Weltraumschrott bedroht nicht nur die ISS-Besatzung, er könnte auch der Wirtschaft schaden. Forscher wollen die Trümmer entfernen – mithilfe von Segeln, speziellen Satelliten und stromleitenden Seilen.

Berlin. Am 10. Februar 2009 krachte es knapp 800 Kilometer über Sibirien. Zwei Satelliten waren kollidiert: der amerikanische „Iridium 33“ und der ausgediente russische „Kosmos 2251“. Beide zersplitterten in Tausende Schrottteile, rund 2200 größere sind katalogisiert. Der Unfall hat Folgen bis heute: Mehrfach musste die Internationale Raumstation ISS Ausweichmanöver fliegen, weil die Trümmer ihr gefährlich nahe kamen.

Im März 2012 blieb dazu keine Zeit mehr. Die Besatzung musste sich in einer angedockten Raumkapsel in Sicherheit bringen. „Das passiert, wenn die Annäherung sehr kurzfristig festgestellt wird“, sagt Heiner Klinkrad, Chef für Weltraumtrümmer bei der europäischen Weltraumorganisation Esa. Eine Vorsichtsmaßnahme – die Teile von Kosmos 2251 flogen 14 Kilometer entfernt vorbei. Knapper war es bei einer Evakuierung 2013. Damals passierte Weltraumschrott die ISS in nur wenigen Hundert Metern Entfernung.

Knapp 700.000 Tonnen Schrott bewegen sich Esa-Experte Klinkrad zufolge um die Erde. Trümmer und Gegenstände ab etwa zehn Zentimeter Größe – etwa so groß wie eine Orange – erfasst und verfolgt das Space Surveillance Network des US-Militärs. Im Januar 2014 meldete es 16.674 Objekte, davon 9464 Bruchstücke.

Die Zahl kleinerer Teile kann nur statistisch ermittelt werden. Am Braunschweiger Institut für Luft- und Raumfahrttechnik haben Forscher errechnet, dass rund 750.000 Objekte größer als eine Murmel um die Erde rasen. 150 Millionen sind größer als ein Millimeter. Auch solche kleinen Splitter entwickeln im All enorme Zerstörungskraft – denn Gegenstände können mit relativen Geschwindigkeiten um 50.000 Stundenkilometer aufeinanderkrachen. „Wenn eine Aluminium-Kugel von gerade mal einem Zentimeter Durchmesser so auf einen Satelliten trifft, hat sie die Energie eines Mittelklassewagens, der mit etwa 50 Stundenkilometern in ihn hineinfährt“, sagt Klinkrad.

Ein zehn Zentimeter großes Objekt würde einen Satelliten auseinanderreißen. „Heute treten solche katastrophalen Kollisionen, bei denen ein Satellit zersplittert, im Schnitt alle fünf bis neun Jahre auf“, sagt Carsten Wiedemann vom Braunschweiger Institut für Luft- und Raumfahrttechnik.

Doch das Risiko könnte steigen. Etwa 900 bis 1000 aktive Satelliten kreisen um die Erde – unter anderem halten sie das Telefonnetz am Laufen, helfen bei der Wettervorhersage, verbreiten Fernsehbilder und ermöglichen Navigationsgeräten, ihren Standort zu bestimmen. Sie zu ersetzen, würde nach Esa-Schätzung etwa 100 Milliarden Euro kosten, der wirtschaftliche Schaden wäre noch viel höher.

Raumfahrt-Agenturen haben Richtlinien für eine „saubere“ Raumfahrt entwickelt. Dazu gehört etwa, dass Kameradeckel nicht mehr einfach abgesprengt werden, sondern mit dem Raumfahrzeug verbunden bleiben.

Doch Müll zu vermeiden, reicht nicht – auf der sechsten Europäischen Weltraumschrott-Konferenz beschlossen mehr als 350 Teilnehmer aus aller Welt, dass dringend aufgeräumt werden müsse im All. An Ideen mangelt es nicht: In Deutschland entwickeln das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und der Satellitenbauer Astrium mit dem Projekt DEOS einen Satelliten, der andere Geräte im All reparieren, warten und betanken soll, um ihre Lebensdauer zu erhöhen. In Japan wird an einem Seil geforscht, das an den überflüssigen Satelliten angebracht und von ihnen mitgezogen werden soll. Wenn es das Magnetfeld der Erde durchschneidet, wird ein Strom induziert, der die sogenannte Lorentzkraft entgegen der Bewegungsrichtung des Satelliten generiert. „Wenn so ein Seil einige Kilometer lang ist, kann man damit Satelliten aus einer Bahnhöhe von 1400 Kilometern innerhalb einiger Wochen oder Monate runterholen, die sonst Tausende von Jahren da oben sind“, erläutert Esa-Experte Heiner Klinkrad.

Ende 2014 soll ein zwei Kilo schweres Segel getestet werden, das sich zu einer fünf mal fünf Meter großen Fläche entfalten kann. Es soll ausgediente Satelliten auch ohne Treibstoff absenken, damit sie in der Atmosphäre verglühen. Das dauert allerdings bis zu 25 Jahre.

Auch Laser könnte man vielleicht nutzen, um kleine Trümmerteile abzuschießen. Wenn an ihrer Oberfläche Atomschichten verdampfen, könnte das einen Schub erzeugen und sie absenken. Noch ist das aber Zukunftsmusik.

Zu klären sind rechtliche Probleme: „Wir können nicht einfach hochgehen und Satelliten entfernen, die uns nicht gehören“, sagt Klinkrad. Zudem beobachte das Militär Entwicklungen zur Entfernung vom Raumfahrtrückständen sehr genau. Denn die Technologie sei nicht nur geeignet, Schrott zu entfernen – auch funktionsfähige Satelliten könnten gekapert werden.

Doch wenn nichts geschieht, wäre der Preis in Zukunft vermutlich hoch – längst ist das Leben auf der Erde ohne Satelliten kaum noch vorstellbar.