Auf dem Weg zur Entscheidung für eine Partei nehmen viele Menschen Abkürzungen. Einige gehen eher rational vor; andere verlassen sich mehr auf ihr Bauchgefühl.

Bitte kreuzen Sie an: Welchem Statement würden Sie am ehesten zustimmen?

a) „Ich überlege. Mein Bauch entscheidet.“

b) „Unser Entscheiden reicht weiter als unser Erkennen.“

c) „In jedem Entscheidungs-Prozess gibt es dunkle, verschlungene Pfade.“

d) „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“

Fertig? Wir vermuten, dass Sie mindestens d) angekreuzt haben, ist diese Einschätzung von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) doch von, sagen wir mal, bestechender Logik. Aber auch wenn Sie den Aussagen a) (stammt von Max Grundig, Gründer des Elektronikkonzerns), b) (von Philosoph Immanuel Kant) oder c) (von Ex-US-Präsident John F. Kennedy) zugestimmt haben, dürften Sie nicht alleine stehen – zumindest, wenn es um Entscheidungen bei politischen Wahlen geht.

Diese sind nämlich eine vielseitige, komplexe Angelegenheit, wie Psychologen, Hirnforscher und Politikwissenschaftler herausgefunden haben. Demnach verhalten sich einige Wähler eher emotional, andere eher rational. Einige haben seit Jahrzehnten feste Überzeugungen, andere sind sprunghaft. Einige messen vor allem Aussagen großes Gewicht bei, andere lassen sich womöglich auch von Äußerlichkeiten leiten. Aber bei allen, auch den rationalen Typen, gilt wohl: Sie versuchen – zum Teil unbewusst – den Prozess der Entscheidung zu vereinfachen.

Prof. Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, analysiert seit mehreren Jahrzehnten die Psychologie der Entscheidung, auch mit Blick auf Wahlen. Ihm zufolge lassen sich zwei Strategien unterscheiden.

Zum einen gebe es Wähler, die auf dem Weg zur Entscheidung eine Abkürzung nähmen und versuchten, sich mit begrenztem Wissen eine Meinung zu bilden. Bei diesen sogenannten heuristischen Strategien seien mehrere Wählertypen zu unterscheiden. Eine Gruppe bildeten die Parteiwähler. Sie identifizierten sich mit einer Partei, seien ihr emotional verbunden und vielleicht sogar Mitglied. „Sie ignorieren gegenteilige Information und wählen immer diese eine Partei. Oder sie suchen nach einem guten Grund, sie zu wählen“, sagt Gigerenzer. Dies hänge mit einem Phänomen zusammen, das bereits in Studien in den 1950er-Jahren nachgewiesen worden sei: „Mitglieder einer Gruppe haben eine selektive Wahrnehmung; sie registrieren vor allem das, was zu ihrer Gruppe passt.“

In den 1950er-Jahren konnten Forscher dem Gehirn noch nicht bei der Arbeit zugucken, um Entscheidungsprozesse zu ergründen, heute lassen sich mit Methoden wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) zumindest Reaktionen auf bestimmte Reize aufzeichnen. Aufsehen unter Neurowissenschaftlern erregte 2004 eine Studie von Forschern um den Psychologen und Psychiater Drew Westen von der Emory University in Atlanta. Sein Team hatte 30 Probanden – die eine Hälfte Anhänger der Republikaner, die andere Anhänger der Demokraten – per Diashow mit widersprüchlichen Statements der Präsidentschaftskanditen George W. Bush und John Kerry konfrontiert.

Anschließend sollten die Versuchsteilnehmer über die Unstimmigkeit der Aussagen nachdenken, während die Forscher mit Hilfe eines fMRT-Scanners beobachten, was sich bei diesem Prozess im Kopf der Probanden tat. Ergebnis: Beim Nachgrübeln war ein Areal inaktiv, nämlich jener Hirnteil, der mit logischem Denken in Verbindung gebracht wird. Er hätte helfen können, die bisherige Wahrnehmung zu überdenken. Drew Westen folgert aufgrund dieser und weiterer Studien, dass das politische Gehirn vor allem ein emotionales Gehirn sei und der Intellekt kaum eine Chance habe, Entscheidungen zu beeinflussen. Und er rät Politikern deshalb, im Wahlkampf vor allem die Gefühle der Wähler anzusprechen.

Diese Deutung geht Gerd Gigerenzer zu weit. Erstens seien solche Experimente allein aufgrund der geringen Zahl der Probanden nur bedingt aussagekräftig. Zweitens habe sich bei Studien mit Hirnscannern bisher gezeigt, dass diese zwar hilfreich seien, um etwas über die Physiologie des Gehirns zu lernen. „Verhalten lässt sich damit bisher aber nicht erklären“, sagt Gigerenzer. „Emotionen spielen eine Rolle beim Wahlverhalten, dennoch kann derselbe Mensch einen immensen Intellekt zeigen, um ans Ziel zu kommen“, sagt der Psychologe. Deshalb hielten pauschale Behauptungen wie „Herz schlägt Hirn“ der Realität meist nicht stand.

Keineswegs rein emotional verhalte sich etwa eine weitere Gruppe, die sich ebenfalls nach Heuristiken richte: die Gruppe der Wechselwähler. Diese gingen zunächst durchaus sachlich vor und sammelten Informationen zu Parteien und Kandidaten, sagt Gigerenzer. Allerdings: „Da Wechselwähler in der Informationsfülle nicht alles gewichten und aufaddieren können, kürzen auch sie ab: Sie versuchen herauszufinden, welche Aspekte ihnen persönlich am wichtigsten sind und wer diese vertritt.“

Am schwersten hätten es jene Wähler, die sich nicht nach Heuristiken richteten, sondern systematisch vorgingen und sachlich entscheiden wollten. Dazu sammelten sie Informationen über die Kandidaten und ihre Parteien, verglichen verschiedene Haltungen und bewerten diese. „Das Problem dabei ist, dass längst nicht alles, was in Wahlprogrammen steht und im Wahlkampf versprochen wird, hinterher auch eintritt“, sagt Gigerenzer. „Insofern sind auch diese Wähler letztendlich ein Stück weit auf ihr Bauchgefühl angewiesen.“

Wie hoch der Anteil der systematisch vorgehenden Wähler ist und wie viele Menschen heuristischen Strategien folgen, dazu gebe es hierzulande keine repräsentativen Studien, sagt Gigerenzer. In den USA werde der Anteil der systematisch vorgehenden Wähler auf zehn Prozent geschätzt.

Ob heuristisch oder systematisch vorgehend – Wähler haben auch Vorlieben, die sich in ihrer politischen Einstellungen ausdrücken. So ergab etwa eine Studie des Psychologen Jacob Hirsh von der University of Toronto in Kanada 2010, dass Konservative besonderen Wert auf Ordnung und Respekt legen, Liberalen dagegen Gleichheit und Mitgefühl sehr wichtig sind.

Unklar ist allerdings, welche Faktoren solche Vorlieben beeinflussen können. Dass Umfeldeinflüsse die politische Einstellung prägen können, ist unstrittig. Was aber ist mit der genetischen Veranlagung? Der Neurologe Ryota Kanai vom University College London fand 2011 in einer Untersuchung mit 90 Studenten heraus, dass sich die Gehirne von konservativen und liberalen Probanden sowohl funktionell – also in ihrer Reaktion auf bestimmte Reize – als auch strukturell unterschieden: So hatten die konservativen Probanden etwa eine größere rechte Amygdala. In dieser Hirnregion werden unter anderem Furcht und Ärger verarbeitet. Könnte der Hang zu einer politischen Einstellung demnach angeboren sein?

„Man kann einzelnen Hirnregionen nicht einfach komplexe höhere Funktionen wie eine bestimmte politische Denke zuordnen; die Amygdala ist nicht der ‚konservative Kern’“, sagte Kanai dem Onlineportal „dasgehirn.info“. Hinzu kommt: Wie schon bei der Arbeit von Drew Westen ist auch die Teilnehmerzahl von Kanais Studie viel zu klein, als dass sich die Ergebnisse verallgemeinern ließen. In Deutschland fanden vergleichbare Untersuchungen bisher nicht statt.

Hierzulande galt lange die Herkunft als wichtiger Faktor für politische Überzeugungen. Die Bindung an ein Milieu bestimmte meist auch das Wahlverhalten: Menschen mit bürgerlichem Hintergrund beispielsweise wählten eher konservativ; wer im Arbeitermilieu zu Hause war, gab seine Stimme der SPD. Heute sei das Wahlverhalten komplexer, sagt Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mainz. Zwar gebe es immer noch Bindungen der deutschen Wähler an Parteien, und zwar in durchaus beachtlicher Zahl. „Allerdings verwandeln sich diese Bindungen nicht mehr selbstverständlich in Wählerstimmen. Das braucht heute mehr Aktivierung“, sagt Faas. „Dabei gibt es kein entweder/oder bezogen auf Personen und Programm; die Kombination macht's: Person, Programm, Partei.“ Ein alleiniger Trend hin zur Personalisierung des Wahlverhaltens sei nicht erkennbar.

Apropos Personalisierung: Nach US-Studien folgen einige Wähler der heuristischen Strategie, ihre Entscheidung auch von der Attraktivität der Kandidaten abhängig zu machen. Mit dem Einfluss dieses Faktors beschäftigt sich der Prognoseforscher Andreas Graefe von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihm zufolge wirkt das Gesicht von Politikern - Frauen wie Männern - umso attraktiver, je durchschnittlicher es ist. Frauen wirkten weniger vertrauenswürdig, wenn sie Übergewicht hätten, bei Männern gebe es den gegenteiligen Effekt. Eine Brille lasse sowohl Frauen als auch Männer kompetenter erscheinen, allerdings weniger attraktiv. Es gebe Hinweise, dass all das auch bei Wahlen in Deutschland eine Rolle spiele – in welchem Maße, sei allerdings unklar.

Heißt das, dass die Wähler sich womöglich von Äußerlichkeiten blenden lassen? „Jein“, sagt Graefe: „Bisher sieht es danach aus, dass der Effekt der Attraktivität umso kleiner ist, je wichtiger das Amt ist.“

Demnach dürfte es beispielsweise für SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück keinen Unterschied machen, wenn er bei öffentlichen Auftritten auf seine Brille verzichtete. Auf lokaler Ebene könnten solche Details aber durchaus den Entscheidungsprozess beeinflussen, vermutet Andreas Graefe. „Unsere Forschung könnte helfen, dies den Wähler künftig bewusst zu machen.“