Forscher haben in einer Datenbank 18.000 rund um den Globus kartiert. Die neuen Erkenntnisse sollen bei der weiteren Erforschung der biologischen Vielfalt auf Inseln eine wichtige Rolle spielen.

Göttingen. Wer träumt nicht vom Leben auf einer Insel, von Sand und Fels, Schatten spendenden Palmen, exotischen Vögeln und vielleicht ein paar Schildkröten. Von einem Refugium, weit weg vom Festland, von Lärm, Verkehr, Großstädten und den dunklen Seiten der Zivilisation. Auch Forscher der Universität Göttingen interessieren sich für die Mikrokosmen – und haben nun im Journal „PNAS“ die erste umfassende Datenbank über Klima, geografische Beschaffenheit und Tier- und Pflanzenwelt von mehr als 18.000 maritimen Inseln erstellt.

„Inseln sind etwas sehr Grundlegendes für unseren Planeten“, erklärt Holger Kreft, Professor für Biodiversität, Makroökologie und Biogeografie an der Universität Göttingen, der mit seinem Kollegen Patrick Weigelt und mit Walter Jetz von der Yale University die Inseldatenbank erstellt hat. „Inseln machen zwar nur fünf Prozent der Landfläche der Erde aus, aber immerhin leben rund 500 Millionen Menschen auf ihnen. Das zeigt, wie wichtig Inseln für uns Menschen sind.“ Nicht nur relativ viele Menschen, sondern auch 20 bis 25 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten leben auf diesen fünf Prozent Landmasse.

Die Forscher haben alle Inseln, die größer als einen Quadratkilometer und kleiner als Grönland sind, in ihre Datenbank aufgenommen. „Wie viele Inseln es insgesamt gibt, weiß niemand“, sagte Kreft. „Wenn man auch kleine Felsen dazurechnet, können es Millionen sein.“ Da nicht nur die Umrisse, Berge und Täler verzeichnet, sondern auch Niederschlags- und Temperaturdaten und die vorherrschenden Ökosysteme aufgenommen wurden, nützt diese Datenbank nicht nur Ökologen.

Generell entstehen Inseln entweder durch Ausbrüche von unterseeischen Vulkanen oder dadurch, dass der Meeresspiegel ansteigt und Landflächen so überflutet, dass nur noch Bergrücken ohne Verbindung zum Festland aus dem Wasser emporragen. „Sumatra und Borneo etwa sind solche kontinentalen Inseln“, erklärt Kreft. „Sie sind vor etwa 20.000 Jahren entstanden, als mit dem Ende der letzten Eiszeit der Meeresspiegel anstieg.“ Damals versank die Landbrücke von Indien nach Indonesien.

Galapagos oder Hawaii hingegen sind typische vulkanische Inseln. Unterseeische Vulkane fördern Lava aus dem Erdinneren und wachsen im Meer mehr oder weniger schnell, bis sie die Wasserfläche durchbrechen. Derzeit findet die Geburt einer Insel wahrscheinlich bei den Kanaren statt: Zwei Kilometer südlich der Insel El Hierro drängt sich seit 2011 der etwa 1000 Grad Celsius heiße Gesteinsbrei durch die Erdkruste in Richtung Wasseroberfläche. Die Kanaren werden über kurz oder lang aus acht Inseln bestehen.

Die Geburt einer Insel ist vor allem für Geologen interessant. Ökologen finden sich ein, sobald erste Lebewesen das neue Fleckchen Erde besiedeln. So wie vor der Südküste Islands: Hier brach 1963 ein Vulkan aus, dessen Kegel sich schließlich als Insel Surtsey über die Wasseroberfläche erhob. Ein Jahr später, der Vulkan war noch nicht zur Ruhe gekommen, wurde Surtsey bereits zum Naturschutzgebiet erklärt. Seither darf das Eiland nur mit einer Sondergenehmigung betreten werden – so können Ökologen genau verfolgen, wie sich langsam Leben auf dem vulkanischen Boden ausbreitet. Die Forscher beobachteten, wie die ersten Moose und Flechten wuchsen, wann Vögel und Insekten sich ansiedelten. Nach und nach nimmt die Vielfalt der Lebensformen zu. Mittlerweile leben mehr als 30 Pflanzenarten, acht Vogelarten und mehr als 300 verschiedene Arten von Insekten auf der 50 Jahre alten Insel.

„Inseln sind Mikrokosmen, in denen man die Evolution beobachten kann“, sagt Holger Kreft. „Unsere Daten erlauben einen ganz neuen Blick auf die Tausende von Inseln auf unserem Planeten.“ Vor allem eine globale Betrachtungsweise lässt der neue Atlas der Inseln zu. So befinden sich 65 Prozent aller verzeichneten Inseln in den tropischen Breiten. Betrachtet man aber das Klima, so sei es auf den meisten Inseln eher kühl und feucht. „Wir haben auch herausgefunden, dass es überraschend viele Inseln mit gemäßigtem Regenwaldklima gibt, einem der seltensten Ökosysteme der Erde.“ Ausgerechnet dort, wo es dieses Klima gibt, gibt es auch sehr viele Inseln.

Im Vergleich zum Festland, sagt Kreft, sei die Biodiversität, also die Vielfalt verschiedener Lebensformen, auf Inseln sehr hoch. Einerseits seien Inseln Refugien für Arten, die bereits auf dem Festland ausgestorben sind, andererseits können völlig neue, nur auf diesen Inseln heimische Arten entstehen. „Etwa 40 Prozent aller Wirbeltiere, die auf den Roten Listen geführt werden, leben auf Inseln“, so Holger Kreft.

Viele Ökosysteme auf Inseln aber seien durch die Klimaveränderungen und durch eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten besonders bedroht, warnen die Forscher. Ein eindrückliches Beispiel einer solchen, durch fremde Arten ausgelösten Ökokatastrophe ist beispielsweise die Insel Guam im Westpazifik. Während des Zweiten Weltkrieges waren hier amerikanische Streitkräfte stationiert. Durch Truppen- und Militärtransporte wurde aus Versehen die Braune Nachtbaumnatter eingeschleppt. Da es zuvor keine räuberischen Schlangen auf der Insel gab, war die heimische Vogelwelt nicht auf die Nachtbaumnatter vorbereitet. Die Vögel kannten keine räuberischen Reptilien, die Eier und Küken aus den Nestern stahlen. Innerhalb weniger Jahrzehnte starben fast alle Vogelarten auf Guam aus. „Auf Hawaii ist es ähnlich“, sagt Kreft. „Hier ist mittlerweile die Biomasse der eingeschleppten Arten viel höher als die der einheimischen.“

Die neuen Erkenntnisse sollen bei der weiteren Erforschung der biologischen Vielfalt auf Inseln eine wichtige Rolle spielen. „Inseln sind Modellsysteme, auf denen wir die Evolution von biologischer Vielfalt sowie ökologische Prozesse untersuchen und besser verstehen können“, sagt er. „Zum ersten Mal haben wir einen standardisierten globalen Datensatz, der als Grundlage für die weltweite Erforschung von Inseln und ihren Lebensgemeinschaften dienen kann.“ Er soll helfen, Inseln künftig besser zu schützen – damit unser Traum von einem idyllischen Inselurlaub auch Realität werden kann.