In Wien wurde der erste Dickhäuternachwuchs geboren, der mit tiefgefrorenem Sperma gezeugt wurde

Wien/Berlin. Tonga ist zum zweiten Mal Mutter geworden. Die 28-jährige Elefantenkuh im Tiergarten Schönbrunn in Wien hat vergangene Woche ihre zweite Tochter zu Welt gebracht. Diese ist etwas ganz Besonderes: Sie ist das weltweit erste Elefantenkalb, das bei einer Befruchtung mit tiefgefrorenem Sperma entstand. Den Vater ihres Nachwuchses, einen frei lebenden Bullen aus dem Phinda-Reservat in Südafrika, hat Tonga nie gesehen. Eine Fernbeziehung also – und zwar eine, die nicht leicht zu arrangieren war. Denn von einem Elefantenbullen Sperma zu gewinnen, dieses unbeschadet einzufrieren und schließlich ein Weibchen damit zu befruchten, ist eine echte Herausforderung. Die dazu nötigen Methoden hat ein Team vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) entwickelt. Mit dem tiefgekühlten Samen wollen die Forscher nicht nur für mehr Abwechslung im Erbgut von Zoo-Elefanten sorgen. Auch der Artenschutz soll profitieren.

Wenn Tiere in kleinen, isolierten Beständen leben, bekommen sie oft ein Problem mit der Genetik. Da sie sich mangels Alternativen immer wieder mit ihren Verwandten paaren, wird das Erbgut der einzelnen Individuen mit der Zeit immer ähnlicher. Damit aber verliert die Population einen guten Teil ihrer Anpassungsfähigkeit. Wenn sich die Umwelt verändert, wäre vielleicht ein Spezialist gefragt, der besonders gut mit hohen Temperaturen oder langer Trockenheit zurechtkommt. Doch die Chance, dass ausgerechnet diese Variante im stark geschrumpften Genpool überlebt hat, ist gering. Zudem bringt Inzucht oft auch noch Erbkrankheiten und andere Gesundheitsprobleme mit sich. Ein abwechslungsreiches Erbgut ist deshalb sowohl aus gesundheitlichen als auch aus ökologischen Gründen gefragt.

Bei Zoo-Elefanten ist es allerdings nicht weit her mit der genetischen Vielfalt. „Das liegt unter anderem daran, dass Elefantenbullen nicht leicht im Umgang sind“, erklärt IZW-Mitarbeiter Robert Hermes. Deshalb beschränken sich viele Zoos auf die Haltung von Weibchen. Unter den gut 200 Afrikanischen Elefanten, die in Europas Tiergärten leben, kommt auf vier Kühe nur ein Bulle. Die Zahl der möglichen Väter, die ihre Erbeigenschaften beisteuern könnten, ist also begrenzt. Zumal es sich keineswegs durch die Bank um graue Casanovas handelt: „Viele Männchen nehmen gar nicht aktiv am Zuchtgeschehen teil“, sagt Hermes. Manche haben zum Beispiel einfach keine Lust auf sexuelle Aktivitäten.

Dieses Hindernis können die IZW-Forscher allerdings schon seit rund 15 Jahren umgehen. Denn ein Team um Thomas Hildebrandt und Frank Göritz hat Instrumente und Verfahren für die künstliche Befruchtung von Elefanten entwickelt. Sperma wird dem zukünftigen Vater entnommen und mittels eines speziellen Besamungsbestecks in das Weibchen eingeführt. Für die IZW-Tierärzte ist das fast schon Routine.

Nur braucht man für so ein Unterfangen eben auch das richtige Sperma. Die darin enthaltenen Erbinformationen sollten sich möglichst stark von denen der Mutter unterscheiden. Und befruchtungsfähig muss es natürlich auch sein. Genau daran aber hapert es oft. Denn viele Zoo-Elefanten haben bei ihrem Sperma ein Qualitätsproblem: Die Samenzellen sind missgebildet oder bewegen sich nicht genug. „Wir sind deshalb ständig auf der Suche nach guten Samenspendern“, sagt Robert Hermes.

Die aber finden sich vor allem in freier Wildbahn. Um aber das im Busch gewonnene Sperma an seinen Bestimmungsort in einem europäischen Zoo transportieren zu können, muss man es einfrieren und dadurch haltbar machen. Bei menschlichen Spermien wäre das kein Problem. Die kann man einfach in flüssigem Stickstoff auf Temperaturen von minus 196 Grad Celsius herunterkühlen und bei Bedarf wieder auftauen. Die Samenzellen von Elefanten und vielen anderen Säugetieren aber reagieren deutlich empfindlicher. „Die zarten Membranen, die sie umhüllen, werden leicht von Eiskristallen verletzt“, erklärt Robert Hermes. Und das ist dann das Ende des erhofften Dickhäuter-Nachwuchses.

Die kleinen Elefanten, die bisher durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden, verdanken ihr Leben daher frischem oder nur leicht gekühltem Sperma. Nur in zwei Fällen hatte eingefrorenes und dann wieder aufgetautes Material zu einer Befruchtung geführt, beide Schwangerschaften endeten allerdings vorzeitig. Doch die Idee der Gefrierkonservierung erschien Thomas Hildebrandt und seinen Kollegen vielversprechend genug, um in Südafrika einen neuen Versuch zu unternehmen.

Dort sollten ohnehin etliche Bullen aus dem Phinda-Reservat in andere Schutzgebiete umgesiedelt werden. Dazu mussten Spezialisten die Tiere betäuben. Das bot für das IZW-Team die perfekte Gelegenheit zur Sperma-Entnahme. Denn freiwillig ist kein Elefant zur Samenspende bereit. „Ohne Vollnarkose läuft da nichts“, erklärt Chef-Anästhesist Frank Göritz. Es gilt schließlich, dem Tier mit einer Elektrosonde die Prostata zu stimulieren. Nach einer halben Stunde können die Forscher dann zehn bis 200 Milliliter Samenflüssigkeit auffangen.

Insgesamt 14 graue Samenspender haben Robert Hermes, Thomas Hildebrandt und Frank Göritz im Phinda-Reservat rekrutiert. Um die Qualität der Proben zu prüfen, haben die IZW-Tierärzte in ihrem Busch-Camp ein Sperma-Labor aufgebaut. Dort ließen sich die Zellen unter dem Mikroskop auf Beweglichkeit und intaktes Äußeres untersuchen. Proben, die diesen Test bestanden hatten, haben die Forscher dann weiter behandelt. „Für das Einfrieren ist es nicht gut, die Spermien in der Samenflüssigkeit zu lassen“, erklärt Robert Hermes. Also wird dieses sogenannte Seminalplasma entfernt und durch ein Nährmedium ersetzt. Das Rezept dafür müssen die Forscher für jede Tierart neu zusammenstellen. Und auch bei der Auswahl und Dosierung des sogenannten Kryoprotektivums, das wie eine Art Frostschutzmittel die Zellen vor Schäden schützen soll, ist einige Tüftelei gefragt. „Zum Glück konnten wir in Südafrika genügend Proben gewinnen, um das alles auszuprobieren“, sagt Hermes. Als „Frostschutzmittel“ hat sich dabei eine siebenprozentige Glycerol-Lösung bewährt, als Nährmedium eine Mixtur aus Eigelb und verschiedenen Pufferlösungen.

Der ganze Cocktail muss dann nur noch schrittweise heruntergekühlt und schließlich in flüssigem Stickstoff eingefroren werden. „Eines der Erfolgsgeheimnisse ist dabei ein besonders schonendes Einfrierverfahren“, sagt Hermes. In einem Spezialgerät können die Forscher relativ große Proben von bis zu acht Millilitern tiefkühlen – und zwar so, dass sich das Eis zunächst nur an einem Ende des Probegefäßes bildet. Von dort wächst es dann wie ein Eiszapfen nach und nach weiter vor. Das hat den Vorteil, dass die Eiskristalle nicht kreuz und quer, sondern kompakt auftreten. Dadurch sinkt die Verletzungsgefahr für die Samenzellen.

Mit dem Ergebnis der ganzen Prozedur sind die Forscher äußerst zufrieden. Denn viele der eingefrorenen Spermien ließen sich wieder aus ihrem Kälteschlaf wecken. „Mehr als die Hälfte der Zellen waren nach dem Auftauen wieder beweglich und damit befruchtungsfähig“, erklärt Robert Hermes. „Das ist ein sehr guter Wert“. Den endgültigen Praxistest haben die Tiefkühlspermien aus der Wildnis dann bei der Befruchtung in Wien bestanden.

Die Forscher hoffen, dass ihr Verfahren auch zum Überleben von Nashörnern und anderen stark bedrohten Arten beitragen kann. „Die Tiere und ihre Lebensräume vor Ort zu schützen, ist natürlich extrem wichtig“, betont der IZW-Experte. Doch nicht immer gelingt es, die Wilderei und andere Probleme rechtzeitig in den Griff zu bekommen. Da können eingefrorene Spermien und Eizellen eine letzte Versicherung gegen das Aussterben sein.