätzlich gestärkt. „Mein Leben ist es wert, erzählt zu werden“ , schrieb er am Anfang seiner Autobiografie. Dabei gab es einige Projekte, von denen trotz großer Ankündigung nicht mehr viel erzählt wird. So suchte Venter etwa nach der Antwort auf die Frage, was Leben ausmacht, und interpretierte dieses als die Mindestausstattung an Genen, die ein Lebewesen zum Überleben besitzen muss. Er wollte künstliche Bakterien erschaffen, die Schadstoffe und Treibhausgase zersetzen oder Treibstoff herstellen. Aber bisher blieben bei der synthetischen Biologie herausragende Erfolge aus.

Nach welchem Verfahren die Datenbank Resultate liefern soll, wird der Gen-Pionier vielleicht am heutigen Donnerstag auf einer wissenschaftlichen Tagung am Scripps Research Institute erklären – falls er es denn schon weiß und sich in diesem lukrativen Feld in die Karten gucken lassen will. Denn zwei weitere US-Firmen haben im Januar angekündigt, dass sie das Erbgut von 100.000 Menschen analysieren wollen, auch wenn sie dafür wohl länger brauchen werden als Venter. Auch BGI, dem chinesischen Konkurrenten bei der Technologie zur DNA-Entschlüsselung, werden solche Pläne unterstellt. Google-Gründer Larry Page stellte 2013 die Firma „Calico“ vor, die sich ebenfalls mit dem Kampf gegen das Älterwerden beschäftigt.

Doch wie so oft ist das Sammeln der Daten ungleich einfacher, als den richtigen Zusammenhang zwischen Krankheit und Erbgut herzustellen. Alle diese Initiativen vertrauen darauf, dass die Computer die Datenmengen schon richtig ordnen werden, wenn sie nur genug Material haben. Venter wird ihnen bald detaillierte genetische Profile von Hunderttausenden Menschen anbieten. Genetische Untersuchungen an Krebspatienten gehören heute zum Standard bei der Entwicklung einer individuellen Therapie, denn trotz derselben Diagnose wirken die Waffen gegen den Tumor bei den Patienten oft unterschiedlich. Doch ansonsten hat die Gentechnik bisher kaum Anwendungen für den klinischen Alltag gebracht.

HLI will sich dadurch refinanzieren, dass das Unternehmen von Pharma-Firmen, Forschungsinstituten und Biotech-Unternehmen Lizenzgebühren für die Nutzung nehmen wird. Streng genommen verdient das Unternehmen zunächst Geld damit, dass es seine Daten von Patienten mit Krebs oder anderen verbreiteten Krankheiten zur Verfügung stellt. Auch in den USA bedarf die Weitergabe der personenbezogenen Daten einer Zustimmung des Patienten. Venter sagte, dass jeder Mensch, der sich beteilige, als Gegenleistung eine DNA-Analyse erhalte. Es blieb aber offen, ob eine Interpretation dazugehört oder ob der Patient lediglich einen für ihn unverständlichen Datensatz mit nach Hause nimmt.