Hinter dieser Kombination verbirgt sich ein seltenes Leiden, die sogenannte Pregorexie. Magersucht tritt in unserer Gesellschaft bei Mädchen und jungen Frauen etwa bei einem Prozent auf.

Hamburg. „Eine Schwangerschaft ist für die meisten Frauen eine Zeit, in der sie die Wunder der werdenden Mutterschaft umarmen“, schrieb die Amerikanerin Maggie Baumann vor einigen Jahren im Internet. Dazu gehöre der Genuss, für zwei essen zu können. „Für mich war die Schwangerschaft jedoch ein neunmonatiger Kampf […].“ Sie war entsetzt über ihr sich „ausdehnendes Selbst“, das sich gegen jedes Gramm an Gewichtszunahme sträubte. „Ich erlebte nicht die Freiheit, für zwei essen zu dürfen, sondern eher die Einschränkung, für zwei hungern zu müssen.“

Die heutige Therapeutin litt während ihrer Schwangerschaft an Magersucht. In den USA hat sich für dieses Phänomen der Begriff „Pregorexie“ gebildet, aus den Begriffen „pregnant“ für schwanger und „anorexia“ für Anorexie. In Frauenzeitschriften tauchen nun häufiger Geschichten darüber auf, teils ist die Rede von einem gefährlichen Trend. Doch was steckt dahinter?

Magersucht tritt in unserer Gesellschaft bei Mädchen und jungen Frauen etwa bei einem Prozent auf, Ess-Brech-Sucht (Bulimie) bei zwei bis drei Prozent. Der Begriff „Pregorexie“ ist noch nicht in der Essstörungstherapie angekommen, sagen Experten wie Wally Wünsch-Leiteritz, Leitende Oberärztin des Essstörungsbereiches an der Klinik Lüneburger Heide in Bad Bevensen. Eine Schwangerschaft komme bei einer anorektischen Patientin nur sehr selten vor, „da Magersüchtige aufgrund ihres Hungerzustandes mit dem niedrigen Gewicht typischerweise nicht schwanger werden. „Wir haben also eher das Problem, dass die Frauen bei langjährig andauernder Anorexie unfruchtbar werden.“

Die Diagnose einer Magersucht, bei der Frauen ein verändertes Körperbild verinnerlichen, ist in Leitlinien klar definiert. „Wir orientieren uns bei der Magersucht-Diagnose und deren Abgrenzung auf vier zentrale Kriterien“, sagt Wünsch-Leiteritz. Als sicheres Zeichen gelte ein BMI kleiner als 17,5 (BMI = Gewicht durch Quadrat der Körpergröße), aber nicht alle Magersüchtigen wögen so wenig. „Die Voraussetzung ist auch, dass der Gewichtsverlust selbst herbeigeführt wurde. Es besteht eine überwertige Angst vor Gewichtszunahme und darüber hinaus das Ausbleiben der Regelblutung und ein Libidoverlust.“

In der Mehrzahl haben die magersüchtigen Schwangeren vorher Erfahrungen mit dieser ernsten Erkrankung gemacht. „Sie tritt selten neu in der Schwangerschaft auf“, sagt Gert Tuinmann, Internist auf der Essstörungsstation der Schön Klinik Hamburg Eilbek. „In einer schwedischen Studie wurden 24 ehemals anorektische Patientinnen untersucht, bei acht von ihnen kam die Magersucht in der Schwangerschaft zurück.“ Eine kleine Studie. „Aber es deutet doch vieles darauf hin, dass sich Frauen mit einer Essstörung in der Vorgeschichte engmaschig betreuen lassen und frühzeitig an Psychotherapeuten herantreten sollten, um über die Wahrnehmung des Körperschemas zu sprechen und sogenannte Essverträge zu schließen.“ Darin werde beispielsweise vereinbart, wie viel Gramm pro Woche die Frau möglichst zunehmen sollte.

Patientinnen auch in Hamburg

Auch in der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll werden Patientinnen mit Magersucht in der Schwangerschaft behandelt, etwa zwei oder drei pro Jahr. Die Magersucht werde von den Frauen durchaus „ambivalent erlebt“, sagt Diplom-Psychologin Silka Hagena. „Die Sorge um das Neugeborene kann ein eigener Antrieb sein, zunehmen zu wollen.“ Andererseits seien die Gefühlsmerkmale auch während der Schwangerschaft ähnlich zu denen von nicht schwangeren Magersüchtigen. „Da ist die ständige Angst vor Gewichtszunahme, Kontrollverlust, dass der Körper aus dem Leim geht und man fremdbestimmt ist.“

So beschreibt es auch Maggie Baumann. Während ihrer zweiten Schwangerschaft trainierte sie extrem und zählte jede Kalorie. Sie hielt dies alles geheim vor ihrem Partner und den Ärzten. „Es hört sich so unbeschreiblich grausam für eine werdende Mutter an, sich so wenig um die Gesundheit des wachsenden Babys in ihrem Bauch zu kümmern. Ich realisiere, dass nicht Logik mich zu meinen ungesunden Aktionen trieb, sondern Angst.“

Die Station in Ochsenzoll steht in regelmäßigem Kontakt mit den Gynäkologen in der Asklepios Klinik Nord – Heidberg, wenn sie eine magersüchtige Schwangere behandeln. „Bei Patientinnen mit manifesten Essstörungen achten wir sehr stark darauf, ob das Kind Schaden nimmt. Das heißt, wir kontrollieren engmaschiger als üblich mit Ultraschalluntersuchungen, ob sich das Kind richtig entwickelt“, sagt Kornelia Gbur, Sektionsleiterin Geburtshilfe. „Es kann sein, dass erst um die 25. Schwangerschaftswoche herum auffällt, dass die Frau nicht entsprechend zunimmt. Während der ganzen Schwangerschaft sollten es etwa zehn bis 15 Kilo sein. Ist ein Kind dann deutlich zu klein, dann wird es das Gewicht während der Zeit im Bauch der Mutter nicht mehr aufholen und vermutlich mit einem niedrigen Geburtsgewicht auf die Welt kommen.“

Doch was passiert tatsächlich mit den ungeborenen Kindern durch die Essstörung? Dazu sind die Daten nicht ganz eindeutig.

„Die eine Lehrmeinung und Studienlage sagt, dass die Kinder sich schon holen, was sie brauchen. Das heißt, die Schwangerschaft geht auf Kosten der Mutter, die dann beispielsweise eher an Osteoporose leidet, Entgleisungen des Elektrolythaushalts oder Herzprobleme bekommt“, sagt Hagena. Die andere Datenlage besage, dass die Kinder sich langsamer entwickeln und kleiner bleiben als bei anderen Müttern. „Das hängt wohl auch vom Stadium der Schwangerschaft ab.“ Tuinmann ergänzt: „Eine aktuelle Untersuchung aus Schweden zeigte, dass die Kinder sehr wohl beeinträchtigt sind, mit kleinerem Kopfumfang und verzögerter Entwicklung, und Daten aus Neuseeland sprechen von einer erhöhten Rate an Kaiserschnitten und Depressionen nach der Schwangerschaft.“

Auch über vermehrte Frühgeburten werde berichtet. Laut Frauenärztin Gbur kommt es teils vor, „dass magersüchtige Frauen nicht gut in die Milchbildung kommen und die womöglich niedrig-gewichtigen Kinder nicht genug Kraft haben zu saugen“. Beim Stillen sei dann gegebenenfalls Hilfestellung notwendig.

Einen Trend zu einer „echten“ Magersucht in der Schwangerschaft verneinen die Experten eher. „Trotzdem müssen wir genau hinschauen, denn ein verstärkter Trend zum Kalorienzählen und einem extrem schlanken, trainierten Körper ist bei bestimmten Frauen schon da“, sagt Tuinmann. Die Grenze zu einer gravierenden Essstörung sei manchmal nicht klar zu ziehen und die Dunkelziffer womöglich höher.

Prof. Frank Louwen, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, zitiert eine britische Studie. Darin füllten 739 Schwangere bei ihrer ersten Ultraschalluntersuchung einen Fragebogen zu Essstörungen aus. Demnach hatten 7,5 Prozent der Frauen Auffälligkeiten während der Schwangerschaft, und im Rückblick betrachtet 9,2 Prozent davor. „Dazu zählen aber nicht nur Anorexie und Bulimie, sondern auch extreme Heißhungerattacken oder Störungen, bei denen Frauen Abführmittel nehmen, um ihr Gewicht zu halten“, sagt Louwen. An Anorexie litten während der Schwangerschaft laut Studie 0,5 Prozent der Frauen, an Bulimie 0,1 Prozent. Am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt sammelt Louwens Team derzeit selbst Daten solcher Art.