Ein bestimmter Wert im Blutplasma soll auch bei gesunden Frauen ohne erbliche Vorbelastung Aussagen über die Brustkrebs-Gefahr ermöglichen. Doch nicht für alle Frauen ist so ein Test sinnvoll.

Hennigsdorf. Je früher Brustkrebs erkannt wird, desto größer sind die Heilungschancen. Vorsorgeuntersuchungen dienen daher dem Ziel, Tumore so früh wie möglich aufzuspüren. Ein neuer Test setzt noch zeitiger an: Er soll Frauen, die noch nicht erkrankt sind, Auskunft darüber geben, ob sie ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben.

Anerkannte Früherkennungsprogramme wie die Mammografie zielen darauf ab, den Brustkrebs möglichst früh in seiner Entstehung zu erkennen. Doch laut Krebsinformationsdienst hat die zweijährliche Röntgenuntersuchung für Frauen mit altersbedingt erhöhtem Brustkrebsrisiko auch ihre Tücken. Nach den „Kennzahlen Mammografie“, einer Modellrechnung des Dienstes aus dem Jahr 2010, wird 50 von 1000 Frauen zwischen 50 und 69 Jahren nach verdächtigen Mammografie-Befunden eine Gewebeprobe entnommen, die sich dann aber als unauffällig herausstellt. Die durch solche falsch-positiven Untersuchungsergebnisse ausgelösten Ängste und Sorgen hängen lange nach, selbst wenn sie sich im Nachhinein als unbegründet erweisen, weiß Prof. Anton Scharl, einer der führenden Brustkrebsexperten in Deutschland. Deshalb wäre ein Test sinnvoll, der hilft, Frauen mit niedrigem Brustkrebsrisiko vorab auszusortieren und nicht in Sorge zu versetzen, so der Chefarzt am Klinikum St. Marien in Amberg.

Bei hohem Proneurotensin-Spiegel ist das Risiko mehr als doppelt so hoch

Ein Vorhersagetest, der helfen soll, Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko zu erkennen, noch bevor überhaupt ein Tumor entstanden ist, steht Ärzten seit Januar 2014 zur Verfügung. Er misst die Konzentration von Proneurotensin im Blutplasma von Frauen – einer Vorstufe des im Blut schnell zerfallenden Sättigungshormons Neurotensin. Ist die Proneurotensin-Konzentration auf nüchternen Magen erhöht, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken. Normalerweise erkrankt jede achte Frau in Deutschland an Krebs, pro Jahr insgesamt 71.000. Bei Frauen mit hohem Proneurotensin-Spiegel ist das Risiko mehr als doppelt so hoch als bei solchen mit niedriger Konzentration des Biomarkers.

Mit dem Test wollen die Entwickler des Tests von der Firma Sphingotec in Hennigsdorf bei Berlin eine deutliche Verbesserung der Risikoeinstufung erreichen. „Proneurotensin zeigt eine erhöhte Anfälligkeit für Krebs, Jahre bevor Tumore entstehen“, erklärt Prof. Olle Melander von der Universität Malmö. Er hat den Zusammenhang zwischen erhöhter Proneurotensin-Konzentration und Brustkrebs in zwei Studien untersucht. „Die Ergebnisse belegen, dass anerkannte Risikofaktoren wie das Rauchen, Übergewicht, die Anzahl der Schwangerschaften, der Zeitpunkt der Wechseljahre oder eine Hormonersatztherapie weit weniger Auskunft über die Wahrscheinlichkeit geben, an Brustkrebs zu erkranken, als die Proneurotensin-Konzentration“, sagt Sphingotec-Geschäftsführer Andreas Bergmann.

Die Ergebnisse der ersten Studie haben Melander und Bergmann bereits im renommierten Fachjournal „JAMA“ veröffentlicht. In der Studie untersuchte Sphingotec die Proneurotensin-Konzentration in 1900 Blutproben schwedischer Frauen. Danach ergab sich für die 25 Prozent der Frauen mit dem höchsten Proneurotensin-Spiegel ein 2,4-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko.

Viele Fragen sind noch offen

„Bisher ist der Test für weiße, europäische Frauen erprobt, die älter als 50 Jahre sind“, erklärt Bergmann. „Wissenschaftlich sind noch sehr viele Fragen offen. Deshalb führen wir in Europa und den USA zahlreiche weitere Studien durch.“ Allein in diesem Jahr erwartet er Ergebnisse aus drei weiteren Untersuchungen: „In zwei Studien geht es darum zu belegen, dass Proneurotensin auch bei US-amerikanischen Frauen eine erhöhte Anfälligkeit für Brustkrebs anzeigt. Noch im Januar erwarten wir die Auswertung einer Studie, die zeigen soll, dass sich mit Proneurotensin auch die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls vorhersagen lässt. Im Rahmen einer länger angelegten Studie in Europa prüfen wir, ob die Proneurotensin-Konzentration steigt, je näher die Krebserkrankung rückt“, erklärt Bergmann.

Das Erkennen der Anfälligkeit sei aus ihrer Sicht der größte Hebel, um die Zahl der Brustkrebs-Neuerkrankungen substanziell zu senken, so Bergmann. Ob oder für welche Frauen das neue Testangebot sinnvoll ist, darüber gehen die Meinungen von Krebsexperten indes weit auseinander.

Mediziner uneins: Ist so ein Test sinnvoll?

Aus der Sicht von Prof. Anton Scharl deuten die bisher bekannten Studienergebnisse zwar darauf hin, dass man anhand der Proneurotensin-Konzentration Frauen mit höherem Risiko und solche mit niedrigem Risiko tatsächlich unterscheiden kann. Doch hieße dies längst nicht, dass der Test für alle Frauen sinnvoll sei.

„Ein Test macht erst dann Sinn, wenn sich daraus eine Handlungsmöglichkeit ableitet“, so Scharl. „Zum Beispiel lässt sich das Brustkrebsrisiko mit den Medikamenten Tamoxifen und Arimidex um rund 50 Prozent senken.“ Diese seien aber nicht ohne Nebenwirkungen. Deshalb müsse der Einsatz eines Vorhersagetests wohlüberlegt und nur bei Frauen erfolgen, deren Risiko erhöht sei. „Eine Möglichkeit wäre, Marker wie Proneurotensin bei den Frauen zwischen 50 und 70 einzusetzen, die wegen ihres altersbedingt ohnehin erhöhten Brustkrebsrisikos zum Mammografie-Screening kommen. Wenn ich nur die Frauen zur Mammografie schicke, die für den Marker auffällig sind, ließe sich die Zahl an Frauen, die sich unnötig Sorgen machen, vielleicht verringern.

Auch bei Frauen, die sich fragen, ob sie vorbeugende Medikamente gegen Brustkrebs einnehmen sollen, wäre eine solche Vorauswahl sinnvoll.“ Als nächsten Schritt empfiehlt Scharl weitere Studien, um den Nutzen von Proneurotensin weiter abzuklären: „Bei Frauen, die zur Mammografie kommen, könnte man den Proneurotensin-Spiegel messen. Dann ließe sich feststellen, ob der Brustkrebs bei Frauen mit hohem Spiegel tatsächlich deutlich häufiger auftritt.“

Was tun bei einem positiven Testergebnis?

„Es gibt Frauen, die einen solchen Test niemals in Anspruch nehmen werden, und solche, die ihr Risiko kennen wollen“, sagt Prof. Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik der Technischen Universität am Klinikum rechts der Isar in München. „Ich persönlich würde den Test schon machen wollen und würde dann, im Falle des Falles, jedes Jahr statt alle zwei Jahre zur Vorsorge gehen. Doch für eine Routineanwendung des Tests fehlt sicher noch der Kontext: Was tue ich bei einem positiven Testergebnis?“ Genau daran forscht Kiechle. „Wir überprüfen derzeit an Frauen mit erblich bedingt höherem Erkrankungsrisiko, inwieweit sich die Blutkonzentration von Proneurotensin durch eine Änderung des Lebensstils, also eine bestimmte Ernährung und ein Sportprogramm, verändern lässt.“ Erste Studiendaten erwartet sie Ende 2014. Bergmann räumt ein, dass es für Frauen mit positivem Testergebnis keine wissenschaftlich gesicherten Handlungsempfehlungen gebe. Diese müssten in weiteren Studien abgesichert werden.

Weit weniger optimistisch, dass Proneurotensin die Risikoprognose überhaupt deutlich verbessern kann, ist dagegen der Krebsepidemiologe Prof. Rudolf Kaaks vom Deutschen Krebsforschungszentrum: „Man muss wissen, dass sich eine Vervier- bis Versechsfachung des Krebsrisikos nach viel anhört, die Risikovorhersage aber nicht so sehr verbessert, wie man annehmen könnte.“ Um Frauen mit erhöhtem von solchen mit niedrigem Brustkrebsrisiko sicher abgrenzen zu können, seien Marker erforderlich, die das Krebsrisiko „um das Zehn-, 20- oder 30-Fache erhöhen“. Wissenschaftlich hält Kaaks dagegen den Zusammenhang zwischen der Vorstufe des Sättigungshormons Neurotensin und Krebs für hochinteressant. Neben schon bekannten Mechanismen wie einem erhöhten Östrogenspiegel könnten die Proneurotensin-Werte eine zusätzliche Erklärung für das doppelt so hohe Krebsrisiko übergewichtiger Frauen liefern.

Bergmann weiß, dass er Überzeugungsarbeit leisten muss, um Kritiker zu überzeugen. Seine Firma hat neben dem Proneurotensin-Test, der Ärzten von Januar an über das Gemeinschaftslabor Cottbus angeboten wird, einen weiteren Trumpf im Ärmel. Ein Test, der das Krebsrisiko anhand des Blutspiegels des Vorhersagemarkers Proenkephalin ermittelt, wurde Mitte Dezember auf dem bedeutendsten Brustkrebskongress der Welt vorgestellt, dem San Antonio Breast Cancer Meeting. Kombiniert mit dem Proneurotensin-Test soll er ein mehr als 20-fach erhöhtes Brustkrebsrisiko anzeigen.