Bei der Aufzeichnung und Analyse von Experimenten werden die Beobachtungszeiten kürzer. So lässt sich etwa das Verhalten von Elektronen messen.

Berlin. Kaum denkbar, dass ein Pferderennen knapper ausgehen könnte: Am 3. Oktober 1953 lieferten sich die drei Pferde Patchover, Payne Hall und Penny Maid in einem Trabrennen in Freehold bei New York ein absolut totes Rennen. Das Zielfoto beweist, dass alle drei Pferde praktisch millimetergenau gleichzeitig mit ihrer Schnauze die Ziellinie erreichten.

Immer wieder gibt es solch extrem enge Entscheidungen, nicht nur im Pferderennsport, auch beim Skifahren oder in der Leichtathletik. So überquerten bei einem Ausscheidungswettkampf für die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles gleich vier Hürdenläuferinnen in einem Zeitraum von nur sechs Tausendstel Sekunden die Ziellinie.

Um in solchen Extremfällen eine gerechte Entscheidung zu fällen, ist es wichtig, dass die Zeitnahme perfekt funktioniert oder die Zielkamera den entscheidenden Augenblick messerscharf festhält. 1953 geschah das noch auf Film, heute mit Hilfe digitaler Chips und Speicher. Auch Tierfotografen bedienen sich gern der schnellen Kameras, die sie manchmal mit Lichtschranken kombinieren, um das einzigartige Foto vom springenden Leoparden oder der landenden Fledermaus zu schießen.

Im Sport sind solche Fotos ungemein wichtig, in der Tierfotografie ein schönes Hobby, in der modernen Forschung aber sind sie unabdingbar. Deshalb haben Wissenschaftler seit jeher versucht, Vorgänge auf Bilder zu bannen oder gar Filme von den Abläufen zu drehen, um zu verstehen, wie schnelle Prozesse ablaufen. Denn unser Auge ist viel zu träge, um einen schnellen Ablauf in einzelne Bilder zu zerlegen.

Das klassische Beispiel sind die Crashtests der Automobilhersteller. Innerhalb weniger Zehntelsekunden wird da ein Auto gegen die Wand gefahren, und die Forscher wollen möglichst genau wissen, was vor sich geht. Sie benutzen deshalb in der Regel digitale Hochgeschwindigkeitskameras, die 1000 Bilder pro Sekunde aufnehmen können.

„In der Technik hat sich hier viel getan in den letzten Jahren; die Bildsensoren werden immer besser, und die Auslesegeschwindigkeit wird höher“, sagt Jürgen Ernst, der am Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen in Erlangen selbst jahrelang solche Kameras entwickelt hat. Immerhin muss eine hoch auflösende Kamera ja pro Sekunde 1000 Bilder mit je zwei Millionen Pixel auslesen und speichern. Das ist nötig, um daraus Filme in Super-Zeitlupe herzustellen, die alle Einzelheiten genau zeigen. Forscher benutzen sie in der Sportmedizin, um Bewegungsabläufe zu studieren, Zoologen, um beispielsweise den Flügelschlag einer Fliege zu analysieren, Materialforscher zum Untersuchen des Bruchverhaltens von Stahl. Und die Entwicklung ist noch nicht am Ende. Jürgen Ernst glaubt, dass man in zehn Jahren noch schnellere Kameras haben wird.

Die schnellsten, die es heute gibt, benutzt Jürgen Herrmann am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik (EMI) in Freiburg. Er und seine Kollegen studieren Vorgänge, die in Millisekunden und kürzer ablaufen. Dazu gehört etwa die Beobachtung von Airbags, die zuverlässig aufgehen müssen, wenn ihre Sprengladung gezündet wird. „Wir können dann sehen, wie sich ein Riss fortpflanzt“, sagt Herrmann. „Oder wir untersuchen die Abdeckung des Airbags an der Instrumententafel. Sie hat Sollbruchstellen, darf aber keine scharfen Kanten ausbilden, damit der Airbag beim Auffalten nicht beschädigt wird.“

Auch seine EMI-Kollegen von der Impakt-Physik bedienen sich der Super-Hochgeschwindigkeitskameras, die einige Hunderttausend Bilder pro Sekunde aufnehmen können. Sie filmen damit beispielsweise Geschosse, die eine Wand durchschlagen oder auf eine schusssichere Weste auftreffen. Die Untersuchungen dienen der Sicherheit, sei es auf der Erde oder im Weltraum – etwa beim Zusammenstoß eines Raumfahrzeugs mit Müll oder mit kleinen Meteoriten. „Um welch weites Spektrum es sich physikalisch gesehen handelt, zeigt ein Vergleich von charakteristischen Zeiten, in denen Anwendungen aus diesen Gebieten ablaufen: Automobil-Crash (100 Millisekunden), ballistischer Beschuss (100 Mikrosekunden), Impakt von Weltraummüll (1 Mikrosekunde)“, so Klaus Thoma, der Leiter des EMI.

Nicht nur die Aufzeichnungsgeschwindigkeit spielt eine Rolle, sondern auch der richtige Zeitpunkt, an dem die Kamera ausgelöst wird. Hier hilft wieder die Digitaltechnik: „Die Kameras arbeiten mit sogenannten Ringspeichern, die ständig überschrieben werden“, erklärt Messtechnik-Spezialist Herrmann. „Wenn man die Kamera stoppt, kann man dann auch noch ein Stück in die Vergangenheit blicken.“ Die extremste Filmkamera schafft heute rund eine Million Bilder pro Sekunde, dann allerdings nur mit wenigen Pixeln, die Auflösung ist dementsprechend gering.

Bei noch kürzeren Beobachtungszeiten geht jedoch nichts mehr mit Filmen oder Fotos, schnellere und feinere Messmethoden sind notwendig. Da kommen Laser ins Spiel. Ihre Impulse können schnelle Vorgänge beleuchten und so einer Messung zugänglich machen. Deshalb bemühen sich Forscher, diese Impulse immer kürzer zu machen.

In den vergangenen 25 Jahren gab es auf diesem Gebiet ein regelrechtes Wettrennen; heute sind Laser auf dem Markt, die Femtosekundenimpulse aussenden. Eine Femtosekunde ist die unvorstellbar kurze Zeit von einem Milliardstel einer Millionstel Sekunde, das Lichtscheibchen, das in dieser Zeit durchläuft, ist nur drei Tausendstel Millimeter dick.

Mit derartigen Wundergeräten arbeiten Physiker, etwa wenn sie untersuchen wollen, was im Inneren von Halbleitern vor sich geht. Denn wenn die Strukturen auf Chips immer kleiner werden, ist es wichtig zu verstehen, was im Inneren der Nanobauteile abläuft. Zu wissen, was auf atomarer Ebene im Inneren der winzigen Strukturen abläuft, ist nicht nur wichtig zum Verständnis der Physik, es ist auch die Voraussetzung dafür, Prozesse beispielsweise in optischen Schaltelementen zu beschleunigen oder natürliche Phänomene nachzuahmen, etwa in neuartigen Solarzellen, die Licht besser in Strom umwandeln als die heutigen Module.

Auch die Bewegung von Atomen bei chemischen Reaktionen lässt sich mithilfe von Femtosekunden-Lasern beobachten. Flash, ein Freie-Elektronen-Laser am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg, erzeugt solche Impulse im Röntgenbereich. „Damit können Wissenschaftler die Dynamik chemischer Reaktionen messen oder die Vorgänge detailliert untersuchen, die beim Einsatz eines Katalysators ablaufen“, sagt Josef Feldhaus, der am Flash die Experimente koordiniert. Grundlagenforschung, die auch zu besseren Katalysatoren führen könnte.

Femtosekunden sind aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Mittlerweile gibt es auch Attosekundenlaser, deren Lichtimpulse noch tausendmal kürzer sind, also nur das trillionstel einer Sekunde lang sind. Solche Laser verwendet etwa der Physiker Reinhard Kienberger am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching zur Beobachtung von Elektronen. Die Vorgänge in diesem Bereich laufen unglaublich schnell ab. Es dauert nur einige Attosekunden, wenn ein Elektron aus einem Atom herausspringt. Nur mit entsprechend kurzen Lichtimpulsen kann man deshalb in Gasatome hineinleuchten und die Abläufe in deren Innerem entschlüsseln.

Werden die Belichtungszeiten weiter immer kürzer werden? Desy-Forscher Feldhaus glaubt das nicht. „Der Aufwand dafür wird immer größer, da muss man sich die Frage stellen, ob die Forschung noch relevant genug ist.“