Ob der regelmäßige Austausch der Generationen tatsächlich Vorteile hat ist nicht bewiesen. Der studierte Sozialpädagoge Marko Bleiber will die als „förderlich eingeschätzte Kooperation“ objektiv messbar machen.

Hamburg. „Was ist los mit euch? Habt ihr etwa nicht gut gefrühstückt?“, ruft Samba Camara in die Runde und lacht. Zwischen seinen Oberschenkeln klemmt eine Trommel aus dunkelbraunem Holz. „Ich will eure Hände sehen, na los!“, verlangt er.

Der gebürtige Senegalese sitzt im Speisesaal des Altenheims Pflegen & Wohnen Finkenau auf der Uhlenhorst. Durch die Fenster hinter ihm geht der Blick auf das verregnete Hamburger Grau, doch schlechte Laune kann an diesem Mittwochmorgen unmöglich aufkommen, selbst wenn die Fröhlichkeit des Trommel- und Tanzlehrers allein nicht ausreichte, um die Senioren vor ihm in Schwung zu bringen.

Denn die Kinder sind hier.

Sie kommen aus der Kita Eulennest gleich nebenan, sieben Mädchen und Jungen im Alter zwischen vier und sechs Jahren, die in einem Kreis zwischen 13 Senioren sitzen, die älter als 70 sind. Sie alle haben Djembés vor sich, wie die westafrikanischen Trommeln heißen. Doch während die Älteren noch zaghaft darauf herumklopfen, wollen sich die Kinder nun nicht mehr länger von Camara bitten lassen.

„Bass, Bass, Bass“ ruft er und gibt mit seiner Djembé einen Rhythmus vor.

„Wo seid ihr?“

„Hier, hier“, rufen die Kinder.

„Wer macht das toll?

„Wir, wir!“

„Wer ist der Coolste?“

„Ich, ich“, rufen die Kinder und recken ihre Finger in die Höhe.

Es dauert zwei Minuten, dann stimmen auch die Senioren nach und nach mit ein. Als Camara dann Shakiras WM-Hymne „Waka Waka“ singt, trommelt schließlich die ganze Gruppe.

Das gemeinsame Musizieren ist nur eine von mehreren Nachbarschafts-Aktionen, bei denen Jung und Alt zusammenkommen: Montags treffen sich die Eulennest-Kinder mit den Senioren zu Sport und Gymnastik; jeden zweiten Mittwoch steht Kochen auf dem Programm und donnerstags gibt es einen gemeinsamen Singkreis.

Als die Kita und die Senioreneinrichtung ihre Kooperation vor eineinhalb Jahren begannen, seien die Kinder zunächst vorsichtig und zurückhaltend gewesen, erzählt Birgit Koops, verantwortlich für die Betreuung bei Pflegen & Wohnen Finkenau. „Doch inzwischen ist der Umgang mit alten, pflegebedürftigen Menschen für die Kinder normal; die Bewohner sind für sie zeitweise eine Art Großelternersatz.“

Und so müsse man die Jüngsten morgens nicht lange bitten, erzählt Marko Bleiber, Leiter der Kita Eulennest: „Wenn wir die Kinder fragen, wer mit zu unseren Nachbarn möchte, will die große Mehrheit gerne mitgehen. Wenn wir dann drüben sind, ist das jedes Mal ein sehr schönes Bild: Die Kinder lachen viel, haben Spaß, und die Senioren freuen sich.“

Über Spaß und Unterhaltung gingen die Effekte der Treffen aber wohl hinaus – und zwar auf beiden Seiten, sagen Koops und Bleiber. An Demenz erkrankte Menschen, die zuvor in der Pflegeeinrichtung kaum oder gar keine Freizeitangebote nutzten, seien durch den Kontakt mit den Kindern deutlich aktiver geworden. Und auch die Kinder profitierten: „Dadurch, dass die Senioren sich langsamer bewegen, teilweise schlechter hören und sich auch schlechter an Dinge erinnern, müssen die Kinder besonders einfühlsam reagieren; sie lernen, Rücksicht zu nehmen und zu helfen“, sagt Bleiber.

Noch allerdings seien dies nur Vermutungen, die auf Beobachtungen basierten. Ob der regelmäßige Austausch der Generationen tatsächlich Vorteile hat, also etwa die Gesundheit der Senioren fördert und der Entwicklung der Kinder dient, ist nicht bewiesen.

Marko Bleiber möchte das nun ändern: Im Rahmen seiner Doktorarbeit will der studierte Sozialpädagoge die als „förderlich eingeschätzte Kooperation“ objektiv messbar machen und so untersuchen, ob sich das bisher Beobachtete wissenschaftlich belegen lässt. Ihm zufolge ein bisher einzigartiges Projekt: „Es gibt zwar einige Studien zu Generationenprojekten, aber die meisten untersuchen das Miteinander von Jugendlichen und älteren Menschen.“

Betreut wird der 30-Jährige von Petra Strehmel von der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Die Psychologieprofessorin leitet an der HAW das Competence Center zum Aufwachsen von Kindern (CCKids), in dem sich 17 Professoren aus verschiedenen Disziplinen zusammengeschlossen haben. Unterstützung erhält Bleiber außerdem von der Universität Heidelberg, die ein Netzwerk zur Alternsforschung gegründet hat.

Für die Doktorarbeit will Bleiber drei Jahre lang ausgewählte Kinder und Senioren begleiten. Die Senioren sollen in dieser Zeit mehrfach Fragebögen ausfüllen. So will Bleiber erfassen, ob die Älteren durch den Kontakt mit den Kindern zufriedener werden. Bei den Kindern möchte er durch Beobachtungen und stark vereinfachte Fragebögen unter anderem herausfinden, ob sich Empathie stärker ausbildet, also die Fähigkeit, die Gefühle und Motive anderer Menschen zu erkennen und darauf einzugehen, und ob sich die sprachliche Ausdrucksweise der Kinder durch die Treffen mit den Senioren verbessert.

Durch zusätzliche Beobachtungen und Befragungen in zwei Vergleichsgruppen, nämlich in der Kita Flohkiste in Barmbek-Süd, die nicht mit einer Senioreneinrichtung zusammenarbeitet, und in einem weiteren Altenheim auf der Uhlenhorst, das nicht mit einer Kita kooperiert, will Bleibersicherstellen, dass Effekte, die sich bei der Kooperation zwischen der Kita Eulennest und dem Altenheim Pflegen & Wohnen Finkenau zeigen, tatsächlich auf den Austausch von Jung und Alt zurückzuführen und nicht nur Zufall sind.

„Es kann natürlich passieren, dass sich wissenschaftlich keine besonderen Effekte wie eine verbesserte Empathie nachweisen lassen“, sagt Bleiber. „Dann bleibt aber trotzdem das Offensichtliche: dass Kindern und Senioren dieses Miteinander viel Freude bereitet.“ In jedem Fall hoffe er, dass sein Projekt dazu beitrage, ein respektvolles Miteinander aller Altersgruppen zu fördern.