Forscher untersuchten, wodurch sich das Leben älterer Menschen verändert. Ergebnisse wurden in Hamburg vorgestellt

Hamburg. Wie können Menschen es schaffen, bis ins hohe Alter gesund zu bleiben und ihre Selbstständigkeit zu erhalten? Welche Strategien sind nötig, um das Fortschreiten von Krankheiten zu verhindern? Wie können ältere Menschen bei der Bewältigung von Krankheiten unterstützt werden? Diese Themen stehen im Mittelpunkt des groß angelegten Forschungsschwerpunkts „Gesundheit im Alter“, das vom Bundesforschungsministerium in den vergangenen sechs Jahren mit 32 Millionen Euro gefördert wurde. Auf einer Tagung in Hamburg stellen heute die sechs beteiligten Forschungsverbünde ihre Ergebnisse vor.

Organisiert wurde diese abschließende Veranstaltung von dem Verbundprojekt Lucas (Kurzform für Longitudinale Urbane Kohorten-Alters-Studie). Dabei handelt es sich um eine Langzeitstudie, die bereits 2000 startete, mit 3326 Teilnehmern im Alter zwischen 60 und 100 Jahren. Beteiligt sind das Albertinen-Haus, das Uniklinikum Eppendorf, die Uni Greifswald, die Hamburgische Pflegegesellschaft, die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Hamburger Gesundheitsbehörde.

Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Studie: Körperliche und seelische Veränderungen werden häufig viel zu schnell dem Alter angelastet und damit für irreversibel erklärt. „Inzwischen wissen wir, dass mindestens 80 Prozent der 60- bis 100-Jährigen rüstig sind und fast die gleiche körperliche, geistige und soziale Leistungsfähigkeit haben wie mittelalte Menschen“, sagt Dr. Jennifer Anders. Die Ärztin arbeitet seit 1999 in der geriatrischen Forschungsabteilung unter der Leitung von Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse am Albertinen-Haus und hat Lucas mit auf den Weg gebracht.

Leichte Defizite werden viel zu schnell dem Alter angelastet

Kleine Abweichungen werden schnell als unvermeidlich hingenommen („Ich werde halt alt.“). „Dabei können Anzeichen, dass man zum Beispiel das Geländer benutzt, um sich beim Treppensteigen hochzuziehen, oder stärker darauf achtet, wohin man seine Füße setzt, weil man Angst hat zu stolpern, erste subtile Veränderungen sein, die meistens nicht auf dem normalen Altern beruhen, sondern diffus auf eine Erkrankung hinweisen“, sagt Anders.

Oft würden solche Krankheiten auch übersehen, weil die Beschwerden mit schon bekannten Erkrankungen in Zusammenhang gebracht würden. Als Beispiel nennt sie die Arthrose, ein weit verbreitetes Leiden unter älteren Menschen. „Aber die Beschwerden passen vielleicht gar nicht dazu und sind neu, und die Arthrose besteht schon länger“, sagt Anders und warnt davor, solche diffusen Anzeichen zu ignorieren. Denn dann kann durch die mangelnden Reserven im Alter ein sogenanntes Gebrechlichkeitssyndrom ausbrechen. Das ist sehr gefährlich, weil es den Stoffwechsel, die genetische Aktivität, die Abwehrlage des Körpers, die psychische und geistige Leistungsfähigkeit verändert. „Und das ist der Einstieg in Pflegebedürftigkeit, Immobilität, akute Erkrankungen und Stürze. Hauptanzeichen für eine solche beginnende Gebrechlichkeit sind das Empfinden einer Gangunsicherheit und selbst gefühlte Erschöpfung“, sagt die Forscherin.

Um solche Veränderungen frühzeitig zu erkennen, wurde im Projekt Lucas ein Testverfahren entwickelt: ein Fragebogen, den ältere Menschen selbst ausfüllen können. „Denn wir haben zu viele ältere Menschen, als dass sie alle regelmäßig untersucht werden können. Die ärztlichen Ressourcen sind so knapp geworden, dass wir sie dafür brauchen, um die als gebrechlich oder riskant eingestuften Fälle abzuklären“, sagt die Forscherin. Die Idee von Anders und ihren Kollegen für die Zukunft: Städte oder Krankenkassen verschicken solche Fragebogen an ältere Personen und filtern damit diejenigen heraus, die auffällig sind. Diese werden dann zur Abklärung zum Hausarzt geschickt, der sie in komplizierteren Fällen an einen Facharzt überweist. Einen Selbsttest zur Sturzgefahr im Alter, der auch auf Ergebnissen von Lucas beruht, gibt es bereits: Die Broschüre „Sicher gehen – weiter sehen“ der Hamburger Gesundheitsbehörde mit Fragebogen, Tipps zur Prävention und nützlichen Adressen kann im Internet (www.hamburg.de) heruntergeladen werden.

Teil des Lucas-Projekts ist auch die Untersuchung von Menschen, die noch zu Hause leben, aber bereits gebrechlich sind und Fähigkeiten verloren haben. „Das ist die Phase kurz vor der Pflegebedürftigkeit. Bei diesen Menschen erfolgte die Abklärung der Gebrechlichkeit im Hausbesuch durch Altersmediziner, Pflegekräfte oder Sozialarbeiter. Danach wurde die medizinische Behandlung und die soziale Unterstützung geplant, in der Hoffnung, eine Pflegebedürftigkeit zu verzögern“, berichtet Anders.

Einen besonderen Stellenwert hatte in der Studie auch die Bewältigung von schweren Schicksalsschlägen. Viele Menschen in dieser Generation, die ehemaligen Kriegskinder, haben zwischen neun und zwölf kritische Lebensereignisse hinter sich, zum Beispiel Tieffliegerangriffe, Vergewaltigung, Obdachlosigkeit, Scheidung oder den Verlust eines Kindes. Trotzdem sind Menschen so anpassungsfähig, dass sie diese verarbeiten können. Aber im Alter können diese Probleme wieder aufbrechen. „Deswegen haben Psychologen aus Greifswald ein Verfahren getestet, das dem vorbeugt. So gibt es zum Beispiel psychologisch geleitete Schreibwerkstätten, in denen sich die Mitglieder in Form von Tagebuchaufzeichnungen mit dem Erlebten auseinandersetzen und darüber sprechen. So können sie diese Erinnerungen kontrolliert verarbeiten und das unkontrollierte Hervorbrechen im Krankheitsfall lässt sich verhindern“, erklärt Anders.

Zusammen mit ihren Kollegen will sie die Lucas-Studie weiterführen, an der jetzt noch 1600 Menschen teilnehmen. Und die Forscher sind immer wieder beeindruckt von dem Engagement, mit dem die Studienteilnehmer über Jahre hinweg bei der Sache sind.