Bisher nicht genau bestimmte Spinnentiere breiten sich in Deutschland aus. Angst muss aber niemand vor ihnen haben

Berlin. Ihre Beine sind bis zu 18 Zentimeter lang – wirklich imposant wirken sie aber erst in der Gruppe: Die eingewanderten schwarz-roten Weberknechte, die sich derzeit offenbar in Deutschland ausbreiten. Weberknechte sind in Deutschland nichts Besonderes, doch die Vertreter der bisher nicht bestimmten Art zeigen ein ungewöhnliches Verhalten: Sie drängen sich zu großen Haufen zusammen. „Das können Aggregationen aus Tausenden Tieren sein“, sagt der Zoologe Axel Schönhofer von der Universität Mainz.

Hinter der Zusammenrottung steckt jedoch keine Aggression, vielmehr dient sie wohl dem Schutz der Tiere. „Bei Bedrohung schwingen sie ganz schnell mit dem Körper hin und her und laufen auseinander“, sagt Schönhofer. Angreifer, etwa Vögel, könnten so beim Zuschnappen viel schlechter zielen. Für Menschen mag das wabernde Gewusel eklig wirken, bedrohlich ist es nicht: „Die Tiere sind völlig harmlos“, sagt Schönhofer.

Anders sähe das bei potenziellen Einwanderern unter den Spinnen aus, sagt Peter Jäger, Arachnologe am Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt. „Probleme könnte es geben, wenn sich die Schwarze Witwe etablieren würde.“ Bisse von Latrodectus mactans können zu heftigen Schmerzen führen, in seltenen Fällen auch zum Tod. Schon oft seien lebende Schwarze Witwen in Containern mit Metallteilen oder Oldtimern aus Nordamerika nach Europa eingereist, weil die Behälter nicht ausreichend begast wurden. „In Belgien gibt es immer wieder Funde, etabliert haben sich die Tiere aber offenbar noch nicht.“

Wahrscheinlich mit dem Schiff eingereist sind auch die Gruppen liebenden Weberknechte mit den besonders langen Beinen. Bisher konnten sie nur der Gattung Leiobunum zugeordnet werden, aber keiner Art; deshalb heißen sie erst Leiobunum sp. (sp. steht für Spezies). Wie Spinnen haben Weberknechte acht Beine und gehören zur Klasse der Spinnentiere (Arachnida), nicht aber zur Gruppe der Webspinnen (Araneae). Anders als bei Spinnen sind Kopf und Hinterleib bei Weberknechten scheinbar verschmolzen, zudem bauen sie keine Netze.

Enorm schnelle Ausbreitung

Die Geschwindigkeit, mit der sich die eingeschleppten großen Weberknechte ausbreiteten, sei enorm, sagt Axel Schönhofer. „Sie wandern rund 200 Kilometer jährlich ostwärts. Es sind sehr mobile Tiere.“ Allerdings wachse jede neue Population zunächst rapide, stagniere dann aber oder entwickle sich zum Teil sogar rückläufig. Ursache seien wahrscheinlich natürliche Regulationsprozesse, erläutert der Zoologe. „Fressfeinde wie Vögel und Säuger können auf die neue Beute aufmerksam werden; an den Ruheplätzen vermehren sich möglicherweise Schimmelpilze oder Parasiten.“

Heimische Tiere würden von den Neuankömmlingen bisher kaum oder gar nicht in Mitleidenschaft gezogen, sagt Schönhofer. „Es gibt vielleicht etwas Futterkonkurrenz mit anderen Weberknechten, aber wir sehen auch heimische Arten mit in den großen Ansammlungen, die dann ebenfalls vom Schutz der Gruppe profitieren.“

Wahrscheinlich gelangten die Tiere mit Baumaterial und anderen Transporten in neue Regionen. Derzeit gibt es Nachweise in den Niederlanden, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Erstmals entdeckt wurde Leiobunum sp. im Jahr 2000 in den Niederlanden.

Auch Zitterspinnen-Art eingewandert

Leiobunum sp. ist längst nicht die einzige eingewanderte Spinnentier-Art. Senckenberg-Forscher Peter Jäger nennt die Zitterspinne Holocnemus pluchei als Beispiel, die zunächst nur in Markthallen oder an Fernbus-Bahnhöfen gefunden wurde. Inzwischen sei die Art aus deutschen Innenstädten nicht mehr wegzudenken. Ebenfalls aus dem Mittelmeerraum gekommen sei wohl die Kräuseljagdspinne Zoropsis spinimana.

Insgesamt seien in den vergangenen vier Jahrzehnten grob geschätzt etwa 20 Arten zu den deutschlandweit rund 1000 Spinnenarten hinzugekommen, sagt Jäger. „Das sind graduelle Entwicklungen, und es gibt nur wenige Arachnologen und damit wenig Aufmerksamkeit für Nachweise.“ Auch über die Auswirkungen auf heimische Arten lasse sich kaum etwas sagen. „Bei den vielen Arten haben wir kaum eine Möglichkeit, das zu kontrollieren und zu erfassen.“ Spinnen wanderten auf zwei Wegen ein: aus dem Mittelmeerraum über die Alpen und an Bord von Schiffen und Lkw mit dem internationalen Handels- und Reiseverkehr.

Der Ursprung der großen Weberknechte liege möglicherweise in Südspanien, Portugal oder auch Nordafrika, sagt Axel Schönhofer. Sein niederländischer Forscherkollege Hay Wijnhofen habe dort bei Nachforschungen schon mehrere bisher unbekannte Arten gefunden – der nun zu identifizierende Weberknecht war aber nicht darunter. Ohnehin sei fraglich, ob sich die Tiere noch einer Ursprungsregion zuordnen ließen.

Zuordnung schwierig

Auch die Zuordnung zu einer Art sei schwierig. Derzeit seien allein in dieser Gattung rund 120 Arten bekannt; bei etwa der Hälfte sei unklar, welches Tier eigentlich genau gemeint sei, erläutert Schönhofer. Viele der Arten seien sich sehr ähnlich, zudem seien die Merkmale innerhalb einer Art sehr variabel. „Da gibt es gleich einen ganzen Pool an Problemen.“ In Europa gebe es daher wohl noch etliche unbekannte Arten und viel Forschungsbedarf. In Deutschland seien seit 2005 vier weitere Arten nachgewiesen worden.

Ungewöhnlich sei ein Weberknecht mit 18 Zentimetern Beinspannweite bei nur einem halben Zentimeter Körperlänge nicht. „Auf dem Weg zur Arbeit laufen viele Menschen an 50 Weberknechten mit solcher Spannweite vorbei“, sagt der Biologe. Einige dieser heimischen Tiere bildeten ebenfalls Ansammlungen. „Allerdings nicht in der Dichte und Häufigkeit wie die nun eingewanderten Tiere.“ Wahrscheinlich seien die Neuankömmlinge durch die Nähe in der Gruppe tagsüber nicht nur besser vor Feinden, sondern auch vor Austrocknung geschützt.

Hay Wijnhofen hat das Verhalten der großen Weberknechte in einer großen Population in Beuningen untersucht. Die Tiere schwärmen demnach nachts aus und jagen verschiedenste kleine Insekten. Auch tote Insekten, andere Wirbellose, Vogelkot und von Spinnen aus ihren Netzen entfernte Beutetiere würden nicht verschmäht, so Wijnhofen.

Weibchen werden bewacht

„Äußerst kompliziert“ sei das Paarungsverhalten der Weberknechte. Das Männchen bewache das Weibchen bei der Eiablage und paare sich mehrfach mit ihm; sich nähernde Männchen würden vom Männchen vertrieben. Als Brautgeschenk scheine es seiner Auserwählten regelmäßig eine selbst produzierte Flüssigkeit darzubieten, sagt Wijnhofen. Ihre Eier legten die Tiere der Studie zufolge in schützende Mauerspalten und Ritzen.

„Die ausgewachsenen Weberknechte sterben mit den ersten starken Frösten“, sagt Axel Schönhofer. Aus den Eiern schlüpften im Frühjahr kleine Jungtiere, die dann zu stattlicher Größe heranwüchsen. „Das erklärt auch, warum es in den vergangenen zwei Monaten wieder mehr Meldungen zu Leiobunum sp. gab“, sagt der Biologe. Dass besonders viele davon aus dem Ruhrgebiet kommen, könne an der erhöhten Aufmerksamkeit dort, aber auch der Vielzahl urbaner Verstecke in der Region liegen.

Einen kleinen Trost für Menschen, die sich vor den wabernden schwarzen Ansammlungen der Weberknechte ekeln, hat Schönhofer auch noch parat: „In Asien und Amerika gibt es Arten, bei denen sich nicht Tausende, sondern Zehntausende Tiere an einem Ort versammeln.“