Bücherskorpione sind aus den Stöcken verschwunden und stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Doch sie könnten dort die Varroa-Milbe vertilgen, den größten Feind der Imker.

Hamburg. Der Räuber nähert sich seinem Opfer, packt es mit einem seinen langen, mit Scheren und Giftzahn bewehrten Armen, schlägt zu und lähmt es mit Gift. Dann führt er die Beute – eine Milbe – zu seinem Mundwerkzeug und saugt sie allmählich aus. Kommt eine weitere Milbe des Wegs, wird auch sie attackiert, gelähmt und auf Reserve zur Seite gelegt. Der ameisengroße Milbenkiller könnte ein neuer Hoffnungsträger im Kampf gegen das Bienensterben werden. Biologen nennen ihnen Chelifer cancroides – Bücherskorpion. Der Name ist irreführend, denn er ist eine Spinnenart, die neben anderem Kleingetier eifrig Varroa-Milben, den Hauptfeind der Bienen, vertilgt.

Seit rund 40 Jahren treibt die aus Asien eingeschleppte Milbe ihr Unwesen in europäischen Bienenstöcken – 1977 wurde sie erstmals in Deutschland nachgewiesen. Bienenforscher sehen den Befall durch Varroa-Milben (Varoose) als Hauptursache für die in den vergangenen Jahren aufgetretenen erhöhten Verluste an Bienenvölkern. Die Milben schwächen die Völker, machen sie anfälliger für Krankheitserreger, womöglich noch verstärkt durch den Einfluss von Pestiziden. Das führt vor allem dazu, dass deutlich mehr Bienenvölker den Winter nicht überleben. Während früher Verluste von zehn Prozent üblich waren, lagen sie im vergangenen Winter bundesweit bei gut 15 Prozent, im Winter 2011/2012 sogar bei 22 Prozent.

Bereits im Januar 2011 warnte die Arbeitsgemeinschaft der Institute für Bienenforschung vor einer unzureichenden Bekämpfung der Varoose, hielt die „Befallssituation für äußerst kritisch“ und sah „in mehrfacher Hinsicht dringenden Handlungsbedarf“. Derzeit werden die Milben meist mit relativ sanften Mitteln, zum Beispiel Ameisensäure, bekämpft – damit die Bienen durch die Einsätze möglichst wenig geschädigt werden, aber auch um Rückstände im Honig und Wachs zu vermeiden. Bei chemischen Anwendungen besteht zudem die Gefahr, dass sich Resistenzen gegen die Wirkstoffe bilden, weil nur diejenigen Milben, die den Chemieangriff überlebt haben, ihr Erbgut an kommende Generationen weitergeben können.

In diese Bresche könnte nun der Bücherskorpion mit seinem unwiderstehlichen Appetit auf Milben, Läuse und Raupen der Wachsmotte springen. Er ist ein guter alter Bekannter der Bienen, lebte seit Urzeiten mit ihnen in Symbiose. Über die nützliche Wirkung der Pseudoskorpione schrieb bereits 1951 der österreichische Zoologe Dr. Max Beier einen Aufsatz mit dem Titel „Der Bücherskorpion, ein willkommener Gast der Bienenvölker“.

Die moderne Imkerei ging mit dem kleinen Helfer jedoch sehr unsanft um: Der Einsatz von Chemikalien zur Varroose-Bekämpfung und die Tatsache, dass die heutigen Behausungen (sogenannte Bienenbeuten) glatte Wände haben, die den Spinnentierchen keinen Unterschlupf bieten, verdrängten die Art aus den Bienenstöcken. Da auch sonstige Lebensräume des Bücherskorpions verschwanden, steht die Spezies heute auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Der Hamburger Lehrer Torben Schiffer ist dem Bücherskorpion, der in früheren Zeiten gern mal Bücherregale bewohnte, seit Jahren auf der Spur. 2007 schrieb der heute 38-Jährige seine Diplomarbeit im Fach Biologie über das Tierchen, setzte sich mit der Frage auseinander, wie es sich züchten lässt (in geriffelten Holzprofilen) und dokumentierte sein Jagd- und Fressverhalten. „Für meine Diplomarbeit hatte ich Ausschau gehalten nach biologischen Feinden der Varroa-Milbe“, schildert Schiffer die Anfänge seines Projektes „Beenature“. „Damals fand ich im Archiv des Biozentrums Grindel den Text von Max Beier. Ich schrieb zahlreiche Professoren an und bat um Informationen zum Bücherskorpion, doch niemand hatte das Tier im Visier.“

Der angehende Diplombiologe machte sich monatelang auf die Suche nach den kleinen Spinnentieren und wurde in alten Häusern fündig. Er sammelte einige Exemplare ein und begann in Verbindung mit seinen Bienenstöcken ein eigenes Forschungsprojekt. Wie alle Spinnen hat Chelifer cancroides acht Beine. Hinzu kommen die langen Fangarme, mit denen er auf Beutejagd geht. Sie tragen neben dem Giftzahn feinste Tasthaare an den Scheren, mit denen der Pseudoskorpion seine Opfer aufspürt. Sind diese erst einmal durch das Gift gelähmt, setzt der Jäger an einer weichen Stelle (bei der Varroa-Milbe meist auf der Bauchseite zwischen den Chitinschilden) an, injiziert Verdauungssäfte in seine Beute und saugt sie aus.

Eine Milbenportion ist meist in einer halben bis einer Stunde verspeist, stellte Torben Schiffer fest und dokumentierte dies im Video. Dort ist auch zu sehen, dass der gierige Miniräuber noch während der Mahlzeit der ersten Milbe bis zu zwei weitere Tiere lähmt und auf Reserve beiseite legt. Fest steht: Diejenigen Milben, die im Bienenstock frei herumlaufen, werden relativ leicht zu Opfern der Pseudoskorpione, doch: „Pflücken“ die Nützlinge auch Milben direkt von Bienenkörpern ab?

Um dies zu ergründen, sperrte Schiffer eine mit Milben infizierte Biene zusammen mit einigen „Pseudos“ (wie er sie nennt) in ein Glas. Solange sich die aufgeregte Biene im Kreis bewegte, lagen die Bücherskorpione am oberen Rand auf der Lauer. Als die Biene schließlich ermattete und ruhiger wurde, näherte sich eines der Versuchstiere und schnappte sich eine der Milben.

„Wir haben damit zumindest einen Hinweis, dass die Pseudoskorpione die Bienen direkt von den Parasiten befreien. Aber ob dies tatsächlich auch im Bienenstock geschieht, müsste weiter untersucht werden“, sagt Schiffer. Immerhin sei bekannt, dass die Tiere Kontakt zu Bienen suchen, wenn diese zu schwärmen beginnen. Dann heften sich die Nützlinge an deren Beine und verbreiten sich zusammen mit den Bienen. Erste Erfolge gibt es in der Zucht: Dem rührigen Hobbyimker gelang es, die Putzertiere der Bienen zu vermehren und sie auch über den Winter zu bringen. Um Bücherskorpione im größeren Maßstab einsetzen zu können, müsste die Zucht nun professioneller und effizienter erfolgen, so Schiffer. Er schätzt, dass pro Bienenstock 100 bis 150 Pseudoskorpione aktiv sein sollten. Und die Behausungen müssten so umgestaltet werden, dass sie den nützlichen Mitbewohnern ausreichend Lebensräume in Form von Ritzen und Spalten bieten. Auch gilt es, die Wirksamkeit des Minispinneneinsatzes wissenschaftlich nachzuweisen. Torben Schiffer: „Bei meinem mit Bücherskorpionen besetzten Bienenstock ist der Varroa-Befall extrem niedrig. Aber das ist nur ein erstes positives Indiz, nicht mehr.“

Da Zeit und Geld knapp sind, will Torben Schiffer nun Kontakt zu Forschungsinstituten aufnehmen. Vor einigen Wochen ging er in die Offensive und stellte sein Projekt öffentlich vor. Das Fachblatt „Deutsches Bienen-Journal“ griff das Thema in seiner aktuellen Ausgabe auf, ein Vortrag auf einer Fachtagung im Frühjahr 2014 ist geplant. Auch Dr. Werner von der Ohe vom Bienen-Institut in Celle steht dem Nützlingseinsatz aufgeschlossen gegenüber: „Der Ansatz ist gut, es lohnt sich, weitere Untersuchungen durchzuführen.“

Von der Ohe sieht vor allem offene Fragen in der Wirksamkeit der Milbenfresser und bei der Risikobewertung: „Sowohl Bücherskorpione als auch Bienen kommunizieren mit Pheromonen (chemische Botenstoffe, die Red.). Es ist zu prüfen, ob die Substanzen zahlreicher Bücherskorpione im Stock womöglich Irritationen bei den Bienen hervorrufen.“ Zudem könnten die Pseudoskorpione nicht in den Brutzellen wirken, in denen aber die Massenvermehrung der Milben stattfindet, wendet der Bienenforscher ein – „die chemischen Bekämpfungsmittel durchdringen dagegen die Zellwände und wirken auch in den Brutzellen“.

Den Bienen helfe es genauso, wenn Chelifer die fertilen Milbenweibchen vertilgt, sodass diese gar nicht erst zur Fortpflanzung in die Brutzellen gelangen, kontert Torben Schiffer. Aber auch er sieht den Bedarf einer zusätzlichen chemischen Milbenbekämpfung, da es möglicherweise bis zu zwei Jahren dauert, bis sich im Bienenstock ein „natürliches Räuber- und Beuteverhältnis“ eingestellt habe, mit dem die Bienen dann hoffentlich gut leben können. Der Tüftler fand einen Wirkstoff (Oxalsäure), der zwar die Milben, nicht jedoch die Pseudoskorpione dahinrafft. „Oxalsäure ist in Deutschland zur Milbenbekämpfung in Bienenstöcken zugelassen, wird aber nur im Winter eingesetzt“, sagt Werner von der Ohe.

Trotz Zeit- und Geldmangels will Torben Schiffer einige der offenen Fragen selbst klären. Zusätzlich konnte er einige seiner Schüler der Otto-Hahn-Schule in Jenfeld als Helfer gewinnen. Dort leitet der bienenfleißige Lehrer eine Schulimkerei. Mit ihr gewann er 2009 den Hanse-Umweltpreis des Naturschutzbundes für sein Engagement zum Erhalt der Honigbiene. Jetzt wollen unter seiner Regie drei Schülerteams im Rahmen des Wettbewerbs „Jugend forscht“ den Milbenkiller weiter erkunden.

Eine dreiköpfige Gruppe untersucht, bei welcher Temperatur die Bücherskorpione am meisten fressen und sich am besten vermehren. Ein Duo geht der Frage nach, ob die Tiere (wie Bienen) kein rotes Licht wahrnehmen können. Dann ließen sich bei Rotlicht die natürlichen Verhaltensweisen beobachten, womöglich auch das direkte Entmilben von Bienen. Team drei ist erst Donnerstag entstanden und besteht derzeit aus einem Nachwuchsforscher. Er will ergründen, ob Oxalsäure oder andere Pseudoskorpion-verträgliche Milbenbekämpfungsmittel womöglich die chemische Wahrnehmung der Nützlinge überdecken und damit deren Fortpflanzung beeinträchtigen.

Die Forschung zum fast vergessenen Milbenkiller wird also auf jeden Fall weitergehen – mit oder ohne professioneller Unterstützung.

Weitere Informationen zum Projekt und Link zum Video: www.beenature-project.com