Es gibt Dinge, die endlich erfunden werden sollten. Findet jedenfalls die Wissenschaftsredaktion des Hamburger Abendblatts. Zwei ganz persönlichen Anliegen sind wir nachgegangen

Socken für die Ewigkeit

In einer Zeit, in der die Menschheit per Roboter den Mars erkundet, in Teilchenbeschleunigern Bedingungen wie kurz nach dem Urknall simuliert, in der sich Tausende Bücher auf einem Tablet-PC speichern lassen und Toilettenbrillen von selbst reinigen, in dieser an Innovationen so reichen Zeit also harrt ein Problem weiterhin einer Lösung: Socken bekommen Löcher!

Gewiss: Wir müssen Hunger und Krankheiten bekämpfen, die Erderwärmung bremsen, wir müssen die Energiewende schaffen, und all das hat natürlich oberste Priorität. Aber kann sich nicht trotzdem bitte irgendjemand um das Grauen an unseren Füßen kümmern – das unbarmherzig immer wiederkehrende: Loch? Nichts dagegen, etwas Haut zu zeigen, aber meine Jeans trage ich ja auch ohne Löcher – zumindest halten die Hosen im besten Fall mehrere Jahre.

Ganz anders bei jenem Stoff, der sich doch eigentlich wie kein zweiter schützend zwischen mich und die mitunter harten Seiten des Lebens legen sollte: Frühestens nach wenigen Wochen, spätestens nach einigen Monaten tat sich bisher an der Ferse eine hässliche Kluft auf, drang beim Anziehen des Textils ein fieses Geräusch an mein Ohr, als sich das Garn teilte wie einst das Meer vor Moses.

Was tun? Trost finde ich zunächst im Internet. Hunderte Leidensgenossen suchen Rat bei wer-weiss-was.de, gutefrage.net oder sarahhatsgetestet.de. Manche quälen sich mit besonders schweren Fragen: „Wenn einer eurer Socken ein Loch hat, hebt ihr dann den anderen auf?“, hat der User subway bei planet-liebe.de gepostet. „Socken stopfen“ oder „zumindest als Putzlappen weiterverwenden“, empfehlen ihm andere geplagte Sockenträger.

Wirklich hilfreich ist all das nicht. In meinem Schuhschrank stapeln sich schon so viele kaputte Socken, das reicht zum Putzen bis zur Pensionierung. Bei der weiteren Internetrecherche lande ich in Strickforen, lerne den Unterschied zwischen Käppchen-Ferse und Bumerang- oder auch Jojo-Ferse, finde aber nirgendwo eine befriedigende Antwort auf meine Frage: Gibt es Socken, die keine Löcher bekommen oder zumindest länger halten?

Anruf bei einem großen Warenhaus, Strumpfabteilung. Die Verkäuferin, nennen wir sie Frau Sorgsam, ist ein bisschen empört über meine Frage, jedenfalls klingt sie so. Löcher in der Socke, lässt sie mich wissen, entstünden etwa durch falsches Schuhwerk. „Der Scheuerfaktor“, mahnt Frau Sorgsam und meint damit, dass die Socke an engen und/oder rauen Stellen zerrieben werden könnte. Auch Waschen bei zu hoher Temperatur – also über 40 Grad – schade der Haltbarkeit, sagt Frau Sorgsam und mokiert sich dann darüber, „dass die meisten Leute die Pflegehinweise auf der Verpackung ignorieren“. An Löchern seien „nicht allein die Socken schuld“.

Dann klärt sie mich über den Unterschied zwischen Maschenware (z.B. Socken) und Geweben (z.B. Jeans) auf. Maschenware, das sind Textilien, bei denen eine Fadenschleife in eine andere Schleife hineingeschlungen ist. Gewebe entstehen durch eine im Vergleich meist viel dichtere Verkreuzung von Fäden. Maschenwaren sind dehnbarer, elastischer, aber – und dies gelte gerade für Socken, sagt Frau Sorgsam – sie seien weniger robust. Ergo: „Was fein ist, will auch fein behandelt werden.“

Führt vielleicht ein Fußnagel zu den Löchern in den Socken?

Jetzt fühle ich mich richtig schlecht. Meine Socken sehnen sich nach Zärtlichkeit – und ich trete sie mit Füßen. „Nicht allein die Socken sind schuld“ – es lässt mich nicht mehr los.

Anruf bei Falke, dem vielleicht bekanntesten deutschen Sockenhersteller. Sprecherin Kristina Falke bestätigt im Wesentlichen die Angaben von Frau Sorgsam, ergänzt allerdings noch den Hinweis, dass auch schlechte Fußpflege zu Löchern im Garn führen könnte („Da eckt vielleicht ein Fußnagel an“). Daran liegt es bei mir ganz bestimmt nicht!, sage ich und verweise auf das Problem mit der Ferse. Nun ja, sagt Frau Falke, natürlich könnte man die Socken prinzipiell dicker und robuster gestalten, „aber dann würden die Leute sie nicht mehr anziehen“. Das Textil erfülle schließlich auch verschiedene Funktionen. „Denken Sie etwa an den Schweiß, der abtransportiert werden soll.“

„Natürlich sollen unsere Socken möglichst lange halten, aber sie müssen auch angenehm zu tragen sein“, sagt Frau Falke.

Was darf man denn erwarten, wie lange sollte eine durchschnittliche Baumwollsocke etwa halten? Frau Falke verspricht, dies bei ihren Experten im Labor und in der Produktion zu klären. Minuten später der Rückruf: Alle seien im Weihnachtsurlaub; eine Antwort sei erst im neuen Jahr zu erwarten. „Normalerweise mache ich alles möglich“, versichert sie noch.

Auf der Falke-Homepage heißt es: „Die Kernmaxime der Falke-Qualitätskultur lautet: Qualität um ihrer selbst willen anzustreben und zu leben! Jedes Detail verdient es, mit Sachverstand und Passion perfektioniert zu werden.“

Dem stimme ich absolut zu. Nur: Wer perfektioniert bitte endlich die Socke? Vielleicht ein US-Amerikaner, der Cameron Carter heißt, 23 Jahre alt ist und Absolvent der US Air Force Academy – nach eigenen Angaben. Dieser Offizier also will die Idee gehabt haben, Strümpfe an den Fußspitzen und der Ferse mit Kevlar- und Carbonfäden zu verstärken. Kevlar ist zum Beispiel ein Bestandteil von schusssicheren Westen.

„Sokrates Socken“ nannte Carter seine Erfindung, die er mit dem Versprechen anpries: „Bekommen niemals ein Loch“. Weil ihm offenbar eine Anschubfinanzierung fehlte, suchte er 2012 im Internet nach Investoren. 1719 Menschen machten mit; bis Anfang November kamen 94.279 US-Dollar (rund 69.000 Euro) zusammen. So steht es jedenfalls auf der Internetplattform kickstarter.com.

Bei einigen Spendern sind inzwischen wohl tatsächlich Sokrates Socken angekommen, viele Unterstützer warten allerdings immer noch, schreiben sich auf dem Portal ihren Frust von der Seele. Cam, wie er sich nennt, hat sein „Business“ inzwischen offenbar verkauft. Auf der Website socsock.com heißt es, es gebe eine neues Management; im April 2014 werde man „aufregende neue Produkte“ bekannt geben.

Ich habe da meine Zweifel. Und bleibe einstweilen bei herkömmlichen Socken. Mit Löchern – wohl oder übel.