Arbeiter begannen am Montag im Reaktorblock 4, den strahlenden Inhalt des Abklingbeckens Stück für Stück abzutransportieren

Fukushima/Hamburg. „3.18 Uhr am Nachmittag: Die Beseitigung der Brennstäbe beginnt.“ Auf die Minute genau meldete am Montag der japanische Energieversorger Tepco den Start eines der kniffeligsten Manöver in der Geschichte der friedlichen Kernenergienutzung – und es erinnerte fast an die minutengenaue Chronik der Katastrophe selbst: Gut zweieinhalb Jahre nach dem Reaktorunfall in Fukushima am 11. März 2011 begannen Arbeiter damit, erstmals Brennmaterial aus der Atomruine zu bergen. Die Brennelemente im Lagerbecken des Blocks 4 sollen nach und nach in einen Transportbehälter gepackt, per Kran aus der Ruine gehoben und in ein neu errichtetes Zwischenlager auf dem Betriebsgelände transportiert werden. Allein aus diesem Block sind 1533 Elemente zu beseitigen. Die Arbeiten sollen Ende nächsten Jahres abgeschlossen sein.

Die Bergung müsse mit „höchster Vorsicht“ erfolgen, erklärte der Chef der japanischen Atomaufsicht, Shunichi Tanaka. Das Gebäude des Reaktors 4 war zum Zeitpunkt des Erdbebens und des nachfolgenden Tsunamis in Revision. Sämtliche Brennelemente befanden sich deshalb im Abklingbecken auf dem dritten und vierten Stock oberhalb des Reaktors, als eine Wasserstoffexplosion die Gebäudehülle nahezu zerstörte und die Kühlung des Lagerbeckens für elf Tage unterbrach.

1331 abgebrannte Elemente, die noch immer stark strahlen, stellen seitdem ein großes Gefahrenpotenzial im Block 4 dar. Die 202 neuen Elemente enthalten zwar schwach radioaktives Uran, strahlen aber kaum und sind deshalb relativ einfach zu handhaben. Ein Element nach dem anderen hieven die Arbeiter jetzt mithilfe der Spezialvorrichtung, die diese Arbeit während des normalen Kraftwerksbetriebs bereits rund 1200-mal ausgeführt hat, in einen Transportbehälter. Dieser ähnelt den in Deutschland häufig verwendeten Castor-Behältern, die 80 bis 100 Tonnen wiegen. Der gesamte Vorgang geschieht in dem Abklingbecken unter Wasser.

Sobald der Behälter mit 22 der 4,5 Meter langen Brennelementen gefüllt ist, wird er mit einer neu errichteten Krananlage auf einen Lkw gehoben. Diese Konstruktion ist freistehend, wölbt sich aber weit über das Gebäude. Damit hat sie in etwa die Ausmaße des beschädigten Reaktorblocks. Innerhalb dieses riesigen Anbaus wird der Behälter dekontaminiert und auf einen Lkw verladen. Dieser bringt seine strahlende Fracht zu einem zentralen Zwischenlager. Es existierte bereits vor dem Reaktorunfall und liegt etwa 100 Meter entfernt. In diesem sogenannten Nasslager werden die Brennelemente wieder in ein mit Wasser gefülltem Abklingbecken gelagert, nach Tepco-Angaben voraussichtlich für zehn bis 20 Jahre.

Detailreich stellt der Betreiber Tepco im Internet dar, dass er alle Eventualitäten bedacht habe. Denn im Gegensatz zum vielfach geübten Normalbetrieb müssen die Arbeiter hier mit Brennelementen hantieren, von denen nicht klar ist, ob sie durch die bei der Explosion des Blocks ins Abklingbecken gefallenen Trümmer beschädigt wurden. Doch selbst wenn ein Element brechen und Strahlung freigesetzt würde, so versichert Tepco, bestehe kein großes Risiko für die Umgebung. Man habe „alle möglichen“ Sicherheitsmaßnahmen getroffen, versicherte Tepco-Chef Naomi Hirose.

Die Stabilität des Abklingbeckens und des Reaktorgebäudes wurde monatelang untersucht, die Dicke der Stahlbetonwände des Beckens und der Betondecken der fünf Geschosse vermessen, Wasserproben aus dem Becken analysiert, ein nicht strahlendes Brennelement geborgen und auf Rost untersucht. Der zentrale Laufweg der Krananlage des Lagerbeckens wurde verstärkt, ebenso ein Bereich unterhalb des Beckens. Auch für die Fälle, dass ein Trümmerteil das Anheben eines Brennelements blockiert, es zu einem Kühlwasserleck kommt oder ein Brennelement vom Kranhaken fällt, hält sich Tepco gerüstet.

Allerdings hatte der Kraftwerksbetreiber in den vergangenen Wochen gerade mit mehrfach aufgetretenen Lecks im Tanklager für kontaminiertes Kühlwasser und mit weiteren Störfällen zu kämpfen. Im Oktober bat Japans Premierminister Shinzo Abe sogar andere Staaten um Hilfe bei der Bewältigung des Atomdesasters, und die japanische Atomaufsicht erhob schwere Vorwürfe gegen Tepco. Kritiker warnen deshalb vor der Gefahr einer neuen Katastrophe bei der Brennstoffbergung.

„Es wäre risikoreicher, die Elemente komplett im Gebäude zu belassen“, sagt Dr. Christoph Pistner, Nuklearexperte des Öko-Instituts in Darmstadt. „Tepco ergreift grundsätzlich die richtige Maßnahme, und es ist zu hoffen, dass dies besser vorbereitet geschieht als der Bau des Tanklagers. Aber ich vermute, dass die Bergung der Brennelemente seit Längerem das Topthema in Fukushima ist und entsprechend sorgfältig betrieben wird.“

Die Tatsache, dass die Brennelemente fast drei Jahre abgelagert sind, habe die enthaltene Radioaktivität und insbesondere die Wärmeleistung deutlich gesenkt, so Pistner. Dass es im Fall eines Unfalls während der Bergungsarbeiten erneut zu einer Kettenreaktion in den Brennstoffbündeln kommen könnte, hält er für extrem unwahrscheinlich. Auch reiche die verbliebene Energie wohl nicht mehr aus, dass im Fall einer Überhitzung eine Kernschmelze drohe, schätzt Pistner, „auf jeden Fall würde die Situation deutlich langsamer eskalieren als im März 2011 in den Blöcken 1 bis 3, sodass mehr Zeit zum Gegensteuern bliebe“.

Eine komplette Entwarnung will der Nuklearexperte jedoch nicht geben: „Natürlich ist die Bergung der Brennelemente aus dem Block 4 und später aus den anderen Blöcken ein extrem schwieriges Manöver, das wir in dieser Form weltweit noch nicht hatten.“