Nach Manipulationsfällen sind Bürger verunsichert. Patientenschützer fordern einen Systemumbau

Berlin. Gut ein Jahr nach Bekanntwerden des Göttinger Organspende-Skandals ist die Zahl der Organspenden in Deutschland auf einen Rekordtiefstand abgestürzt: Von Januar bis Oktober dieses Jahres wurden an deutschen Krankenhäusern lediglich 754 Organtransplantationen vorgenommen – und damit 138 weniger als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Das gab die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am Dienstag bekannt.

Nach ihren Angaben sank auch die Zahl der gespendeten Organe verstorbener Patienten in den ersten zehn Monaten, und zwar von 3001 im Jahr 2012 auf 2647 in diesem Jahr. Der deutliche Rückgang im laufenden Jahr ist vor allem deshalb besonders schwerwiegend, da bereits die Ausgangslage schlecht war: Denn im Vergleichszeitraum aus dem Vorjahr war ohnehin schon ein Einbruch der Organspende-Zahlen verzeichnet worden. Der anhaltende Rückgang zeigt, wie tief der Vertrauensverlust nach der Aufdeckung von Manipulationen der Patientendaten auf Wartelisten an Transplantationszentren wie in Göttingen greift. In den vergangenen Monaten waren außerdem weitere Manipulationen an anderen Kliniken quer durch die Republik enthüllt worden.

Auch die von Politik, Krankenhäusern und Ärzteschaft auf den Weg gebrachten Verbesserungen von Kontrollen und Transparenzvorschriften sowie die Aussicht auf langfristige Vorhaben wie die Einrichtung von Transplantationsregistern zur Bewertung und Vergleichbarkeit einzelner Behandlungen haben die Bürger offenbar noch nicht von ihrem Misstrauen geheilt. Stiftungschef Rainer Hess bemühte sich dennoch, Zuversicht zu verbreiten: „Noch befinden wir uns in einem Veränderungsprozess, aber die Weichen für eine Trendwende sind bereits gestellt“.

Patientenschützer zeigten sich dagegen weniger optimistisch und machten Ärzteschaft und Kliniken für den Negativrekord bei den Organspenden verantwortlich: „Als Patientenschützer erleben wir, dass die Beteiligten dieses Systems unfähig sind, die Fehler bei sich zu suchen“, kritisierte die Deutsche Stiftung Patientenschutz. So würden Patienten nicht unterstützt, wenn es um ihr Einsichtsrecht auf die Warteliste gehe oder um die Frage der gerichtlichen Überprüfung von Wartelistenentscheidungen. Erforderlich sei eine komplette Neuordnung des Transplantationssystems.

Im Ringen um das Vertrauen der Bevölkerung sind in den vergangenen Monaten mehrere Neuerungen vorgenommen worden: Unter anderem hatte eine Überwachungskommission aus Ärzten, Kliniken und Krankenkassen Transplantationszentren überprüft. Zudem hatte der Bundestag eine Änderung des Transplantationsgesetzes beschlossen, sodass Ärzte, die Manipulationen an Wartelisten vornehmen, um Patienten „unberechtigt zu bevorzugen“, künftig mit einer „Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe“ rechnen müssen. Darüber hinaus muss sich die Bundesärztekammer die Richtlinien, nach denen Herzen, Lungen, Lebern, Nieren und Bauchspeicheldrüsen vergeben werden, künftig vom Bundesgesundheitsministerium genehmigen lassen.

Die Schritte sind Konsequenzen aus Skandalen an mehreren Transplantationszentren: Schwerwiegende Unregelmäßigkeiten wurden an der Universitätsklinik Leipzig, am Münchner Klinikum rechts der Isar sowie an der Uni-Klinik Göttingen festgestellt. Nach Erhebungen der Überwachungskommission arbeiteten 2010 und 2011 nur fünf der 24 untersuchten Leberzentren komplett sauber. In Deutschland warten zurzeit rund 11.300 Menschen auf ein geeignetes Organ.