Viele Arten lassen es ruhig angehen und bewegen sich meist nur gemächlich. Das hilft ihnen dabei, sich vor Feinden zu tarnen oder Energie zu sparen.

Hamburg. Dass „Survival of the fittest“ nicht unbedingt heißt, dass die Schnellsten überleben, sondern vielmehr die bestangepassten Individuen, das wissen Faultiere schon seit 35 Millionen Jahren. Einst auf dem Boden lebende Exemplare starben zwar vor etwa 10.000 Jahren aus, doch die baumbevölkernden Arten existieren bis heute. Sie sind einfach an ihren Ästen hängen geblieben, ohne viel Aufhebens zu machen. Sie haben die Langsamkeit zum Programm gemacht.

Damit stehen die trägen Säuger mit dem struppigen, braun-blonden Fell nicht allein: Vielen anderen Arten ist das hektische „Höher, schneller, weiter“ in ihrer Umgebung ebenfalls ziemlich schnuppe; sie kommen auch mit Gemächlichkeit gut zurecht, an Land wie im Wasser. Doch selbst wenn sie es wollten, könnten sie sich gar nicht flott bewegen, weil ihnen entweder ihr Körper oder die Umgebung Grenzen setzen. Ihr Verhalten wirkt oft unbeholfen, macht aber immer Sinn – und erfüllt verschiedene Funktionen.

Ein bedeutender Faktor für die Anpassung von Tieren an ihre Umgebung ist das Nahrungsangebot. Ist dieses unergiebig, bieten sich zwei Strategien an, wie Thomas Kaiser erläutert, Biologieprofessor und Säugetier-Experte vom Zoologischen Museum der Universität Hamburg: „Ein Tier kann entweder alles fressen, was es vorfindet. Dann darf es aber nicht wählerisch sein. Oder es frisst nur bestimmte Dinge, muss dann aber damit zurechtkommen, dass diese Nahrung unter Umständen nur wenig Energie liefert.“

Für Faultiere gilt Letzteres. Sie verbringen die meiste Zeit in den Baumkronen von Regenwäldern in Mittel- und Südamerika. Das hat den Vorteil, dass sie sich kaum anstrengen müssen, um Nahrung zu finden, weil ihre Hauptspeise – Blätter – immer ausreichend vorhanden ist. Diese Kost ist allerdings insbesondere im Vergleich mit tierischer Nahrung relativ energiearm, sodass sich Faultiere ziemlich viele Blätter genehmigen müssten, wenn sie sich viel bewegten. Deshalb ziehen sie eine Alternative vor: Sie ruhen morgens, mittags, nachmittags und fast die ganze Nacht über, schlafen also insgesamt zehn bis 16 Stunden pro Tag. Nur in der Dämmerung werden sie aktiv.

Ihre Klauen fungieren dabei wie Haken, an denen die Tiere mit erheblich weniger Kraftaufwand baumeln können, als ein Mensch aufbringen müsste, um sich an einem Ast festzuhalten. Angesichts dieser Umstände verwundert es nicht, dass Faultiere gemessen an ihrer Größe – sie werden etwa einen halben Meter lang – eine sehr niedrige Stoffwechselrate haben. Nur etwa einmal pro Woche klettern sie zum Erdboden hinab, um sich zu erleichtern.

Das Leben auf dem Baum hat für Faultiere den weiteren Vorteil, dass ihnen von hauptsächlich am Boden jagenden Räubern wie Jaguaren nur selten Gefahr droht. Und gegen solche Feinde können sie sich mit ihren Klauen verteidigen – hin und wieder erfolgreich. Keine Chance haben Faultiere allerdings, wenn sie von einem geflügelten Räuber entdeckt werden: der Harpyie. Dieser sehr kräftige Greifvogel mit einer Flügelspannweite von bis zu zwei Metern „pflückt“ Faultiere regelrecht aus dem Geäst. Aber meist nur dann, wenn diese ihre gute Tarnung aufgeben. Wer sich ganz langsam bewegt oder gar nicht, der wird eher nicht gesehen.

Noch ruhiger geht es bei Koalas zu: Die nur in Australien lebenden Beutelsäuger schlafen 16 bis 20 Stunden pro Tag. In ihrer aktiven Phase fressen sie hauptsächlich Eukalyptusblätter und -rinde. Das ist insofern praktisch, weil etwa 70 Prozent aller Bäume in Australien Eukalypten sind (wobei Koalas längst nicht alle Eukalyptusarten konsumieren). Allerdings sind die Blätter schwer verdaulich, liefern wenig Energie und enthalten sogar Gifte, die Koalas im Gegensatz zu anderen Tieren zwar vertragen, aber nur in Maßen. Ähnlich wie bei Faultieren läuft ihr Stoffwechsel deshalb sehr langsam ab. Zwar wird dem Eukalyptus dabei das Maximum an Energie entzogen. Trotzdem müssen Koalas mit ihrer Kraft haushalten.

Wenn es nötig ist, etwa beim Streit mit Artgenossen, oder wenn sie ausnahmsweise mal zur Erde hinabgeklettert sind, um zu einem anderen Baum zu gelangen und just dann von einem Dingo angegriffen werden, können sie sich verblüffend schnell in Bewegung setzen. Doch meist sieht man die Tiere, wie sie in Klappmesserhaltung in Baumgabeln klemmen und dösen.

So viel Schlaf brauchen Chamäleons nicht. Dass sie sich oft auch sehr langsam und zugleich leicht schwankend bewegen, hat allerdings wie bei den Faultieren mit Tarnung zu tun, nur dass die Reptilien anders vorgehen: „Sie imitieren mit ihrem Gang sich im Wind bewegende Blätter, um Feinden nicht aufzufallen“, erläutert Marco Schneuer, Biologe und Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Tierphysiologie der Universität Hamburg. „Auf diese Weise können sich Chamäleons fortbewegen, ohne dass dies als Laufen wahrgenommen wird.“ Dabei kommt den Tieren zugute, dass sie ihre Färbung im Zuge der Evolution an ihre Umgebung angepasst haben. Spontane Änderungen der Farbe allerdings hätten entgegen landläufiger Meinung wohl nichts damit zu tun, dass sich die Tiere spontan besser an ihre Umgebung anpassten, sagt Schneuer. „Vielmehr laufen zum Beispiel die Männchen rot an, wenn sie aufgebracht sind, etwa während der Paarungszeit, um Konkurrenten zu verscheuchen. Es handelt sich dann um eine Warnfarbe.“

Weder Warnfarben noch Tarnung haben andere langsame Vertreter der Tierwelt nötig; der Grund für ihre Langsamkeit ist vielmehr, dass sie nicht schnell sein müssen – und können. Griechische Landschildkröten etwa müssen nicht einer Beute hinterherhetzen, weil sie hauptsächlich Pflanzen fressen. Und ihr Panzer bietet ihnen einen relativ guten Schutz vor Feinden wie Greifvögeln, deshalb müssen sie auch nicht schnell flüchten. Ob der Panzer von Schildkröten im Zuge der Evolution tatsächlich als Schutz entstand, ist unklar. Offensichtlich ist hingegen, dass zumindest Landschildkröten für ihren Schild einen Tribut zollen müssen: Flinke Bewegungen können sie sich nur kurz erlauben. Nicht allein, dass ihr Panzer sie mit einem Drittel ihres Körpergewichts ordentlich belastet. Erschwerend kommt hinzu, dass ihre Beine nicht senkrecht unter dem Panzer liegen, sondern seitlich herausragen. Deshalb kostet sie allein das Gehen mehr Kraft als andere Tiere. Also versuchen sie meist gar nicht, schnell zu laufen, sondern ziehen bei Gefahr lieber Kopf, Füße und Schwanz ein.

Ähnlich halten es jene Tiere, die als Inbegriff der Langsamkeit gelten: Schnecken. Jene Arten mit einem Gehäuse können sich bei Gefahr in selbiges zurückziehen. „Allerdings brauchen sie Energie, um das Gehäuse zu bilden und nach Angriffen von Feinden zu reparieren, außerdem müssen sie ihr Haus natürlich schleppen, was sie langsam macht“, erläutert Privatdozent Dr. Bernhard Hausdorf, Experte für Weichtiere vom Zoologischen Museum der Universität Hamburg. Für die an Land lebenden Schnecken ist aber auch deshalb keine Eile geboten, weil sich die meisten Arten hauptsächlich von verwesenden Pflanzen ernähren, die bekanntlich nicht weglaufen.

Anders verhält es sich mit Kegelschnecken, die in tropischen Meeren leben. Sie haben ein Gehäuse und sind in ihrer Beweglichkeit entsprechend eingeschränkt, dennoch gelingt es ihnen sogar, kleine Fische zu erlegen. Dazu verschießen sie Harpunen, mit denen sie ihre Opfer betäuben. Langsam wie eine Schecke? Dagegen würden Kegelschnecken protestieren.