Um Naturwissenschaften und Technik in der Primarstufe zu fördern, hat die Universität Hamburg das Projekt „TuWaS!“ gestartet

Hamburg. Es ist erst kurz nach Neun, die zweite Unterrichtsstunde hat gerade begonnen, da freut sich Julian schon über ein Erfolgserlebnis. „Jaaaa, es klappt“, ruft der 9-Jährige und blickt triumphierend auf die daumengroße Glühbirne, die vor ihm aufleuchtet. In seinen Händen hält er zwei Kabel: Das eine führt zu dem Lämpchen, das andere ist an eine Batterie angeschlossen. Ein dritter Draht verläuft zwischen Batterie und Glühbirne, so dass ein Kreislauf entsteht, der sich schließt, wenn der Schüler die Enden der beiden Drähte in seinen Händen zusammenführt: Dann fließt ein Strom. Es werde Licht. „Cool“, sagt Julian.

Dass bereits Drittklässler wie er im Unterricht naturwissenschaftliche Experimente durchführen, ist nicht ungewöhnlich, doch der Unterricht an der Grundschule Vizelinstraße in Lokstedt geht weit darüber hinaus: In aufeinander aufbauenden Einheiten sollen die Schüler sich das Thema Strom wie Wissenschaftler erschließen, im Team, strukturiert und systematisch – und so ein dauerhaftes Interesse an Naturwissenschaften entwickeln. Dieses sogenannte forschende Lernen war in Hamburg bisher nur an weiterführenden Schulen vorgesehen, unterstützt etwa von der Initiative NaT, die den Unterricht in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) praxisbezogener machen will.

Nun soll unter Anleitung der Universität Hamburg erprobt werden, ob es sich auch schon in der Primarstufe lohnt, einige dieser Fächer stärker zu fördern. Dazu startete Anfang diesen Jahres das Pilotprojekt „TuWaS!“ (Technik und Wissenschaft an Schulen), an dem neben der Grundschule Vizelinstraße sieben weitere Hamburger Grundschulen teilnehmen. In der ersten Jahreshälfte erhielten Lehrer, die sich für das Projekt gemeldet hatten, mehrere Fortbildungen am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, das auch einen Teil der Fortbildung bezahlt. Der größte Teil der finanziellen Unterstützung kommt allerdings von der Nordmetall-Stiftung, die 13.500 Euro bereitstellt. Mit diesem Geld wurden auch die „TuWaS!"-Kisten bezahlt, die didaktisches Material und Arbeitshefte für die Klassen enthalten. Die Hamburger Schulbehörde gab noch einmal 6000 Euro für Material dazu. Seit September finden nun die ersten neuen Unterrichtseinheiten statt.

Das Konzept hatten Wissenschaftler der Freien Universität Berlin entwickelt. In der Hauptstadt wurde es erstmals 2006 an vier Grundschulen getestet; inzwischen hat es sich dort an mehr als 100 Schulen etabliert. Allerdings seien die Auswirkungen des Projekts in Berlin wissenschaftlich bisher nicht systematisch untersucht worden, sagt die Leiterin der Hamburger Initiative, Prof. Kerstin Michalik. Eben dies strebe sie nun in Hamburg an. Dazu will die Erziehungswissenschaftlerin mit ihrem Team regelmäßig die teilnehmenden Schulen besuchen und Lehrer und Schüler befragen.

„Das Ziel ist nicht, bereits in der Primarstufe künftige Karrieren in der Forschung und der Industrie anzubahnen, sagt Michalik, „auch wenn die Industrie das sicher gerne sähe“. Es wäre zwar zu begrüßen, wenn einige der besonders geförderten Grundschüler später als Naturwissenschaftler arbeiteten, „insbesondere, wenn es so gelänge, mehr Mädchen für diese Fächer zu begeistern“. Vor allem, so die Forscherin, gehe es bei „TuWaS!“ aber darum, „dass die Schüler die Arbeitsweise von Wissenschaftlern verstehen, dass sie eigene Fragen stellen, Vermutungen anstellen, ausprobieren, Neues entdecken, aber auch Irrtümer einsehen“.

Die Wissenschaft fördere viele wichtige Erkenntnisse zu Tage, sei aber auch mit Fehlern behaftet, sagt Kerstin Michalik. „Ich wünsche mir, dass die Schüler lernen, nachzufragen: Ist das wirklich so? Und dass sie sich später als Erwachsene in Diskussionen einbringen, wenn es um die Auswirkungen von Wissenschaft geht.“ Bei den Befragungen der Schüler wolle sie herausfinden, wie sich das forschende Lernen auf das Selbstbild auswirke. Im Idealfall zeige sich, dass die Schüler selbstbewusster würden und sich eher zutrauten, Probleme zu lösen.

Nach Lösungen sucht auch die dritten Klasse der Grundschule Vizelinstraße. Wie ein Stromkreislauf aussieht, ist den Schülern jetzt klar. Nur: Der Kreis allein lässt elektrischen Strom noch nicht fließen, erläutert Lehrerin Heike Spindeldreier. Es komme auf das Material an. „Was leitet und was leitet nicht?“, fragt sie, gibt den Satz in ihren Computer ein und lässt ihn auf einem Bildschirm anzeigen.

Die Schüler sitzen in 2er- und 3er-Gruppen zusammen, jedes Team darf sich nun ein handgroßes Päckchen nehmen und den Inhalt vor sich ausbreiten. Dazu gehören unter anderem Nägel, Schrauben, Pfeifenreiniger, Kreidestücke, Strohalme, Murmeln und kleine Stückchen Fliegengitter. Eigentlich geht es zunächst darum, alle Gegenstände zu benennen, doch Justin, Muskan und Ilknur, alle neun Jahre alt, sind schon einen Schritt weiter. Sie haben zwei Häufchen gebildet: Links vor ihnen liegen jene Teile, die aus Metall bestehen, rechts liegt der Rest. „Wir vermuten, dass die Teile aus Metall leiten und die anderen nicht“, sagt Justin. Womit die Gruppe natürlich richtig liegt. „Toll!“, lobt Heike Spindeldreier, „notiert euch das am besten gleich“.

Derweil testen die anderen Teams noch, was passiert, wenn sie probieren, den Stromkreis mit einem Nagel, einem Strohalm oder mit einer Murmel zu schließen. „Aaah“, „komisch...“, „Guck mal!“ Mal passiert gar nichts – mal geht das Lämpchen an. Versuch und Irrtum. Vermutung und Beweis. Wie in der Wissenschaft.